Erstellt am: 3. 2. 2013 - 15:59 Uhr
Tagebuch zum Jahr der Pflicht (5)
marc carnal
Nach dem "Jahr des Verzichts" im Jahr 2011 gilt es heuer, monatliche Pflichten zu bestehen. Mitstreiter sind in der Neigungsgruppe Pflicht jederzeit willkommen.
Jeden Monat stehen drei Aufgaben in Kategorien wie Handwerk, Wissen oder Selbstüberwindung zur Auswahl. Die Leserschaft stimmt darüber ab, welche Pflicht erfüllt werden muss.
Sonntag, 27. Jänner
marc carnal
● Die Haube ist fertig, die Jänner-Pflicht somit erfüllt. Ehrgeiz-Wallungen leiteten mir den Weg zum Nadelspiel, das ich für drei Stunden mit forschem Anschlag bearbeitete.
Authentisches Ablenkungsprogramm: Eine schallende Wolfram Pirchner-Heavy-Rotation-Watschn aus der TVthek.
Als ich es nach Anfertigung des grünen Streifens bewerkstellige, mich in einen kleinen Flow einzugrooven, schießt mir plötzlich ein, dass ich schön langsam daran denken muss, Maschen abzunehmen und mein Werk zu einem kopfbedeckenden Ganzen zu vollenden.
Herrschaftszeiten, ich gebe es zu: Trotz aller Bemühungen und eines gewissen Talents zur kurzweiligen Ausformulierung der Ereignislosigkeit scheitere ich gerade offensichtlich daran, das Stricken einer Haube auch nur annähernd unterhaltsam zu beschreiben. Es ist halt auch eine ungleich langatmige Chose. Der kaum vorhandene Spannungsbogen dieses monotonen Handwerks verhindert, dass mir Aufrüttelndes aus der Feder fließt.
Deshalb straffe ich den "Erlebnis"bericht: Bei den letzten Runden breche ich mir fast die Finger, vernähe den letzten Faden ohne Restambition einfach irgendwie und setze mir zur Geisterstunde meine erste (und letzte!!!) und etwas zu große selbstgestrickte Haube auf, um im Bewusstsein der ersten erfolgreichen Pflichterfüllung selig einzuschlafen.
Montag, 28. Jänner
● Praktisch: Tchibo verkauft Dia-Scanner und liefert den Virus gleich mit. Wann kommt eigentlich die große Dia-Renaissance? Wird der Dia-Projektor dereinst wieder zum Must-have im Bobo-Altbau?
● Severin Corti, der Sohn von Axel Corti, also der Corti-Sohn, schreibt in seiner Gastronomie-Kolumne: "Die Kraft der Panier oder jene der Spermien in sich zu wissen - die Wahl sollte einem doch leicht fallen." (Ich wollte ehrlich gesagt nur irgendwas zitieren, um einen Aufhänger für den Corti-Sohn-Witz zu haben. Aber der Satz hat nichtsdestotrotz einen gewissen Appeal.)
Dienstag, 29. Jänner
● Die Leserschaft wünscht, dass ich im Februar die Kunst des Morsens erlerne. Ich hoffe, es über kurz oder lang zu beherrschen (erster Morse-Gag, noch ausbaufähig). Knifflig wird, wie man die Erfüllung dieser Pflicht am besten beweisen kann. Morse-Live-Chat? Morse-Performance? Amateurfunkzeugnis-Prüfung mit freiwilligem Morsetelegrafie-Zusatz ablegen? Nö. Aber ich werd mir was überlegen.
● Auf studivz tut sich so wenig. Wird Zeit, dass da einer mal was neues erfindet.
Mittwoch, 30. Jänner
● Die liebe A. schreibt mir eine tadelnde Nachricht:
nein, nein, nein! meine innere grammatikfetischistin ist ungehalten und -wirsch! Warum die tadelnde belästigung? Eines meiner persönlichen reizthemen ist der kleine aber entscheidende unterschied zwischen "muse" (göttin) und "muße" (gemütszustand). ausgerechnet du, der du mein fels in der brandung des wogenden sprachverfalls bist, bist der grauenhaften "muse" auf den leim gegangen- oh schmerz... es herzt dich, deine freundin deutschschularbeit.
Ungefähr zehn Antworten setze ich auf, um mich aus dieser orthographischen Untat herauszureden: Die Redaktion hat beim Lektorat gepfuscht und die korrekte der falschen Schreibweise geopfert, ich wollte nur die Argusaugen der Leserschaft auf die Probe stellen, es war doch ironisch gemeint... Doch nein, beschämt, aber stramm will ich zu meinem Fauxpas stehen und mich zerknirscht bei A. für den Hinweis bedanken.
ls
Donnerstag, 31. Jänner
● Kleine Vorab-Recherche zur Februar-Pflicht: Der typische Nokia-SMS-Sound ist der Morsecode für SMS. Im Intro der ZDF-Heute-Nachrichten hört man den Morsecode für "heute". Das Reifenprofil des Marsrovers Curiosity drückt den Namen des Herstellers JPL als Morsezeichen in den Boden. Interessant.
● Es gibt sehr wenige bekennende homosexuelle Sportler und auch kaum Bi-Athleten.
Freitag, 1. Februar
● Pflicht-Kollege Josef versucht sich an den ersten mittelprächtigen Schüttelreim-Versuchen mit "morsen":
"Schlag uns in den Magen, Thorsten!",
die Masos schon vor Tagen morsten.
Das Mädchen an den Bösen morste:
"Ich hab die schönste Mösenborste!"
Das werde ich freilich nicht auf mir sitzen lassen und schon baldigst zurückschlagen!
● Die Freeware "Koch Morse Trainer" runtergeladen. Das Übungsprinzip dieses Special Interest-Programmes ist, zuerst zwei, dann drei Buchstaben usw. in rasender Geschwindigkeit und mit einem unerträglichen Pfeifton in zufälliger Reihenfolge abzuspielen, bis man den Rhythmus der Buchstaben internalisiert hat. Diese Methode scheint mir erfolgversprechend, allerdings befürchte ich, am Monatsende verrückt zu sein, wenn ich mir dieses entsetzliche Gepiepse täglich reinziehe.
Samstag, 2. Februar
● Was wäre denn - rein als erfrischende Abwechslung - mal dabei, wenn die Teilnehmer-Schätzungen der Polizei und jene der Demonstrations-Veranstalter nicht so absurd auseinanderklaffen?
● Mittelprächtige Schüttelreim-Versuche mit "morsen":
Sieht auf hoher See man Korsen,
ist es besser, man kann morsen.
Ich jauchze, weil du mich erkorst
und mir mit viel Gekicher morst.
Im Felde oft der Jäger morst:
"Ich melde einen Hirsch im Forst!"
● Sprach-Bildungslücke: Wußte nicht, dass "erkoren" das Partizip II von "erkiesen" ist. Damit könnte man einen Werbeslogan pimpen: "Der neue Riesen - erkiesen Sie diesen."