Erstellt am: 4. 2. 2013 - 21:03 Uhr
Keep It Hardcore
Ein nackter, trockener Drumbeat, ein paar verzerrte Töne aus der Gitarre: so könnte auch eine Grunge-Platte aus den frühen Neunzigern anfangen, oder sogar eine Post-Hardcore-Platte aus den Achtzigern. Sonic Youth, Dinosaur jr. oder Naked Lunch in ihren Anfangsjahren. Dann würde nach 20 Sekunden eine Wand aus Gitarren und Feedback einsetzen. Stattdessen erklingt eine Orgel, wie eine zurückhaltende Kirchenorgel, zu der sich sich Oliver Welters brüchiger Gesang gesellt. Keep it hardcore, keep it real. Also doch eine Reminiszenz an die Haltung der Vergangenheit? Wenn schon nicht an deren Klänge? Eher so etwas wie eine Regierungserklärung, meint Oliver Welter: "Das Stück soll gleich am Anfang die Spreu vom Weizen trennen. Ein sechsminütiger, sperriger Block, der sagen soll: Das ist jetzt so. Lass Dich ein auf die kommenden 40 Minuten oder lass es bleiben."
Der Griff in den Schmalztopf
Naked Lunch könnten es sich und uns auch einfach machen. Mindestens zwei Viertel der Band sind in der Lage, wundervolle Popmelodien zu kreieren, die man problemlos auch in den gut honorierten Wegwerfzyklus der Musikindustrie werfen könnte, zum Beispiel indem sie den Alternative-Rock ihrer Anfangsjahre bis zum geht-nicht-mehr perpetuieren. Aber Naked Lunch wollen es sich und uns nicht einfach machen: Sie wollen Beachtung für ihr Werk, denn es geht natürlich nie nur um Musik. Es geht ums Hören und nicht ums Konsumieren. Wer sich darauf einlässt, der wird belohnt mit einer rundum stimmigen Platte, die nichts auslässt: weder die gewohnt süßen Melodien und Oliver Welters gewohnt brüchigen Gesang, noch die Geschichten, die nicht von den Sonnenseiten des Lebens erzählen; die sperrigen Arrangements genauso wenig wie den Griff in den Schmalztopf.
Ingo Pertramer
Gleich die zweite Nummer, die Single "The Sun", kommt mit einem abbaesken Intro daher, das sich gewaschen hat: Die Ähnlichkeiten sind Zufall, wie die Band beteuert, aber auch logisch. Denn warum, meint Herwig Zamernik, soll man sich in der Wahl der Mittel künstlich einschränken? "Man diskutiert eh alles Band-intern aus, das ist ja auch das, was den Produktionsprozess so langwierig macht. Die Spuren sind ja schnell hinzu gefügt. Aber man ist sich ja gegenseitig ein Korrektiv, durch das schon vieles wegfällt. Warum soll man sich also die Schmalztöpfe künstlich fern halten und sich so einer Menge Mittel berauben, nach denen manche Songs einfach verlangen?"
Preisgekrönte Nebenprojekte
Universalove ist der Soundtrack zum gleichnamigen Film von Thomas Woschitz, Amerika der zu einer Kafka-Produktion von Bernd Liepold-Mosser im Stadttheater Klagenfurt. Für beide Werke haben Naked Lunch Preise eingeheimst, für ihr letztes Album This Atom Heart of Ours haben sie den Amadeus bekommen.
Fast sechs Jahre sind vergangen seit This Atom Heart of Ours. Die beiden Alben dazwischen, Amerika und Universalove, gehören als Soundtracks nicht zum eigentlichen Naked Lunch-Kanon. "Das sind mehr so Zwischenalben", meint Zamernik, "man steckt schon mehr Herzblut und vor allem mehr Zeit in die eigenen Alben als in Auftragsproduktionen. Obwohl das die Werke auch nicht schmälern soll, es steht schon nicht ohne Grund Naked Lunch drauf."
Die lange Reifezeit hört man der Platte sofort an, zum Beispiel bei den vielschichtigen, ausgefeilten Arrangements, mit vielen Stimmen, Streichern und Orgeln. Da ist zum Beispiel Shine On, das ganz reduziert beginnt, mit Gitarre und Gesang, und sich zum Ende hin zu einem fast bombastischen Chor auswächst. "Ein Hippielied", meint Herwig Zamernik, "und am Schluss sind da eben viele Hippies, und dann kommen die Punker noch dazu und die ganzen andern schrägen Vögel. Drum wird das dann so groß."
Barocke Seelensanitäter
Ins Volle geht auch Dreaming Hiroshima: das schmeichelt sich ganz sanft auf Streicherklangteppichen ins Ohr, doch wenn man dann Oliver Welter und Gastsängerin Gustav beim Singen zuhört, wird's gleich weniger schmeichelhaft: Will you tell me what happened to you / What went wrong / Now you look Hiroshima / Your words are still warm / Your legs still like heaven / Your hair is still long / But your face has turned to grey. Genau in diesem Gegensatz liegt das Sperrige, das Ausrufezeichen bei Naked Lunch: Musik als bloße Illustration einer Geschichte wäre billig und würde vor allem der Vielfalt des Lebens nicht gerecht. In diesem Sinne wäre auch das Coverbild zu verstehen: die Goldfolie, die auf den ersten Blick eine barocke Opulenz ausstrahlt, entpuppt sich beim zweiten Hinschauen als Nahaufnahme einer Rettungsdecke aus dem Erste Hilfe Kasten - oder wahlweise als Reflexionsfolie aus dem Fotozubehörkoffer.
Daddy come home now
Mama is crying
she’s locked in the bedroom
there’s blood on the floor
Angst? Horror? "So ist das Leben, Alter. Kommt schon mal vor, dass man sich wehtut, und dass es dann blutet. Passiert in den besten Familien."
Naked Lunch
So ist das nämlich auch: bei aller Dramatik bleibt "All Is Fever" mit beiden Beinen auf dem Boden. Dafür sorgen Songs wie das trockene und knöcherne, an Beck erinnernde Lonely Boy als kleine Erholung zwischendurch. Und die Rock-Verweigerung, die Naked Lunch seit Jahren zelebrieren, konterkarieren sie auf 41 mit sanft schunkelndem Bass und treibenden Drumbeats, bis es schließlich am Ende erst wieder im Sphärischen ausrinnt…
Naked Lunch on tour:
14.03. Graz, ppc
15.03. Innsbruck, Treibhaus
16.03. Dornbirn, Spielboden
19.03. Wien, Arena
21.03. Salzburg, ARGE Kultur
22.03. Linz, Posthof
23.03. Klagenfurt, Theaterhalle 11
24.03. Klagenfurt, Theaterhalle 11
29.03. Basel, Sommercasino
30.03. Zürich, Rote Fabrik / Ziegel oh Lac
07.04. München - Feierwerk / Orangehouse
Get me more rock
more rolling more of everything
your pirate soul your body and your darkest dreams
get me this poor man's blues
to sing the whole night long
So dream, baby dream
until the morning comes
like lovers do
now we're all alone
but we're floating on
And we get bigger than the stars when we’re floating on
and we get higher than anyone ever was before
get me more of everything
get me...