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Christian Stiegler

Doktor für grenzwertiges Wissen, Freak-Shows und Musik, die farblich zu Herbstlaub passt.

5. 2. 2013 - 00:02

This is Hardcore

"These Glory Days" ist mehr als nur ein Essay über Pulp.

"Everybody's telling me you look like me,
but please don't turn out like me"

(Pulp: "A Little Soul")

Owen Hatherley hält es hier mit Alan Bennett. Viele der schlimmsten Dinge der letzten dreißig Jahre ließen sich nach ihm in einem Wort zusammenfassen: Brit. Von allen Bauernfängereien und sich selbst erfüllenden Prophezeiungen, auf die England seit 1979 reingefallen ist, sei Britpop das dümmste. Die Möchtegern-Gesellschaftsversteher (Blur, Elastica, Sleeper) und die "großmäuligen Badewannenpupser-Proleten" von Oasis und Co. haben nach Hatherley im Pop Chauvinismus, albernen Sexismus und schwachsinnigen Stolz salonfähig gemacht.

1995, als Britpop allgegenwärtig war, war Owen Hatherley gerade mal 14 Jahre alt, Pulp veröffentlichten gerade ihren Megaseller "Different Class", inklusive dem Hit "Common People". Eine wütende Anklage gegen gesellschaftliche Privilegien und Klassenunterschiede, verpackt in eine Anekdote über hemmungslosen Sex. Bis heute garantiert der Song (und der zweifelhafte "Brit-Awards-Incident") Jarvis Cocker einen gewissen Kultstatus, seine Band scheint jedoch nur in den wenigsten Fällen im Kanon britischer Popmusik auf. Zu Unrecht, wie Hatherley findet, seien doch Cockers Texte komplex, bissig, selbstironisch doch stets realistisch.

You name the drama and I’ll play the part

Owen Hatherley: These Glory Days Cover

Edition Tiamat

Owen Hatherley: "These Glory Days. Ein Essay über Pulp und Jarvis Cocker" ist 2012 in deutscher Übersetzung von Sylvia Prahl in der Edition Tiamat erschienen.

Nun hat Owen Hatherley, eigentlich politischer Architekturautor, hier keine Pulp-Biografie vorgelegt, obwohl das Buch Pulp-Insider eher ansprechen wird. Er selbst ist zweifelsohne Fan, an einer Stelle nennt er Pulp sogar die "beste britische Popband der Neunziger". Dass Pop-Sozialisierung allerdings nur eine Form von kultureller Sozialisierung ist, das sieht auch er ein: Pulp sind für ihn daher vielmehr der Soundtrack einer Coming-of-Age-Story im Großbritannien der Neunziger Jahre, und zwar seiner eigenen.

Nicht ganz zufällig habe die Band sich 1978 ausgerechnet in Sheffield gegründet, der Stadt in der nordenglischen Provinz, die sich vielleicht wie keine zweite in England bis in die späten Siebziger Jahre einer brauchbaren modernistischen Stadtplanung verpflichtete. Dann ging der Kommune allerdings das Geld aus, die Stadtindustrie ging bankrott, Arbeiter wurden entlassen und der Gemeinderat wurde regelrecht ausgepresst. Inzwischen sind all diese ambitionierten Projekte längst zu Ruinen verkommen. Pulp haben dieses Bild von Sheffield als verkommene, aber dennoch lebendig post-industrielle Stadt, immer wieder in ihren Songs verarbeitet, auch oft in der Verbindung mit Sex. Sex als Mittel zum Klassenkampf, passend nach einem Songtitel ("Sheffield: Sex City"): "I kept thinking of you and almost walking into lamp-posts / Why’s it so hot?" Der Aufstieg der Labour-Partei änderte wenig, Pulp waren nach Hatherley die letzte große Band, deren Mitglieder sich ihrer Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse bewusst waren und sich als Künstler verstanden.

Uncommon

Weitere Leseempfehlungen:

"These Glory Days" ackert sich vor allem an den Texten von Jarvis Cocker ab, huldigt ihrer Verspieltheit, dabei gleichzeitig ihres Realismus und tut das, was viele Popfans gerne tun, nämlich in den Texten ihrer Lieblingsband die einzig wahrhaftige Wahrheit erkennen. Ich halte den englischen Originaltitel des Essays für weitaus treffender: "Uncommon". Denn diese ironische Anspielung ist weitaus mehr als nur auf den großen Hit bezogen, sie bezieht sich auf das eigene Leben. Wir alle haben diese Künstler, diese Bands, diese Lieder und Alben, die uns wie nichts Anderes auf der Welt die Gesellschaft vorführen, die wir als jenes "Auf-den-Punkt-bringen" bezeichnen, das wir selbst vielleicht nie zustande gebracht haben. Gleichzeitig arbeiten wir dadurch auch an unserer eigenen Sozialisierung mit, frei nach dem Motto: "Ein bisschen mehr wie die, aber ganz bestimmt nicht wie die anderen." Dass Pulp derzeit so etwas wie ein Comeback anpeilen, kann den Nostalgieverliebten unter uns zumindest eine kleine Reise zurück in die Jugend bescheren. Trotzdem: Pulp sind in diesem Kontext austauschbar, denn die Geschichte eines Lebens und auch eines Landes, ist immer auch auf die Geschichte seiner Popmusik umzulegen.

Hatherleys Text pendelt daher ein wenig zwischen den Koordinaten Autorenbiografie, britische Zeitgeschichte und Pop-Diskurs. Falls man mit keinem davon wirklich etwas anfangen kann, wird man sich trotzdem rascher darin wiederfinden, als einem lieb ist. This is Hardcore.