Erstellt am: 10. 2. 2013 - 13:58 Uhr
Tagebuch zum Jahr der Pflicht (6)
marc carnal
Nach dem "Jahr des Verzichts" im Jahr 2011 gilt es heuer, monatliche Pflichten zu bestehen. Mitstreiter sind in der Neigungsgruppe Pflicht jederzeit willkommen.
Jeden Monat stehen drei Aufgaben in Kategorien wie Handwerk, Wissen oder Selbstüberwindung zur Auswahl. Die Leserschaft stimmt darüber ab, welche Pflicht erfüllt werden muss.
Sonntag, 3. Februar
● Mögliche Etappensiege bei der Initiierung eines neuen Morse-Trends:
- Opinion Leader mit dem Morse-Virus infizieren (Andreas Gabalier, Helmut Werner, Lou Lorenz-Dittlbacher, Peter Handke, Gedeon Burkhard, David Guetta)
- Klassiker der Weltliteratur erscheinen als Morse-Hörbücher
- Smartphones werden mit vorinstallierter Morse-App ausgeliefert
- Schulversuch: Wahlpflichtfach Morsen
- Dance-Hits vereinen durch dominante Morse-Beats Rhythmus und Text
- FM4 sendet neben englischen und französischen auch Morse-News
- ORF-Sendungen werden mit alternativer Morse-Tonspur gesendet
- Führende Pädagogen empfehlen, Kinder in der Zweitsprache Morsen zu erziehen
- Erste kritische Stimmen hinterfragen die Benachteiligung von Nicht-Morsern am Arbeitsmarkt
● Windows sagt mir schon wenige Augenblicke, nachdem ich einen Stecker in meinen PC stecke, dass ein Stecker eingesteckt wurde. Für diese kurze Bestätigung bin ich immer sehr dankbar.
Montag, 4. Februar
marc carnal
● Eine Zuschrift erreicht mich:
Zum Jahr der Pflicht: Ich leite im Rahmen der Amateurfunkausbildung in Wien den aktuellen Morsekurs.
Ihr Redakteur möge mich anrufen:
(Telefonnummer)
Ich würde gerne helfen, die Kunst der Telegrafie zu erlernen, auch für einen Gesprächstermin diesbezüglich stehe ich zur Verfügung.
Mit besten Grüßen,
HL
Das finde ich sensationell und werde diesen hilfsbereiten Herrn demnächst kontaktieren.
Dienstag, 5. Februar
● Rolls-Royce: Zwar nicht geschrieben, aber gesprochen der Imperativ von "es rollen" in der Standardsprache und im österreichischen Dialekt.
● Interviews mit Schifahrern - what are they good for? Was sollen sie denn schon groß sagen? Natürlich geben sie bei jedem Rennen ihr Bestes und sind glücklich, wenn sie gewinnen und enttäuscht über schlechte Platzierungen. Ihre "Analysen" beschränken sich darauf, zu beteuern, sich bemüht zu haben und zu spekulieren, wo "Zeit liegen gelassen" wurde. Viel mehr können sie ja nun wirklich nicht über ihren Lauf sagen, also zwingt man sie mehrmals täglich, ihre Emotionen, die Stimmung im Publikum oder Begegnungen mit Arnold Schwarzenegger zu beschreiben. Erfrischend wäre ein Schifahrer, der sich auf eine Pressekonferenz vor der Saison beschränkt und folgendes erklärt: "Ich werde regelmäßig trainieren, bei der Auswahl des Materials mit Bedacht vorgehen, bei jedem Bewerb mein Bestes geben und schätze das Vorhandenseins des Publikums. Gewinne ich, werde ich mich darüber freuen, reüssiere ich nicht, geht die Welt auch nicht unter und ich trainiere eben noch härter. Mehr habe ich nicht zu sagen und verbitte von nun an jegliches Nachfragen von Journalisten."
Mittwoch, 6. Februar
● Bin gerade dabei, mit Brau-Kollegen Josef eine komplette Hobby-Bierbrau-Anleitung in Schüttelreim-Form zu schreiben. Zum Beispiel:
Hältst du dich an das Spelzen-Maß
(20%), macht Mälzen Spaß.
Machst du aus heißer Würze kalte,
sieh zu, dass hierbei Kürze walte!
Selbst ich als Calcium-Hasser werte
Als gut die Wiener Wasserhärte.
Sechs Tage hat das Bier gegärt,
jetzt wird’s mit großer Gier begehrt.
Warum verzettle ich mich eigentlich immer mit Projekten, die nicht einmal ein Promille der Bevölkerung potenziell interessieren und garantiert niemals Ruhm oder Reichtum generieren werden?
Donnerstag, 7. Februar
marc carnal
● Der Singular von Spaghetti wird zu selten benutzt.
"Schatz, dir klebt ein Spaghetto im Bart!"
● Besuche mit Pflicht-Kollegen Wurm den Mahü-Thalia. Thalia - der McDonald's der Literatur. Im zweiten Stock fragen wir einen angestellten Hipster, ob man Morse-Fachliteratur führe. Die Antwort ist überraschend kompetent: Die Technik des Morsens an sich sei nur in Survival-Handbüchern beschrieben. Zielstrebig führt er uns aber zu einem Regal, aus dem er die Morse-Biographie "Die Überwindung der Langsamkeit" von Margit Knapp zieht. Er kritisiert, dass seltsamerweise nicht einmal das Morsealphabet im Buch vorkäme. Dass der Mitarbeiter ohne Computer-Recherche sofort den Morse-relevante Bestand aufzählen und finden kann, ist schon bemerkenswert, noch viel mehr aber, dass er sie sogar gelesen zu haben scheint.
In der Hoffnung, das Leben von Samuel F. B. Morse könnte reich an erfahrenswerten Wendungen sein, kaufe ich mir also das Buch und werde an dieser Stelle etwaige köstliche Passagen nacherzählen.
Freitag, 8. Februar
● Der Würschtlmann muss auch zu jedem Scheiß seinen Senf dazugeben.
● Habe einen Text geschrieben und traue mich nicht, ihn an dieser Stelle zu veröffentlichen. Es ist das Drehbuch zu einem Klamauk-Porno namens "Die Fickpolizei". Die Handlung: Inspektor Bumsti jagt Dick Fuck, der sich daraufhin bei Oma Oral versteckt. Es gibt interessanterweise keine einzige Sex-Szene. Die Dialoge verbinden auf groteske Weise gestelzte Schachtelsätze mit erschütternd derben Alliteration-Exzessen. Bin gespannt, ob ich es wage, diesen Irrsinn mal bei einer Lesung vorzutragen.
Samstag, 9. Februar
● Gestern war der Hansl-Ball, der auch weniger ballaffine Gäste wie mich jährlich anzulocken weiß. Als Mitternachtseinlage trat der Mentalist Harry Lucas auf. Die zuvor aufgeschnappte Skepsis war teilweise von besonderer Güte: "Ich bin bei solchen Sachen ja immer sehr skeptisch. Da stecken ja doch nur Tricks dahinter." Spitze. Ich bin ja bei Romanen sehr skeptisch, weil die ja größtenteils doch nur erfunden sind.
Der Trick ging dann so:
Der Mentalist erwählt die befreundete A. Somit ist eine Absprache auszuschließen. Er weist sie an, an ein Erlebnis zu denken und sich daran zu erinnern, zu welcher Uhrzeit es stattfand. Sie tut wie geheißen. Anschließend muss sie die Uhrzeit hinter dem Rücken des Magiers auf einen Zettel schreiben, der daraufhin in die Handtasche einer anderen Besucherin geworfen wird. Eine weitere Freiwillige bekommt nun eine Uhr in die Hand. Sie wird angewiesen, die Uhrzeit zu verstellen, ohne dabei auf die Uhr zu sehen, vielmehr soll sie sich auf A. konzentrieren. Dann schreibt Harry Lukas ebenfalls etwas auf einen großen Zettel. Am Ende soll A. das Erlebnis beschreiben und am Ende die Uhrzeit verraten. 8 Uhr 15. Auf dem Zettel des Magiers steht 8 Uhr 16. Die verstellte Uhr steht exakt auf 8 Uhr 15.
Danach wird freilich spekuliert, wie es dem Künstler gelungen sein könnte, das zu machen. Dabei erinnere ich mich, wie ich mit Kollegen Max vor einigen Jahren den bekannten Zauberer Magic Christian für unsere kleine Fernsehsendung besucht habe. Nach dem Interview meinte er, dass Intelligenz beim Hinterfragen von Zaubertricks ein eher schlechter Ratgeber sei. Meistens sei die einfachste Erklärung auch die richtige. Deswegen würden Kinder Tricks viel öfter entlarven als Erwachsene. Die Techniken sind meist ausgesprochen simpel, der Rest ist Show und Ablenkung.
Wie gut das funktionieren kann, fasziniert mich ungebrochen. Ich habe eine große Schwäche für Illusionskunst. Jeder drittklassige Kindergeburtstags-Zauberer begeistert mich. Das schmälert womöglich mein ansonsten tadelloses Image, weil Zauberer im Unterschied zu DJs, Kabarettisten oder Schlagzeugern selten Sujets von Jugendzimmer-Postern sind und kaum einem adoleszenten Girl ein Kreischen entlocken. Das finde ich ungerecht. Ich ersehne Zauberer am FM4 Frequency, Kartentrick-Clubbings in der Pratersauna und zersägte Assistentinnen im Rabenhof. Ich wünsche mir eine Welt, in der nicht Comedians in Fernsehdiskussionen ihre öden Kommentare von sich geben, sondern gerühmte Taschenspieler. Ich träume von Hauptabend-Gameshows, die nicht von Schifahrern, sondern Magiers moderiert werden.
Bin ich noch ernst zu nehmen? Womöglich nicht. Aber denken Sie sich doch mal irgendeine beliebige Zahl zwischen 1 und 100. Ich wünsche viel Vergnügen!