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Sammy Khamis

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14. 2. 2013 - 18:03

Ein Hologramm der Utopie

Dave Eggers schreibt in seinem neuen Roman "Ein Hologramm für den König" ein Klagelied auf die Widersprüche der Globalisierung.

Dave Eggers - Ein Hologramm für den König; erscheint am 14. Februar im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

Dschidda in Saudi-Arabien ist Ausgangspunkt der neuen Geschichte von Dave Eggers. Die im Schnellverfahren modernisierte Stadt Dschidda, ohne echtes Stadt- dafür mit neuem, gläsernem Finanzzentrum, ist der Ort, an dem Globalisierung auf Menschen trifft. Menschen wie Alan Clay. Dabei ist Alan Clay niemand, den man als Inbegriff des international agierenden Neo-Kapitalismus bezeichnen könnte. Eggers Protagonist ist hoffnungslos provinziell und unscheinbar. Mit Mitte fünfzig ist Clay bis über beide Ohren verschuldet und vor allem eines: ratlos. Ratlos wie er seine Schulden begleichen und zugleich die Studiengebühren seiner Tochter bezahlen soll. Ratlos wieso seine Ehe gescheitert ist. Ratlos weshalb seine Karriere in Trümmern liegt.

Alan Clay - der Jedermann der Globalisierung

Dieser Alan Clay findet sich 2010 in Saudi-Arabien wieder. Er ist Teil einer vierköpfigen Gruppe junger aufstrebender amerikanischer IT-Techniker, die die gesamte Vernetzung einer Retorten-Stadt am Roten Meer übernehmen soll. Von einfachen Gegensprechanlagen über Telefonleitungen bis zum High-Speed-Internet. Um den Auftrag dafür zu erhalten, will die Gruppe eine ausgeklügelte Präsentation in Saudi-Arabien zeigen: Ein Hologramm soll einen weiteren Mitarbeiter der IT-Firma Reliant direkt aus London in die Wüste zur Präsentation schalten. Dieses Hologramm soll den Zuschlag für das Mammut-Projekt geben, einen Zuschlag, der Alan Clay aus seiner eigenen Misere katapultieren soll. Es gilt vor allem den saudischen König Abdullah zu überzeugen.

KiWi

Abdullah ist in Eggers Roman nicht nur Adressat einer Hologramm-Präsentation, sondern auch Namen- und Geldgeber der Retortenstadt, die verkabelt werden soll: King Abdullah Economic City soll sie heißen und 1,5 Millionen Menschen beherbergen. Ginge es nach Alan Clay, sollten die Retorten-Bürger die Retorten-Stadt lieber heute als morgen beziehen. Clay nämlich ist begeistert von der Vision der City, den Ausmaßen des Projekts und dem scheinbar unbegrenzten Willen des Königs dieses Projekt so schnell wie möglich umzusetzen. Aber Alan Clay ist kein Techniker, auch kein Ingenieur. Seine Rolle im Team ist ihm selbst ein Rätsel.

Ich kenne Ihren Neffen Jalawi, würde Alan sagen.
Vielleicht: Ich stehe Ihrem Neffen Jalawi nahe.
Jalawi, Ihr Neffe, ist ein alter Freund.
Anderswo spielten Beziehungen keine Rolle mehr, das wusste Alan. Sie spielten in Amerika keine Rolle, sie spielten so gut wie nirgends eine Rolle, aber hier, bei den Angehörigen eines Königshauses, hoffte er, dass Freundschaft etwas zählte.

Königsweg aus privaten Problemen

Jalawi ist ein Neffe des Königs. Der Neffe Jalawi ist Clays Weg aus der Misere. Dass Clay den Neffen kennt, reichte der IT-Firma als Anstellungsgrund. Dass er ihn in den 1970er Jahren aber nur flüchtig kennengelernt hat, verschweigt Clay.

Weitere Literatur-Empfehlungen

Vor der Abreise nach Saudi-Arabien informiert sich Alan Clay über die King Abdullah Economic City. Daten und Zahlen, Pläne und Visionen hat er im Kopf. Zumindest bis er zum ersten Mal in der Stadt ankommt. Denn die Realität, die ihn in der Wüste erwartet, ist anders. Sie ist leer, staubig und heiß. So als hätte die unerbittliche Sonne alle Zahlen und Pläne weg gebrannt. Und die Economic City gleich mit. Denn das große Projekt ist vor allem eins: ein großes Desaster.

Vision & Desaster zugleich

Es sah aus, als hätte jemand eine Straße durch unnachgiebige Wüste gebaut und dann irgendwo in der Mitte ein Tor errichtet, um das Ende von etwas und den Beginn von etwas anderem anzudeuten. Es war hoffnungsvoll, aber nicht überzeugend. […] Die gesamte neue Stadt bestand bislang aus drei Gebäuden: ein pastellrosa Apartmenthaus, das mehr oder weniger fertig war, aber leer wirkte; ein zweistöckiges Empfangszentrum, umgeben von Springbrunnen, von denen die meisten trocken waren; und ein gläsernes Bürogebäude, etwa zehn Stockwerke hoch, gedrungen und quadratisch und schwarz.

Michelle Quint

Dave Eggers

Dem nicht genug. Das IT-Team bekommt ein Zelt zugewiesen, in dem die Präsentation stattfinden soll, sobald König Abdullah persönlich erscheint. Aus der Erwartung quirliger Hektik und stressiger Betriebsamkeit wird zermürbendes Warten und immer weniger hoffnungsvolles Erwarten.

Eggers beschreibt die grenzenlose Leere internationaler Ökonomie nicht in kalter und abstoßend klinischer Sprache, sondern macht sie durch die Figur des Alan Clay erfahrbar. Bei Eggers sind es nicht die ominösen global player vom Format eines Josef Ackermann oder Rupert Murdoch, die Globalisierung machen, sondern die Jedermanns wie Alan Clay, die Kapitalismus durch ihr strauchelndes Wirtschaften fortschreiben und so unter ihre Räder gelangen. Es ist ein Roman voller Querverweise, Parallelen und Allegorien. Alle laufen in der Person Alan Clay zusammen.

Die Frage, ob es im Jahr fünf der nie endenden Krisen noch (kritische) Globalisierungs-Bücher, geschweige denn Romane braucht, kann man rundheraus bejahen. Zumindest solange sie Dave Eggers schreibt.

Dave Eggers und Reportage-Romane

Dave Eggers - Zeitoun; erschien im Original 2009 im Selbstverlag. Dt. Übersetzung bei KiWi von von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann

KiWi

Eine Anmerkung zum Autor: Spätestens mit seinem internationalen Erfolgsroman "Zeitoun", in dem Eggers die Geschichte der willkürlichen Verhaftung eines syrisch-stämmigen Amerikaners während des Hurrikans Kathrina in New Orleans erzählt, gilt Eggers Erzählform des dokumentarischen Reportage-Romans als etabliert. Eggers führt diese Form in "Ein Hologramm für den König" fort. Er vereint die Erfahrungen seines Schwagers, der 2008 in die King Abdullah Economic City geschickt wurde, mit industriegeschichtlichen Entwicklungen in den USA der 1980er Jahre und führt diese in der Person Alan Clay zusammen.

Sein affirmatives Schreiben hat Eggers viel Lob und zahlreiche Auszeichnungen eingebracht, aber auch Kritik beschert. Gerade die empathische Beschreibung Abdulrahman Zeitoun ließ journalistische Distanz vermissen.

Eggers zeichnete Zeitoun als liebenden und verständnisvollen Familienvater. Dabei vernachlässigte er die Seite Zeitouns, die dazu führte, dass sich seine Frau von ihm scheiden ließ. Zeitoun drohte seiner Frau und wurde wegen Körperverletzung verhaftet. In seinem neuen Roman begeht Eggers diesen Fehler nicht. Seine Quellen sind belegt, die Protagonisten fiktiv.