Erstellt am: 30. 1. 2013 - 06:00 Uhr
Das unsichtbare Kraftwerk
NASA / Radio FM4
Clean, Green & Forever
Die Woche der erneuerbaren Energien auf FM4.
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Österreich ist topographisch gesegnet: hohe Berge bedeuten erstens viel Niederschlag und zweitens große Gefälle bei den Flüssen, sodass fast 55% des Strombedarfs durch Wasserkraft abgedeckt werden könnten. Um eine Energiewende herbeizuführen, bräuchten wir entweder neue Kraftwerke oder die Hinwendung zu einer weniger energieintensiven Lebensweise.
Ein Sinneswandel jedoch braucht bekanntlich seine Zeit, und bei Kraftwerksneubauten steigen vor allem Bürgerinitiativen auf die Bremse. Große Wasserkraftwerke bringen gigantische und irreversible Eingriffe in die Natur mit sich, Windräder sind laut und "verschandeln" die Landschaft etc.; die Argumente liegen sozusagen auf der Straße. Die Idee von einer „Stromboje“ aber wirkt wie die eierlegende Wollmilchsau schlechthin: Eine Stromboje benötigt keine großen Bauten, ist nahezu unsichtbar, erzeugt keinen Lärm und kann nahezu rückstandsfrei wieder entfernt werden. Ist sie die Energieversorgung der Zukunft?
Aqualibre
Die Kraft des fließenden Wassers nutzen
Die Idee, die kinetische Energie des Wassers zu nützen, ist alles andere als neu, mit Wasserrädern wird dieses Prinzip schon seit tausenden Jahren umgesetzt.
In Weißenkirchen in der Wachau ragt seit 2006 eine gelbe Flosse samt Plastikschwimmkörper aus der Donau. Unter Wasser bewegt sich ein Rotor, der über einen Generator Strom erzeugt. Dass die starke Strömung des Flusses eine unglaubliche Kraft ausübt, weiß der Industriedesigner Fritz Mondl aus der Freizeit:, oft genug hat Mondl gegen die Strömung der Donau angepaddelt. Allerdings ist es gar nicht so einfach, diese gewaltige Kraft für die Stromerzeugung zu nützen. Wasserräder haben nämlich zwei gravierende Nachteile, wie Fritz Mondl erzählt: Erstens weisen sie einen geringen Wirkungsgrad auf und zweitens drohen sie bei Hochwasser zu verklausen; wenn sich Treibgut an ihnen sammelt, kann sie das sogar mitreißen.
Die Stromboje wird bei Hochwasser zum U-Boot
Der durchschnittliche Stromverbrauch eines österreichischen Haushalts betrug 2011 laut Statistik Austria 4.685 kWh.
Diese Nachteile im Kopf, hat Mondl den Prototyp seiner Stromboje entworfen. Durch einen Diffusor hinter dem Rotor wird der Wirkungsgrad enorm gesteigert. Das aktuelle Modell, die „Strom Boje 3“ hat eine Maximalleistung von 70 Kilowatt und eine Jahresgesamtleistung, die im besten Fall über 50 Haushalte versorgen könnte.
Seine Stromboje hat sich Mondl patentieren lassen: sie ist mit einer vierzig Meter langen Kette am Flussgrund verankert. Bei normalem Pegelstand schwimmt sie an der Wasseroberfläche und ihre Kette liegt großteils am Grund auf. Wenn der Wasserpegel allerdings steigt und damit die Strömung zunimmt, wird die Kette gespannt. Ihr Gewicht, die Strömung und der nachlassende Auftrieb drücken die Boje nun unter Wasser. Sie taucht unter dem Treibgut durch – das entscheidende Argument für den Einsatz in der Donau, wo sie durch die starke Strömung Höchstleistung erbringen kann.
FM4/Simon Welebil
Allerlei Bedenken
Fünf Jahre hat es von der Idee zur Stromboje bis zum Prototyp unter Wasser gedauert (und mindestens noch einmal so lang, um alle Genehmigungen für die Einbringung mehrerer Strombojen in die Donau einzuholen), denn es gab allerlei Bedenken: Die Schifffahrt hat in den Bojen Hindernisse gesehen, die Fischer fürchteten, dass Fische im Rotor der Stromboje zerhäckselt werden und Naturschützer sorgten sich um den Weltkulturerbe-Status der Wachau.
Mittlerweile sind (fast) alle Bedenken ausgeräumt. In Versuchen wurde nachgewiesen, dass Fische unverletzt durch den sich langsam drehenden Rotor schwimmen können. Taucher werden ohnehin durch den Rechen, der die Boje vor Treibgut schützt, ferngehalten. Mit der Schifffahrt wurde vereinbart, einen Mindestabstand zur Schifffahrtsrinne einzuhalten und auch die Landschaftsschützer haben ihren Einspruch zurückgezogen. Mondls Firma Aqualibre ist jetzt auf dem besten Weg, alle Bewilligungen zu erhalten.
Potential der Stromboje
FM4 Simon Welebil
In Serienproduktion soll eine Stromboje ca. 300 000 Euro kosten, eine Investition, die sich nach ungefähr zehn Jahren rechnen könnte. Bei einer prognostizierten Lebensdauer von 25-30 Jahren klingt das nach einer Investition, die sich wirtschaftlich noch schneller auszahlt, wenn man den Strom nicht ins Netz einspeist, sondern selbst verbraucht. Deshalb zielen die Produzenten auch vor allem auf Kommunen und Privatabnehmer als auf Geschäftskunden – doch hat auch die EVN, der große niederösterreichische Stromkonzern, bereits eine Kleinserie von Strombojen in Auftrag gegeben.
Alle bisher aufgeführten Eigenschaften der Stromboje lassen sie wie das Kraftwerk schlechthin erscheinen, doch im Leistungsvergleich mit konventionellen Staukraftwerken kann sie dennoch nicht mithalten. Würde man in ganz Österreich Strombojen einhängen (an der Donau, abschnittsweise am Rhein, Inn, der Salzach, Traun, Enns, Mur, Drau und viellelicht auch an kleineren Flüssen), dann könnte man laut Mondl maximal eine Jahresleistung von zwei Terawattstunden erzeugen, also umgerechnet ca. 430 000 Haushalte mit Strom versorgen.
Energieautarke Wachau
Die Stromboje ist also ein Nischenprodukt und kann konventionelle Wasserkraftwerke zwar nicht ersetzen, stellt aber eine gute Ergänzung dar. Vor allem in Gebieten, in denen keine Staukraftwerke gebaut werden sollen und dürfen, könnte die Stromboje gute Dienste leisten.
In der Wachau hatte man jahrelang gegen die Errichtung eines Laufkraftwerks bei Dürnstein gekämpft. Mit den Strombojen könnte die Region jetzt dennoch energieautark werden. Das ist zumindest die Vision, mit der Fritz Mondl an die Wachauer Gemeinden herangetreten ist. Ob die hunderten Bojen, die dafür benötigt würden, in die Donau eingesetzt werden, ist aber noch offen.
Exportschlager?
In Fachkreisen hat sich die Stromboje während ihrer Testphase bereits einen guten Ruf erarbeitet. Sie ist 2010 mit dem Österreichischen Klimaschutzpreis und dem Energy Globe Award ausgezeichnet worden, was auch internationales Interesse mit sich gebracht hat.
Die Schweiz und Deutschland wären naheliegende Exportziele für die Stromboje, aber vor allem in Ländern wie Brasilien sehen Fritz Mondl und seine Partner potentielle Kunden, weil die Flüsse dort noch mehr Wasser führen, als hierzulande. Außerdem: Wenn die Stromboje in Flüssen funktioniert, warum sollte man sie nicht auch ins Meer einsetzen können, um bei Strömung in beide Richtungen Strom zu erzeugen?