Erstellt am: 22. 1. 2013 - 16:41 Uhr
Die größte Demonstration der 2. Republik
Die historischen Daten und Fakten sowie die Zitate hat Michael Fiedler zusammengetragen
Es war eines der großen Symbole der Zweiten Republik, die "größte Demonstration, die jemals am Heldenplatz stattgefunden hat.", wie es André Heller in Anspielung auf die "Anschlussrede" Hitlers am selben Platz ausgedrückt hat. Am 23. Jänner 1993 ziehen je nach Quelle zwischen 200.000 und 300.000 Menschen mit Fackeln, Kerzen und Feuerzeugen den Ring entlang und versammeln sich vor der Wiener Hofburg.
Sie protestieren gegen das Volksbegehren "Österreich zuerst" (medial vor allem unter "Anti-Ausländer-Volksbegehren" bekannt), das Jörg Haider initiiert hat.
APA/ Keinrath Kurt
In 12 Punkten werden darin etwa ein Einwanderungsstopp oder die "Errichtung einer Osteuropa-Stiftung zur Verhinderung von Wanderungsbewegungen" gefordert. Es herrscht allgemein eine aggressive Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten, aufgeheizt durch wilden Populismus – von den Arbeitsplätzen, die "sie uns wegnehmen" bis zum verallgemeinerten "Sozialmissbrauch". Die früher sehr willkommenen "Gastarbeiter" wollen nicht mehr gehen, sie fordern auch noch Rechte!
Das Volksbegehren und die ausländerfeindliche Stimmung überschreitet offenbar eine Grenze, "SOS Mitmensch" wird noch im Dezember 1992 gegründet und organisiert die Demonstration in der Wiener Innenstadt. Sie rechnen mit 100.000 TeilnehmerInnen an der Demo. Doch die Zivilgesellschaft ist erwacht und stellt sich mit ungeahnter Kraft gegen das "Anti-Ausländer-Volksbegehren".
APA/Ulrich Schnarr
Zwei Tage später beginnt die Unterzeichnungsfrist für das Volksbegehren. Die FPÖ geht von einer Million Unterschriften aus, am Ende sind es 416.531. Kurz darauf tritt eine längst von der Regierung beschlossene Reform des Fremdenrechtes in Kraft, die erste in einer Reihe bis heute schnell aufeinander folgender Verschärfungen. André Heller prophezeite damals: "Dieses Volksbegehren wird lange vorbei sein und niemand wird mehr davon reden und wir werden unsere Arbeit noch immer tun müssen." Und tatsächlich: SOS Mitmensch ist auch heute noch als NGO aktiv und tritt gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Diskriminierung ein.
Interview mit Christoph Virgl
Das ganze Interview mit Christoph Virgl gibt's ab morgen auch im Interview-Podcast!
Der Politikwissenschaftler und Protestforscher Christoph Virgl über das Ausländervolksbegehren und seine Zeit, und was davon bis heute geblieben ist:
Vor mittlerweile 20 Jahren hat das damalige "Ausländer-Volksbegehren" der FPÖ beim Lichtermeer bis zu 300.000 Menschen auf die Straße gebracht - die größte Demonstration der 2.Republik. Könnte man heute mit diesen Themen oder Formulierungen so viele Menschen auf die Straße bringen?
Da muss man weiter ausholen: In Österreich hat die Aufarbeitung des Nationalsozialismus durch den Fall Kurt Waldheim erst 1986 begonnen. Das war gleichzeitig das Jahr des Aufstiegs Jörg Haiders in der FPÖ. Bis in die Neunziger war das Thema als Single Issue der FPÖ besetzt. Und das in einer sehr großkoalitionären Atmosphäre, die stark den Aufstieg Haiders und der FPÖ beobachtet hat und sich eher vor dem Thema gefürchtet hat, als es zu problematisieren bzw. kluge Verbesserungen zu machen.
Wenn der öffentliche Diskurs heute so geführt würde, wie er damals geführt wurde, ist damit zu rechnen. Vielleicht sogar mit mehr zu. Allerdings war das Lichtermeer und das Volksbegehren der größte Glücksfall der Bewegungsgeschichte in Österreich, weil in der Gefolgschaft eine Diskurs-Veränderung über die Frage der Ausländerpolitik stattgefunden hat. Die war damals sehr stark monopolisiert von der FPÖ unter Jörg Haider und der kleinformatigen Boulevardpresse. Hier gab es eine Gegenmobilisierung gegen einen Mainstream, der eine Schlagseite hin zur Gleichsetzung von Ausländern und Kriminellen hatte.
APA/Ulrich Schnarr
Es heißt über dieses Volksbegehren auch, dass es erstmals ein Tabu gebrochen hat: Dass das schon noch einmal ein Schritt weiter war in dieser Ausländerfeindlichkeit, die die FPÖ damals gefahren hat, diese Forderungen so konkret hinzuschreiben. Sehen Sie das anders oder würde Sie das auch so sehen?
Die FPÖ hat zu diesem Zeitpunkt keine großen Chancen gehabt, Wahlen zu gewinnen. Da macht man so etwas wie ein Volksbegehren, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Noch dazu mit einem so schlagenden Titel wie "Österreich zuerst", um hier sichtbar zu machen, was das Thema sein soll.
Die andere Seite ist aber, dass es paradoxerweise auch ein sehr positiver Umstand war. Durch diese starke Konkretisierung und dieses negative Campaigning, gab es dann auch eine Gegenmobilisierung und diese Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit in Form dieser Großkundgebung. Diese Diskurs-Veränderung war notwendig, aber das Volksbegehren war auch der Auslöser dafür. Weil so hatte man das mal schriftlich, was sonst nur in den Medien interpretiert wurde oder bei diversen Auftritten von bestimmten Politikern als Verharmlosung oder Geschichtsverfälschung kommuniziert wurde. Das hat dann die breite Öffentlichkeit erreicht.
War es dann auch leichter, mit dieser Konkretisierung, da etwas dagegen zu setzen?
Genau. Das hat in dem Diskurs eine Veränderung gebracht, die sonst unterzugehen drohte. Es war ja schon sehr viel Porzellan zerschlagen worde: Österreich ist ja keine einsame Insel. Es gab Anfang der Neunziger in Deutschland fürchterliche Anschläge auf Asylantenheime, denken wir an Rostock-Lichtenhagen etc. Das Thema war also sehr akut und man konnte zu dem Zeitpunkt auch gar nicht sagen, ob es zu einer gewaltsamen Radikalisierung der sogenannten Ausländerfeinde in Österreich kommt. Dann muss man aber auch noch überlegen, was danach geschehen ist: Ein weiterer Glücksfall nämlich, der EU-Beitritt Österreichs, 1994 mit 66,6% Zustimmung. Das widerspricht diesem "Österreich zuerst"-Gedanken ein Jahr später schon wieder, wenn man das so interpretieren möchte. Auf der anderen Seite war das aber wieder auch die Zeit der Briefbombenattentate und des Anschlags auf die Roma-Siedlung in Oberwart.
Und in dieser Zeit war schon eine Atmosphäre da, die ein Umdenken in der Öffentlichkeit bewirkte, was so eine ganz stereotypisierte Idee des "Ausländers" betrifft. Es war ja damals nicht klar: Was ist ein Asylwerber, was ist ein Migrant, da war viel Aufklärungsarbeit notwendig.
Und noch etwas ist auf den Plan getreten: Organisationen wie SOS Mitmensch, die nicht verschwunden sind. Das heißt, hier wird das Thema immer wieder angegangen, wird mobilisiert, auf Unzulänglichkeiten in den Gesetzen hingewiesen.
In Zeitungskommentaren wird gerne konstatiert, dass das Volksbegehren zwar gescheitert ist, die Forderungen aber zum Großteil umgesetzt worden sind. Was sagen Sie dazu?
Ich bin kein Rechts-Experte, aber da liegt natürlich eine gewisse Wahrheit darin. Da gab es die langjährige großkoalitionäre Politik unter der Angst, dass die FPÖ mehr Stimmenzuwächse bekommt. Man erinnere sich zwischen 1997 und 2000 an einen Innenminister Schlögl, der damals schon sehr viel umgesetzt hat. Skandale gehörten dazu, Omofuma fiel in diese Zeit, die Operation Spring. All das waren Dinge, die die FPÖ gefordert hat. Man stand sehr unter Konkurrenzdruck und irgendwie kam es zu einem Wettrüsten, wer die restriktivere Ausländerpolitik verfolgt.
Und die Probleme sehen wir jetzt: Wir sehen das in der Votivkirche, bei der Frage der Bleiberechtsdiskussion, dem humanitäre Umgang mit Menschen,...
Man könnte auch umgekehrt fragen: Wie aktuell ist das "Ausländervolksbegehren" heute? Welche Punkte und Forderungen werden noch immer diskutiert oder gefordert?
Bestimmte Parteien, die das als ihre Hauptagenda haben, müssen erfinderisch sein, um zu unterstreichen, wofür sie stehen. Das Faktische würde ich aber von dem entkoppeln, was der öffentliche Diskurs ist. Und der öffentliche Diskurs sieht das Problem, so wie ich das beobachte, nicht mehr ganz so stark, weil die Gesellschaft sich verändert. Sie hat sich zum Beispiel auch durch den EU-Beitritt verändert. Fakt ist, dass Österreich ein Einwanderungsland war und ist und auch bleiben wird.
Sie sagen, mittlerweile gibt es mehr Informationen, die Gesellschaft hat sich verändert, man hat stärker differenziert zwischen AsylwerberInnen, MigrantInnen. Kann man sagen, es ist eine Art Konsens da, dass man Zuwanderung schon auch braucht in Österreich? Heißt das, mit so einem Volksbegehren und dieser Stimmungsmache würde man nicht mehr so durchkommen? Oder ist das sehr optimistisch gedacht?
Ich hätte diesen Optimismus gerne, aber man kann nie sagen wie schnell etwas kippt. Das ist eine politische Frage, man muss das Thema Integration ernst meinen. Es gibt Tendenzen dazu und man kann diskutieren wie weit die politische Idee dahinter in Form eines Staatssekretariats auch umgesetzt ist. Wie weit man das integriert indem man das auch finanziert. Was man ernst meint, muss man ja auch finanzieren!
Ich würde aber auf der anderen Seite nicht ausschließen, dass eine negative Tendenz entsteht, durch Unruhen in Nachbarländern und eine Opposition, die weiter versucht das Thema am Köcheln und auf der Agenda zu behalten.
Man sieht das in der Konfliktforschung: Es reichen oft kleine Auslöser für ganz große Mobilisierungen und Radikalisierungen. Wenn wir in die Nachbarländer blicken, nach Ungarn oder Italien, teilweise nach Deutschland, dann sehen wir dort gerade in Zeiten wo die soziale Lage wegen der Finanzkrise so angespannt ist und betroffene untere Schichten total entkoppelt werden und auch der Mittelstand erreicht wird – Griechenland ist so ein Beispiel – dass es hier ganz schnell zu Radikalisierungen kommt. Und eine gute Politik, eine gute Gesellschaftspolitik, muss sehr genau darauf schauen, was hier passiert.