Erstellt am: 2. 2. 2013 - 14:31 Uhr
Nach dem Herrenwitz
Keine Woche ohne Aufschrei. Die sozialen Netzwerke mit ihren ichgläubigen Statements und die um Aufmerksamkeit ringenden alten Medien köchelten die Meldung vom Herrenwitz zu einem Stakkato der Meinungen hoch. “Haben wir einen verdecktes Sexismusproblem?“, fragte Markus Lanz ganz offen, und Günther Jauch machte bei der neuen Twitterheldin Anne Wizorek den Komplimenttest mit Tatschhandunterstützung: „Darf ich das noch oder ist das schon Belästigung?“ Die Wogen im Netz schäumten dazu fast in Echtzeit.
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Der wie aus dem Nichts hochköchelnden Sexismusdebatte ging die Erregung über die Ersetzung des Wortes „Negerkönig“ bei neuen Ausgaben von Pippi Langstrumpf durch das Wort „Südseekönig“ voraus. „Zensur und Fälschung!“ riefen besorgte, meist weiße, meist männliche Bildungsbürger angesichts privater Verlegerentscheidungen, die damit offenbar einem Käuferbedürfnis nachkommen wollen. „Na endlich!“, schallte es zurück.
Und dann noch die Empörung über die angeblich antiislamische Ausrichtung des Lego-Bausatzes "Star Wars"! Kaum war die Meldung über einen mit freiem Auge kaum zu erkennenden Beleidigungsvorsatz da, schaffte sie es schon auf die Titelseite einer vielgelesenen U-Bahn-Zeitung. Es folgte die Dechiffrierung der angeblichen antisemitischen Grundierung der Kinderbücher Christine Nöstlingers, die wiederum im Zuge der immer noch schwelenden „N-Wort“-Debatte dem deutschen Feuilleton relevant erschien, bislang aber noch niemandem aufgefallen war.
Das alles geschah in ferner Zeit, nämlich letzte Woche. Und wer erinnert sich noch an das wochenlange Gefecht über die Frage, ob eine religiös motivierte Beschneidung männlicher Babys den Grundsätzen einer weltlichen Verfassung entspreche? Das Papier brannte gut, aber kein Holz nährte dann das Feuer des politischen Streits.
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Der Begriff Beschneidung trifft den Kern aller mit political correctness verknüpften Debatten. Offensichtlich hegen viele der selbsternannten Tugendterroropfer den Verdacht, political correctness sei nichts anderes als eine groß angelegte Kinderbuchreform. Ständig sagen einem Lehrer und andere Besserwisser, wie man sich zu verhalten und wie man schönzusprechen hat. „Nie mehr Schule!“, heißt ein Falco-Hit für Erwachsene.
Was die einen aber als Einschnitt in ihre Rede-, Religions- und Konsumfreiheit empfinden, ist für die anderen die Modernisierung eines als rückschrittlich empfundenen Brauchtums, für das es die Klinge anzusetzen gilt. Etwa, indem man den Lesefluss durch ein Binnen-I unterbricht, den „N...-Kuss“ aus dem Supermarktsortiment wirft, oder blöde Anmachsprüche und als Flirt getarnte Übergriffe zu ächten trachtet.
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Aber wo genau beginnt Belästigung und Diskriminierung? Dort, wo sich eine Person belästigt oder diskriminiert fühlt? Kann das eigene Empfinden das Maß aller Dinge sein? Droht die nach wie vor sehr beliebte Liebe am Arbeitsplatz zum Strafdelikt zu werden? Oder steuern wir endlich auf die Utopie einer machtbefreiten Sexualität zu? Und wie geht eigentlich politisch korrekte Erotik?
7 Tage on Demand
Darüber haben wir mit unseren zwei Gästen, dem Philosophen Robert Pfaller und der Journalistin Olivera Stajic - und mit euch diskutiert. Die Sendung "Im Sumpf" gibt es für 7 Tage zum Nachhören als Stream on Demand.