Erstellt am: 5. 2. 2013 - 10:44 Uhr
Alles, nur kein Ernst
I’m talking to my grandma who lost her arms in the war
The aliens and armory that bond hers to God’s door
Now you think that I don’t know but I know you to know quite well
That I caught you sipping milkshakes in the parlor of the hotel
Foxygen - No Destruction
Slapstick im Paisley-Muster
Einige Gesprächsminuten mit Jonathan Rado und Sam France genügen und man ahnt: Alles was noch kommt, muss nicht unbedingt viel sein, aber immerhin bleibt es lustig. "I was a child genius playing in an orchestra", grinst Jonathan auf sein musikalisches Erwachen angesprochen. Der 22-Jährige bringt kaum einen Satz ohne spitze Mundwinkeln über die Lippen. "What the heck are you talking about?", fällt ihm Sam ins Wort. Es folgt ein mildes, verbales Gerangel. Man ahnt weiter: bei Foxygen werden viele Wuchteln gedruckt. Und was das Verhältnis zur Presse angeht, hat man sich noch auf keine gemeinsame Strategie geeinigt.
Christian Lehner
Karacho auf der Bühne
Später fliegen die Fäuste. Prominent auf der Bühne der poshen Indie-Venue Webster Hall in Manhattan. Eine blöde Ansage von Jonathan. Ein wilder Blick von Sam. Eine weitere Ansage von links. Dann setzt es wechselseitig Ohrfeigen. Sam wirft sich theatralisch zu Boden. Das sieht verdächtig nach einer Schwalbe aus. Das Publikum staunt. Die Backing Band staunt. Am Ende liegen sich die beiden wieder in den Armen. Foxygen sind Slapstick im Paisley-Muster.
Jagjaguwar
Das gilt auch für die Musik. Dieser muss man sich nicht unbedingt über die Diskursbrocken der letzten Jahre nähern. Vintage, Retro, Nostalgie? Bei Foxygen sind das bloß Hilfsbegriffe. Jonathan und Sam sind zwar hörbar besessen von den sechziger und siebziger Jahren, vom West Coast Psychedelic des Summer Of Love, dem Beat der British Invasion, dem Glam made in the UK. Sie sind in musikalischer Hinsicht für zwei Grünschnäbel auch unglaublich versiert. Aber anders als die melancholische Wehleidigkeit, die so viele großstädtische Jungmenschen und ihre Musik derzeit fest im Griff zu haben scheint, verpassen die beiden Kalifornier der Nostalgie einen kräftigen Arschtritt. Foxygen erklären die vernebelte Sinnsuche kurzerhand für obsolet und verordnen dem Rückspiegel-Rock eine kräftige und nur bedingt gesunde Dosis Merry Pranksters. Mit Ironie oder einer ausgefeilten künstlerischen Strategie hat das aber kaum zu tun. Es liegt wohl eher an der Persönlichkeit der beiden Protagonisten.
Jonathan und Sam sind in einem Mittelklasse-Vorort von L.A. aufgewachsen. Dort haben sie die CD-Sammlungen (wir schreiben die neunziger Jahre) ihrer Eltern geplündert und nachgespielt, was sie gefunden haben. Und was sie fanden war nicht gerade aktuell: Dylan, Bowie, und The Velvet Underground. "I miss those plastic cases", frohlockt Jonathan und scheint das seiner Mimik widersprechend ernst zu meinen. "I wanted them for our new album, but they don't do this anymore because of the environment", jubelt er.
Das erste Bandabenteuer unserer Helden endete mit einem Rauswurf. Die The-Doors-Wiedergängerkapelle an der High School konnte mit den schroffen found sounds der beiden nur wenig anfangen. Auch in den Folgekapellen gab es nur Ärger. Also beschlossen Jonathan und Sam, in Zukunft auf Mitmusiker zu verzichten. Befreit und ungeniert spielten sie Hunderte Songskizzen in den Heimcomputer oder direkt auf Musikkassette. Jonathan legte sich über die Jahre ein Arsenal an Instrumenten zu. Sam textete nach Intuition und übte sich im Rollenspiel übergroßer Vorbilder wie Dylan oder Bowie. Im Wesentlichen ist das bis heute so geblieben. Mit der Bandgründung von Foxygen im vergangenen Jahr wagte man schließlich den Schritt in die Professionalität. Für das Austreiben der Flausen war es jedoch schon zu spät.
Christian Lehner
Orks im Electric Ladyland
Die beiden innerhalb weniger Monate auf Jagjaguwar erschienenen Alben "Take The Kids Off Broadway" und "We Are The 21st Century Ambassadors Of Peace And Magic" klingen, als hätten Orks das Electric Lady Studio gestürmt und in Flammen aufgehen lassen. Neben den offensichtlichen musikalischen Anleihen bei den Kinks und Stones tun sich in Sachen Sound und Produktionsansatz Parallelen zum Antifolk des jungen Beck Hansen oder zu den Arbeiten der Tape-Maniacs R. Stevie Moore und Ariel Pink auf. Auch zu den vorschnell abgeschriebenen MGMT, von denen es übrigens noch in diesem Jahr ein neues Album geben soll. Als Mittäter im Geiste und großes Vorbild bringen Foxygen schließlich den Egomanen und Rockwahnsinnigen Anton Newcomb vom The Brian Jonestown Massacre ins Spiel. Und so schließen sich Schaltkreise, während Sicherungen durchbrennen.
Apropos manisch: Foxygen schaffen es nicht, eine Stimmung, ein Tempo, ein Thema auch nur einen Song lang durchzuhalten. Selbst gesetztere und präsentable Stücke wie "Shuggie" (in freier Assoziation Shuggie Otis gewidmet) oder "Make It Known" sitzt der Schalk im Nacken. Diese Rastlosigkeit charakterisiert beiden Alben und ist ansteckend wie nur was. Jeder Hördurchgang wird zur überraschungsintensiven Geisterbahnfahrt durch die Rockgeschichte. Dylan, Reed und Jagger kichern irre um die Wette. So viel Spaß hat Vergangenheitsbewältigung schon lange nicht mehr gemacht.
Christian Lehner
"It's just too many ideas", lacht sich Jonathan einen Ast ab, während er kerzengerade vor der Bar des zum Teil holzvertäfelten Backstage-Raumes sitzt. Das rustikale Ambiente verstärkt die blumige Erscheinung der beiden Indie-Pranksters. Jonathan und Sam nehmen sich nicht nur kaum Zeit, ihre eigenen Songs fertig zu schreiben, auch für das Erkunden von neuer Musik fehlt es an kostbaren Minuten. Nur zwei Dinge fallen den beiden dazu ein. Warum benötigen die Kollegen immer so verdammt lang, ein Album aufzunehmen? Und warum starren sie immerzu schrammelnd auf den Boden, wo doch der Himmel voller Sterne ist. Was für ein schöner Schlussgedanke. Kann gut sein, dass er vom Autor dieser Zeilen stammt. Ällaprank!