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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

2. 2. 2013 - 00:14

Gehirnjogging deluxe

Im psychedelischen First-Person-Puzzler "Antichamber" werden Spieler bis an ihre Grenzen getestet.

Antichamber Logo

Alexander Bruce

Wie lernt der Mensch? Am besten durch Versuch und Irrtum, durch Beobachtung, Ausprobieren und das Ziehen eigener Schlüsse. In gewisser Weise liegt genau darin auch ein Reiz von Videospielen: Sie stellen uns immer wieder vor Herausforderungen, an denen wir uns so lange versuchen, bis wir mit einem Gefühl des Triumphs die Hürden aus eigener Kraft überwinden. "Beating the game", das Spiel Besiegen, ist eine starke Motivation - ob in "Super Meat Boy" oder "Super Hexagon", wo uns das Letzte an Präzision und Reflexen abverlangt wird, oder in Rollenspielen wie der "Mass Effect"-Reihe, in denen wir durch kluge Entscheidungen den optimalen Weg durch das Labyrinth der Story finden.

Schade eigentlich, dass es uns viele Spiele heutzutage so einfach machen: Von ellenlangen Tutorials über zuschaltbare Hilfen bis hin zur Möglichkeit, per Autopilot ganz der spielerischen Prüfung enthoben zu werden, reicht die Palette der unterstützenden Tricks, die den Fetisch "Spielspaß" über die Idee des Spiels als Prüfung stellen.

Antichamber Start

Alexander Bruce

In Antichamber, videogame plays you

"Antichamber" macht da nicht mit. Der First-Person-Puzzler in hinreißend origineller Optik, die zuweilen an die geometrischen Unmöglichkeiten eines MC Escher erinnert, nimmt seine Spieler ernst und vertraut auf Überforderung als Lehrkonzept. Hier ist eine Welt, die ganz ihren eigenen Regeln gehorcht. Erklärt wird wenig, die Hinweise sind kryptisch. In den stylishen Korridoren des Indie-Spiels, das seit drei Jahren in Arbeit ist und schon vor seiner Veröffentlichung so gut wie alle großen Independent-Awards abgeräumt hat, verlässt uns auch unsere Orientierung. Rückwege verändern sich, optische Illusionen und clevere Tricks machen die normalen Grenzen von Raum und Zeit unsicher.

"All you need to know", steht an der Wand der ersten Kammer, die zugleich als Menü und Startraum dient, und die hier lakonisch angebrachten Hinweise zu Tastatursteuerung und Grafikoptionen sind schon der erste Hinweis darauf, dass hier nicht unsere Spielfigur geprüft wird, sondern wir selbst.

Antichamber

Alexander Bruce

Es ist vielleicht ein gewagtes Experiment, auf Intelligenz und Ehrgeiz des Publikums zu setzen, doch "Antichamber", das Werk eines einzigen Schöpfers, des Australiers Alexander Bruce, schafft es bravourös, uns in seine verunsicherte Realität hineinzuziehen. Selten gab es ein Spiel, das im Minutentakt mit derart originellen Rätseln überrascht und immer wieder unkonventionelles Um-die-Ecke-Denken einfordert.

Dabei baut Bruce trotz Nichtlinearität auf eine grandios umgesetzte Lernkurve: Zu Beginn stehen wir noch ohne Werkzeug da, doch verschiedene Versionen einer "Kanone", die uns farbige Blöcke aufsammeln und wieder anordnen lässt, eröffnen Wege, wo zuvor nur Sackgassen waren und erlauben es uns, mit neuen Instrumenten an bislang ungelöste Probleme heranzutreten. Kein Wunder, dass Bruce selbst "Metroid" und seine offene Spielewelt als Inspiration für sein "non-euclidic psychological exploration game" nennt.

Psychological Exploration Game

Trotz aller Kniffligkeit ist "Antichamber" dabei aber stets fair und nie unnötig langatmig. Ein Druck auf Escape führt uns zurück zum Startraum, von wo wir bequem zu den einzelnen bereits erforschten Räumen reisen können. Die simple, aber unnachahmliche Grafik vermittelt gemeinsam mit einem Ambient-Soundtrack und sparsam eingesetzten Soundeffekten eine abstrakt-klinische Atmosphäre, in der nur das Wesentliche gezeigt wird. Alles kann ein Hinweis auf die Lösung der zum Teil sehr herausfordernden Rätsel sein, deren Überwindung stets das berauschende Gefühl vermittelt, wirklich etwas geschafft zu haben. Abwechslung ist dabei Trumpf: Kein Rätsel wiederholt sich, und nur allzu oft muss das in vorigen Räumen Gelernte neu gedacht und originell kombiniert werden, um weiterzukommen.

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Alexander Bruce

Nicht schummeln!

Es ist schade, dass bereits in Kürze unzählige Walkthroughs und "Let's play"-Videos diesem Ausnahmetitel sein Mysterium rauben werden; wer schummelt und statt eigenem Ausprobieren, Tüfteln und dem folgenden Aha-Effekt ungeduldig die richtige Lösung nachschlägt, bringt sich nicht nur um den Spaß an einem wirklich besonderen Titel, sondern auch um die Befriedigung, Hürden überwunden zu haben.

"Antichamber" ist soeben für Windows erschienen.

Antichamber

Alexander Bruce

"Antichamber" ist ein faszinierendes Stück Gamedesign, optisch einzigartig und eine wirkliche Herausforderung in Zeiten von spielerischer Unterforderung. Wer Freude am Entdecken, Ausprobieren und Erforschen komplexer, aber dabei immer origineller Probleme hat, ist es sich schuldig, Alexander Bruces Testkammern zu betreten - es gab seit dem cleveren Puzzle-Design von Valves großem "Portal" kein Spiel, das die Kreativität und Gewitztheit seiner Spieler mehr gefordert hat.

Die langen Jahre der Entwicklungszeit haben sich gelohnt, und auch die Vorschusslorbeeren waren gerechtfertigt: Genau so müssen intelligente Puzzlespiele heute aussehen.