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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

4. 2. 2013 - 12:22

Last Action Heroes

Trio Infernal im Mündungsfeuer: Drei Filmbesessene plaudern über "The Last Stand", "Universal Soldier: Day Of Reckoning" und "Zero Dark Thirty".

CHRISTIAN: Da sitzen wir wieder rund um den virtuellen Kamin und parlieren, Sebastian Selig, Christoph Prenner und meine Wenigkeit. Drei Filmbesessene, die aus unterschiedlichen Richtungen kommen, lassen ihren Assoziationen zu diversen Streifen freien Lauf und driften dabei schon mal ins fantechnische Delirium. Alles mit voller Absicht natürlich.
Was uns diesmal zusammenbringt, ist das Actionkino im näheren, entfernteren und auch ganz abstrakten Sinn.

Drei höchst unterschiedliche Hollywood-Werke stehen im Zentrum unserer Gespräche, die eines verbindet: Grimmige Gesichter, kriegerische Körper, blitzende Mündungsfeuer, blutige Einschusslöcher. Der erste Film stammt von einem Mann, der bislang zu den Vorzeigeregisseuren des koreanischen Genrekinos gehörte.

Sebastian Selig lebt im Kino, auch wenn da immer wieder Krieg herrscht. Im kalt aufblitzenden Licht des Mündungsfeuer will er dann jedes Geschoss ganz intensiv aufschlagen spüren. Will er den Schmerz spüren. Mitfühlen. Auch und gerade weil Gewalt gar nicht lustig ist.

CHRISTOPH: Zugegeben: Jee-woon Kim mag ja nun nicht ganz so ein großer Visionär und Weiterdenker sein wie Chan-wook Park. Aber er ist mir bislang doch als einer ans Herz gewachsen, der Genrekino mit smarten Zugängen zumindest grade genug anders deutete, dass man sich dabei nie schlecht unterhalten fühlte. Seine elegante Gangsterballade "A Bittersweet Life" gilt mir dahingehend beispielsweise immer noch als einer der besten John-Woo-Filme, den John Woo selbst nie gemacht hat.

CHRISTIAN: Nun legt er mit "The Last Stand" sein US-Debüt vor und gibt darin dem Ex-Gouverneur von Kalifornien Gelegenheit für eine Rückkehr in alte Actionfilm-Gefilde.

Christoph Prenner hat im Kino seit jeher große Sympathien für "Die Verdammten des Krieges" und kann es daher ganz und gar nicht ausstehen, wenn diese für ideologische Scharmützel missbraucht werden. Weil Gewalt eben wirklich nicht lustig ist – und auch (auf US-Verhältnisse gemünzt) weder blau noch rot.

CHRISTOPH: Jee-woon Kim pirscht sich darin wie schon in seinem "The Good, The Bad, The Weird" an den Western heran – das dafür aufgefahrene Szenario liest sich wie ein Update von "Rio Bravo": Der Sheriff, den Arnold Schwarzenegger spielt, schnappt sich die letzten Wackeren seiner Kleinstadt, um sich mit ihnen dem mit großen Schritten nahenden mexikanischen Bösewicht entgegenzustellen: Auf ins letzte Gefecht.

The Last Stand

Centfox

Brutalität und Blödelei

CHRISTIAN: Die gute Nachricht: Schön, dass der 65-jährige Gouvernator einen Neuanfang auf der Leinwand wagt. Generationen von Fans, die mit Klassikern wie "Total Recall", "Predator" und natürlich der "Terminator"-Reihe sozialisiert wurden, freuen sich wie kleine Kinder. Die schlechte Nachricht: "The Last Stand" ist leider gar keine glorreiche Rückkehr ins Tschinn-Bumm-Genre geworden. Der alternde Arnold steht nämlich leider nicht im Zentrum des Neo-Westerns, sondern ist Teil eines Ensemblefilms, in dem die Schrulligkeit der Provinzbewohner oft richtig nervtötend wirkt. Als größte Nervensäge erweist sich dabei der Ex-"Jackass"-Fernsehstar Johnny Knoxville. Der steht mit seinen Komikeinlagen stellvertretend für diesen Mix aus Brutalität und Blödelei. Sebastian, du hast es im Vorfeld ja schon befürchtet, dass sich Arnold Schwarzenegger bei seinem Comebackfilm bewusst nicht entscheiden und es zu vielen Zielgruppen recht machen will.

SEBASTIAN: Ja, die Bürde des selbstironischen One-Liners, der Hang zu dummen Sprüchen, all das habe ich schon zuletzt erst wieder bei den "Expendables" nur schwer ertragen. Man will diesen alten Recken einfach kein "Unforgiven" zugestehen. Mit ausgestellter Ironie scheint sich da einer wie Schwarzenegger für sein Frühwerk heute beinahe entschuldigen zu müssen. Dabei wird sein bisheriges Werk dann ganz lieblos zum Zitat runterreduziert. Für mich eine nur schwer zu ertragende Anbiederung an einen scheinbar nur dick ironisch unterzuckert goutierbaren Massengeschmack. Schlimm. Ganz schlimm.

CHRISTIAN: Wobei du den Film ja auch aus anderen Gründen verweigerst. Die verdrängte Zensurthematik, mittlerweile ziemlich aus dem Fokus der Medien und auch der Geek-Community verschwunden, brandet bei "The Last Stand" anscheinend wieder voll hoch.

SEBASTIAN: Ja, leider hat sich der Verleih dazu entschieden, "The Last Stand" in Deutschland und Österreich nur stark gekürzt in den Kinos zu zeigen. Einfach aus dem Grund, weil man für den Film unbedingt eine Freigabe ab 16 wollte. Ungeschnitten wäre der Film ab 18 freigegeben worden und eine solche Freigabe schien dem Verleih aus kommerzieller Sicht nicht angebracht. Nun wäre es ein leichtes gewesen, beide Fassungen anzubieten, aber zum einen wollte man wohl nicht, dass somit noch deutlicher wird, dass die Version ab 16 nur einer Rumpffassung des eigentlichen Films entspricht, zum anderen hofft man natürlich mit einem "Länger als die Kinofassung" später auf DVD zusätzlich nochmal mehr Kasse machen zu können. Alles sehr betrüblich und für mich Grund genug den Kinostart von "The Last Stand" leider zu boykottieren. Dabei hatte ich mich im Vorfeld sehr auf diesen Film gefreut, aber der Verleih wollte hier einfach Schwarzenegger kein Comeback in voller Größe zugestehen. Schade.

The Last Stand

Centfox

Der beschnittene Riese

CHRISTIAN: Lass dir gesagt sein, dass du bei "The Last Stand", ob mit oder ohne computergenerierte Schusswunden, nicht viel verpasst. Warten wir ab, ob zukünftige Arnie-Abenteuer unsere Herzen da höherschlagen lassen. Gerüchte von "Terminator 5" schwirren herum und "The Legend of Conan" ist angeblich bereits bestätigt.

SEBASTIAN: Ein "Conan", am allerliebsten wieder mit John Milius an der Regie, würde mich sehr freuen. Ebenso bin ich immer noch voller Vorfreude was den leider erst Anfang 2014 startenden, aber bereits abgedrehten "Ten" angeht. Allem Anschein nach eine harte, düstere Hommage an "Predator", mit einem schwer tätowierten Schwarzenegger als Anführer einer korrupten Polizeieinheit, die nach und nach von einem gesichtslos bleibenden Gegner dezimiert wird.

CHRISTIAN: Darauf freue ich mich auch. Wobei sich trotzdem grundsätzliche Fragen stellen: Kann man als republikanischer Gouverneur einfach so nahtlos wieder an die Filmkarriere anschließen oder denkt man diesen politischen Subtext jetzt bei jedem Film mit? Und noch grundsätzlicher: Kann mit man einem reinen Action-Hintergrund eigentlich passabel altern im Kino oder spielt da der Rolling-Stones-Faktor mit? Soll heißen, man(n) bedient einfach die unverbesserlichen Nostalgiebedürfnisse der mittlerweile nicht mehr so bubenhaften Fanbuben, bis zum bitteren Ende. Ist es nicht eigentlich extrem tragisch, dass die Expendables ewig in die Schlacht ziehen müssen, inklusive Fettabsaugungen und Botox? Ist das ewige Oldschool-Actionkino nicht das Dschungelcamp für Veteranen aus dem kalten (Kino-)Krieg?

SEBASTIAN: Nein, dass hier bis zum letzten Atemzug weitergekämpft wird, finde ich schön. Ich will diese Gesichter und Körper immer weiter vernarben sehen. Will meine Helden ganz zerfurcht beim Altern zuschauen, ganz unironisch, den Schmerz spüren, der sie auch dann nicht davon abhält unvermindert weiterzumachen. Ich will das das alles in großer, mitreißender Tragik mündet. Erhobenen Hauptes. Auf den Knien.

CHRISTIAN: Wenn du dabei an den von dir erwähnten Spätwestern "The Unforgiven" denkst, dann bin ich bei dir. Dekonstruiert Clint Eastwood, der wohl am besten auf der Leinwand alternde Hollywood-Recke, in dem Meisterwerk doch das Kino-Heldentum als erbarmungslose Illusion. Ein filmisches Statement, das gut zur Gegenwart passt. Ich finde nämlich, das Genrekino sollte endlich gebührend darauf reagieren, dass wir im Zeitalter der Dekonstruktion leben. Es sollte uns nicht immer die selben Lügen aus dem vorigen Hollywood-Jahrhundert vorgaukeln.

CHRISTOPH: Dieses Brechen mit jahrzehntelang tradierten Mustern des VHS-Actionhelden-Kinos sollte tatsächlich mal angedacht werden. Denn dass das konventionelle und/oder sich selbst dem Spott und leichten Lacher zuführende Aufarbeiten alter Rezepte beim Publikum nicht mehr ganz so gut ankommt, sieht man aktuell ja an den eher unterdurchschnittlichen Einspielergebnissen der neuen Stallone- und Schwarzenegger-Werke.

Universal Soldier: Day Of Reckoning

Studio Canal

Grenzerfahrungen mit Action-Bonus

CHRISTIAN: Aber es gibt Alternativen. Filme, die die Tragik des Nicht-Aufgeben-Wollens der abgewrackten Helden sozusagen mitdenken und sie zu gnadenlosen Antihelden machen. Filme, die formal endlich mal das müde Genre aufwirbeln, in Fetzen schießen und gleichzeitig reanimieren. Ich rede jetzt nicht von einem Blockbuster, sondern einem Film, der all jene Hoffnungen erfüllt, die man früher in B-Movies im besten Sinn setzte. Ich übergebe an dich, Sebastian, denn als fast schon fanatischer Anhänger des besagten Streifens, rührst du unermüdlich die Werbetrommel.

SEBASTIAN: Ganz sicher gibt es keinen Film in den vergangenen zehn Jahren, der mich hier tiefer berührt hätte als John Hyams‘ Meisterwerk "Universal Soldier: Day of Reckoning". Im Kino, auf großer Leinwand, zudem auch noch in künstlerisch hochgradig Bewusstsein erweiterndem 3D, kommt dieser Film einer Grenzerfahrung gleich, wie man sie so vielleicht nur ein-, zweimal im Leben macht. Ein sämtliche Schubladen, alle zuvor gesammelten Erfahrungen gnadenlos wegsprengender Monolith von einem Film. Unter Schmerzen geboren, im Schmerz badend und dabei doch in jedem Moment von großer Liebe und tiefer Humanität getragenes Werk. Für mich ganz klar der größte Film seit mindestens Ulrich Seidls "Import/Export" oder Harmony Korines "Spring Breakers".

CHRISTOPH: Obwohl ich das "Universal Soldier"-Universum bislang mit höchst einem halben offenen Auge von der Actionkino-Seitenlinie verfolgt habe, muss ich zugeben, dass mir dieser (finale?) Tag der Abrechnung nun doch eine Menge unerwarteter Freude bereitet hat. Klar, da wird mitunter fast zu ambitioniert und auch ein wenig zu verschwurbelt die eigene Mythologie munter kreuz- und quergebürstet, aber allein schon die alles umfassende dunkle Euphorie, mit der uns Hyams hier das Herz der Finsternis seiner unseligen Söldnermaschinen erkunden lässt, ist nahezu unerreicht im gegenwärtigen Bubenkino. Und aus einer reinen Schauwerte-Perspektive ist allein schon der komplett irrwitzige und hyperbrutale filmmittige Semi-Showdown in einem Sportgeschäft jeden Videotheken-oder-auch-iTunes-Euro wert. Ganz stark.

CHRISTIAN: Mich hat der Film, der leider hierzulande nur auf dem Heimkinosektor veröffentlicht wurde, auch sehr fasziniert. Für die ganz große Euphorie fehlt mir wohl die Sozialisation mit jemandem wie Jean-Claude Van Damme und dem damit assozierten Kino. Und ich müsste wohl meinen Ekel gegenüber dem originalen "Universal Soldier" und dem Antikino eines Roland Emmerich verdrängen. Auf der anderen Seite hat Regisseur John Hyams ein Genre-Hybrid geschaffen, das sich völlig losgelöst von der Mythologie der Serie genießen lässt, Bezüge zu David Lynch, "Apocalypse Now" und "The Manchurian Candidate" sprengen, zusammen mit extrem guten Kampfchoreografien, sämtliche Erwartungshaltungen.

CHRISTOPH: Wenn man mag, dann darf dem Regisseur noch die Kenntnis von so mancher Philip-K.-Dick-Kurzgeschichte unterstellt werden – sowie natürlich jene diverser "Robocop"-Filme. Ich für meinen Teil würde nur zu gern sehen, wie er auch dieser nunmehr ebenfalls revitalisierten Reihe frisches Blut zuführt. Aber ganz egal, in welche (männlichen) Abgründe uns der talentierte jüngere Herr Hyams demnächst verschleppen wird: Ich kann es jetzt schon kaum noch erwarten, ihm dabei über die Schulter schauen zu können.

Universal Soldier: Day Of Reckoning

Studio Canal

No More Hero Shots

CHRISTIAN: Kommen wir zu einem Film, der sich auf einem besonders heiklen Terrain bewegt. Weil er an der Oberfläche ebenfalls mit den Versprechungen des Actionkinos wirbt - also mit Suspense, Explosionen, Waffenarsenalen – und gleichzeitig eine Geschichte aus dem realen Wahnsinn des Anti-Terror-Kriegs erzählt. Ich rede natürlich von Kathryn Bigelows "Zero Dark Thirty", der die Suche nach und die Exekution von Osama Bin Laden thematisiert. Momentan prasselt diesem Film sehr viel Hass entgegen.

CHRISTOPH: Mich ärgert an der Rezeption von "Zero Dark Thirty" dann ja schon sehr, dass da aus der jeweils eigenen ideologischen Schrebergartenparzelle heraus gegen ein - meiner Meinung nach großes - Stück Kunst agitiert wird. Dass dies in diesem Fall aber aus allen Lagern passiert, ist ja erst mal schon ein guter Beweis dafür, dass Kathryn Bigelow hier einiges sehr, sehr richtig gemacht hat. Weder ist sie dem in den letzten Jahren so gern praktizierten naiven Kriegsbefindlichkeitskino der Paul Haggise des Planeten auf den Leim gegangen noch findet sie Gefallen am Brachialpatriotismus der Michael-Bay-Schlachtoperetten.

CHRISTIAN: Ich finde, besser hätte man sich diesem eigentlich fast unverfilmbaren Fall filmisch nicht nähern können. Was mich am meisten an Bigelows Sicht auf die Ereignisse mitgerissen hat, war das Unspektakuläre ihrer Erzählweise. Mir fällt jetzt - außer ihrem "The Hurt Locker" - auf die Schnelle kein Film ein, der bei der Darstellung militärischer Gegenwartseinsätze so sehr auf Hero Shots verzichtet, auf Szenen, die fetischistisch die Überlegenheit und Coolness der US-Army abfeiern. Wenn ich beispielsweise an Ridley Scotts widerlichen "Black Hawk Down" denke, wie da der geile Metal- und Hip-Hop-Soundtrack den Kampfeinsatz untermalt, so etwas sucht man bei Kathryn Bigelow vergeblich.

CHRISTOPH: Ja, Bigelow versteht es, so gut es eben geht, Distanz zu wahren, auch unfassbare Handlungen/Aktionen ohne Wertung abzubilden - und gerade diese Ungreifbarkeit macht es dann eben unangenehm für die Zuspitzer, die darob freilich noch wilder dagegen anpoltern müssen. "Zero Dark Thirty" stellt Abläufe aus, nicht Gesinnungen.

Zero Dark Thirty

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Das Erbe der Carrie M.

SEBASTIAN: Ich bin hin- aber auch hergerissen von "Zero Dark Thirty". Kann mich da nicht frei machen von meiner Wut, die ich empfinde, sehe ich diesen selbstherrlichen Figuren dabei zu, wie sie andere Menschen foltern und ihre Mordkommandos planen. Mir ist der Film an diesem Punkt zu verständnisvoll für die Täter. Webt immer wieder, mir besonders verlogen erscheinende Momente ein, bei denen wir die von Jessica Chastain verkörperten Chef-Ermittlerin Maya beim Foltern ein besorgtes Gesicht machen sehen, gerade so als würde das dann irgendwas entschuldigen können. Als könnten wir deswegen jetzt mit ihr sympathisieren. Konnte ich nicht. Und will ich auch nicht.

CHRISTOPH: Die These von der Folterverherrlichung hält für mich nicht, weil die Agenten die dann wirklich essentiellen Hinweise ja erst erhalten, als nicht mehr watergeboardet, sondern schon Tee gereicht wird.

CHRISTIAN: Hmm, ich bin prinzipiell ja Identifikations-Junkie im Kino. Aber bei diesem Film sah ich mich einfach als Beobachter. Ich denke, Mayas besorgtes Gesicht beim Foltern soll nichts entschuldigen, gegen Ende ist es ja nicht mehr besorgt, sondern unberührt. "Zero Dark Thirty" ist eben ganz grundsätzlich ein Werk über Desensibilisierung, über Abstumpfung und Abhärtung auf Seiten der Amerikaner und natürlich auch der radikalen Islamisten.

SEBASTIAN: Vielleicht ließ mich diese von Jessica Chastain verkörperte Frau auch deswegen so kalt, weil ich sie natürlich ständig mit der in meinen Augen sehr viel vielschichtiger angelegten, psychotischen Ermittlerin Carrie Mathison in der Post-9/11-Serie "Homeland" verglich, dort manisch brillant verkörpert von Claire Danes. Risse, wie sie diese aufweist, fand ich in "Zero Dark Thirty" leider keine. Dafür ist mir dieser Film zu sehr um Ausgleich bemüht. Zu vorsichtig. Zu blass in seiner Figurenzeichnung. Das wird auch in der hier sehr drehbuch-geboren wirkenden anderen Ermittlerin deutlich, die Bigelow meint ihrer "Heldin" am Anfang gegenüberstellen zu müssen. Da war mir viel zu viel konkurrierendes Zicken-Klischee mit im Spiel.

Zero Dark Thirty

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Die Banalität des Bösen

CHRISTIAN: Ich liebe "Homeland", aber ich denke diese Serie folgt dann doch noch viel mehr sämtlichen Genre-Gesetzen. Gerade in ihrer Emotionalität lädt Carrie Mathison zum Mitfühlen ein. "Zero Dark Thirty" ist aber einen Schritt weiter, es bietet keine Genrekino-Kicks und Angebote mehr. Er spart bewusst aufputschend inszenierte Momente aus, die bei US-Army-Fans einschlägige Knöpfe drücken könnten. Gefoltert wird nach einer unerbittlichen Logik, getötet präzise nach Plan, fast schon nebenbei, ohne Rücksicht auf zivile Verluste. Deswegen hasst ihn ja auch das Pentagon und viele US-Politiker sprachen sich gegen ihn aus. Für mich ist es ein Meisterwerk über die Trostlosigkeit und Banalität des Bösen, womit ich jetzt sämtliche gezeigten Parteien und Fraktionen meine.

CHRISTOPH: Im Aufzeigen dieser Ambivalenzen, die da in eine kaum fassliche Paranoia gebettet sind, und im meisterlichen Ausbalancieren von Spannungsfindung und Sachlichkeitswahrung ist "Zero Dark Thirty" dann eher eine konsequente Kino-Fortschreibung des Zugangs von "Homeland". Und das Finale, Schwarz auf Grau bzw. Nachtsichtgrün, entwickelt dann sowieso eine Wucht, wie man sie im Action-Kino der Gegenwart leider viel zu selten verabreicht bekommt.

SEBASTIAN: Ja, wie subtil und dicht Bigelow hier die finale Erstürmung von Osama Bin Ladens Unterschlupfs inszeniert, hat auch mich sehr beeindruckt. Aber auch da bleibt ein Rest üblen Beigeschmacks, wenn sie dann eben doch dem gnadenlos agierenden Killerkommando einen kurzen bedauernden Moment zugesteht, nachdem sie zuvor kaltblütig die unbewaffnete Frau niedergeschossen haben. Da wird dann doch wieder was entschuldigt, was einfach nicht zu entschuldigen ist.

CHRISTIAN: Kaltblütig agiert aber natürlich auch die Gegenseite, wenn wahllos Zivilisten bei Anschlägen geopfert werden. Wenn der Film in einem Punkt eindeutig Partei für westliche Blickwinkel ergreift, dann eben in der Verschiebung des Fokus auf diesen weiblichen Blickwinkel. Gerade indem Bigelow sämtliche involvierten wichtigen CIA-Agenten in Jessica Chastains Figur kondensiert, bekommt die Jagd nach Osama einen ganz anderen Dreh. Aus dem üblichen tödlichen Planspiel von Männern, wo Frauen nur Nebenrollen als Terroristenmütter, Geheimdienst-Sekretärinnen, als Bombenopfer und militärische Kollateralschäden haben, wird ein Kampf, der auch von Selbstermächtigung, kulturellen Differenzen und Geschlechterverhältnissen erzählt.

Ich danke euch für dieses sehr spannende Gespräch!

Zero Dark Thirty

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