Erstellt am: 30. 1. 2013 - 12:35 Uhr
Direkte Demokratie und deine Oma
"Heute ist die Volksabstimmung. Versteck schnell die Personalausweise deiner Großeltern und gehe wählen! Du!", stand in einem Blog diesen Sonntag. Dieser Blog stammt aus Bulgarien, wäre aber eine Woche früher durchaus als österreichischer durchgegangen. Am letzten Sonntag wurde die erste Volksbefragung in der demokratischen Geschichte Bulgariens durchgeführt. Eine Woche nach den Österreichern, die entschieden haben, die Wehrpflicht zu behalten, hat die Mehrheit der Bulgaren, die ihre Stimme in dieser Volksbefragung gegeben haben, gewählt, dass in ihrem Land ein neues Atomkraftwerk gebaut werden soll. Gott sei Dank wurde das Ergebnis der Abstimmung für ungültig erklärt, weil sich nur 20% der Wahlberechtigten beteiligt hatten.
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Ich war nicht beim Militär. Ich bin froh, dass die Wehrpflicht in Bulgarien abgeschafft wurde. Laut meinem Vater ist der Aufenthalt im Heer vergeudete Zeit. Für viele ist aber die Armee ein Ort, wo man eigenständig wird und Verantwortung zu übernehmen lernt. Ich war mehrmals bei Treffen von Leuten, die sich liebevoll an die Kaserne erinnern. Für sie war das eine lustige Zeit, erfüllt durch neue Freundschaften und seelischen Frieden. Für die bulgarischen Roma z.B. war das Militär eine Möglichkeit. ihren Lebensstandard zu heben – man kriegt dreimal am Tag was zu essen, man duscht jeden Tag und die Bettwäsche wird gewechselt. Wenn es allerdings um Verantwortung geht: das Gefühl dafür würde ich mir lieber selbst beibringen. Was das Duschen angeht, ich dusche lieber, wann ich es will, und nicht, wann es mir befohlen wird.
Nach der Volksbefragung habe ich auf Facebook gelesen: „Man soll das Depot für die Atomabfälle in jenen Orten bauen, wo die Mehrheit der Leutefür ein neues AKW ist“. Ich bin unter der atomaren Tschernobylwolke geboren und alle meine Assoziationen mit der Atomkraft sind apokalyptisch. Die Omas und Opas in Bulgarien aber haben jetzt entschieden, dass ein neues Atomkraftwerk gebaut werden soll. Vielleicht, weil das Projekt „Belene“ sie an ihre Jugend erinnert. Es existiert seit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals schon begann in dem Donaustädtchen der Bau des zweiten bulgarischen Atomkraftwerks nach sowjetischem Muster. Tausende von Arbeitern aus allen sozialistischen Ländern kamen nach Bulgarien, um bei der Errichtung mitzuwirken. Lenin meinte ja, dass Kommunismus aus „Elektrizität und Sowjetmacht“ besteht. Damit es den Arbeitern gut geht, wurde für die Ungarn und die Polen ein Plattenbaukomplex in unmittelbarer Nähe zur Baustelle errichtet. Für die Vietnamesen und die Kubaner dagegen baute man nur Baracken. Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Kollaps des Kommunismus in Europa wurde das Projekt „Belene“ auf Eis gelegt. Heute sieht die Plattenbaustadt neben den Atomkraftwerk Belene aus wie die Kulisse für einen postapokalyptischen Film.
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In den letzten 20 Jahren hat die mächtige (russische) Atomlobby in regelmäßigen Abständen versucht, das Projekt „Belene“ wieder auferstehen zu lassen. Die jetzige Volksbefragung wurde von der von den ehemaligen Kommunisten abstammenden Bulgarischen Sozialistischen Partei initiiert. Man verließ sich auf die Rhetorik von der „ehemaligen Größe“; sprach von „tausenden Arbeitsplätzen“, um ihre Wählerschaft zu mobilisieren. Die regierenden Populisten von GERB dagegen haben ihren Standpunkt im Laufe ihrer Amtszeit mehrmals geändert - zuletzt haben sie sich gegen Belene geäußert, konnten aber ihre Wähler nicht zur Urne bewegen. Die Anhänger der bürgerlichen Partei blieben am Wahltag massenweise zu Hause.
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Die Gemeinsamkeit von Volksabstimmungen in Bulgarien und Österreich ist, dass mehrheitlich die Bewohner kleiner Ortschaften zur Wahl gegangen sind. In Bulgarien sind das die Anhänger der ehemaligen Kommunisten, in Österreich die der Christlich-Konservativen. Das bringt mich jetzt in Schwierigkeiten – in Bulgarien gelte ich als schwarz und in Österreich eher als rot. Die Richtungen der europäischen Politik sind anders als die im „normalen Leben“. Irgendwo ist links rechts und anderswo ist andersrum... Eines ist aber sicher – man soll wählen gehen, sonst entscheiden immer die Großeltern für dich.