Erstellt am: 3. 2. 2013 - 02:29 Uhr
Immer Höhepunkt
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "Play By Play" macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
Viel war die Rede in den letzten ein, zwei Jahren von so genanntem „Hipster-R’nB“. Gemeint werden innerhalb dieser Klammer – sehr schwammig natürlich, wie das meist so ist bei der Neu-Etikettierung von vermuteten Trends – so doch recht unterschiedliche Musiker wie Frank Ocean, Miguel, The Weeknd oder auch How To Dress Well.
Um den Dreh- und Angelpunkt R’n’B wurden und werden da verschiedene Ansätze verfolgt, die zuvorderst freilich nicht das Erreichen der Zuschreibung „Hipster“ suchen, diese aber in der Außenwahrnehmung durch einen oder mehreren der folgende Moves erlangen: Das zumindest teilweise Abschaffen oder immerhin einmal das Überdenken von Klischees in der eigenen Musik, insbesondere in Bezug auf Ideen von Sexualität und Geschlecht - die im R’n’B sonst gewohnheitsmäßig besonders vorgestrig daherkommen. Das Tragen von vielleicht ziemlich engen Hosen und Jäckchen (Miguel sieht bei aller Güte der Musik doch immer ein bisschen verkleidet und bemüht hingetrimmt aus). Oder man ist einfach vorher schon ein „Hipster“ gewesen, will heißen, man kommt von der anderen Seite der Medaille, ist also ein „cooler“ „Underground“-Musiker, der sich der glitzernden Mainstream-Musik R’n’B annimmt. Und veröffentlicht möglicherweise noch dazu auf einem coolen Label wie Tri Angle, wo sonst das Epizentrum des Witch House sitzt.
Man merkt schon: Das ist alles natürlich ein bisschen ein vorgegaukeltes Lagerdenken und ein zusammenkonstruierter Kokolores. Die Neuerfindung des Justin Timberlake als R’n’B-Superstar durch die Neptunes und Timbaland wurde vor Jahren schon quer durch die Szenen für gut befunden, insgesamt findet aktuell einfach wieder eine noch stärkere, rhizomatisch sich weiterbewegende gegenseitige Durchdringung vermeintlich unterschiedlicher Weltsicht-Modelle statt. Die großen Stars wollen plötzlich mehr „Indie“ sein, die anderen wollen von ihren Schlafzimmer-Studios aus auf einmal großen, gleißenden Pop erfinden, what else is new, danke, Post-Internet.
Autre ne Veut
Dass R’n’B in der jüngeren Vergangenheit aber dennoch häufiger an Orten aufgetaucht ist, an denen er für gewöhnlich kaum stattfindet, nämlich in schattiger Bastler-Elektronik jenseits der Charts (wieder: Witch House), ist trotzdem wahr. Falls irgendetwas demnächst also wieder „Hipster-R’n’B“ heißen muss, dann soll es bitte Autre Ne Veut sein. Der Brooklyner Produzent Arthur Ashin war bislang auf Labels wie Olde English Spelling Bee und Hippos in Tanks zu Hause, wo für gewöhnlich Menschen wie Stellar Om Source, James Ferraro oder Laurel Halo an außerweltlichen Sounds schrauben – sein nächstes Album wird bei Software erscheinen, dem Label von Synth-Wizard Oneohtrix Point Never.
Der Vorbote zum Album ist das Stück „Play By Play“ und man muss sich nicht besonders bemühen, um zu bemerken, dass Herr Autre Ne Veut wohl sehr viel Ushers „Climax“ gehört hat – einen der großen Konsens-Songs des letzten Jahres. „Play By Play“ ist eine komplette Sich-Einverleibung von R’n’B-Standards. Die erste Minute des Songs ist ein einziges Intro, in dem ausgiebig mit Sehnsucht im Körper das Wort "Baby" gehaucht wird, auch die Sätze „I Need You Now“ und "Don't Leave Me" werden später noch gesungen werden. "Play By Play" ist dabei keineswegs eine stumpfe Parodie, sondern viel mehr bei absoluter Ernstmeinung eine Überhöhung ins prunkvollste Licht.
Eine konstante Steigerung, die keine Angst hat vor dem ganz großen Gefühl und der besten Liebe. Wäre dieses Stück von Justin Timberlake und seinen Helfern, es würde zu Recht als die Zukunft und Neuerfindung des Pop in die Welt posaunt werden. So ist es einfach ein wahnsinniger, ein vor Leben, Lametta und Schweiß sprühender, ein gigantischer Hit. Und tatsächlich einmal wieder die Überwindung von manch merkwürdiger Grenze in unseren Schädeln.