Erstellt am: 22. 1. 2013 - 14:33 Uhr
Artist Of The Week: Delphic
Singende Geigen erfüllen den Klanghimmel. Zu der orientalisch klingenden Melodieführung gesellt sich ein trockener Beat und unterschwellig brodelnder Gesang. Sanft ergänzen breite Klangflächen im Hintergrund den Sound und mit einer ungemeinen Lässigkeit nimmt der harmonisch leicht modifizierte Refrain Fahrt auf. Funkige Gitarren und elektronische Percussionelemente mischen sich mit der Eröffnungsmelodie der Geigen und der eindringliche Gesang der ersten Single "Baiya" macht klar: Delphic sind 2013 poppiger, opulenter, wagemutiger und selbstsicherer denn je.
Veränderung bedeutet Freiheit
Wenn man "Collections" zum ersten Mal hört hat es fast den Anschein hier würde eine völlig neue Band ihre Songs präsentieren. Wo ist er hin, der tranceartige Dancesound des Debüts "Acolyte"? Was ist mit den fließenden Übergängen zwischen den hypnotischen Tracks passiert, die die Delphic-Songs zu einem DJ-Set artigen Fluss verbunden haben? Warum erinnert die vierköpfige Band aus dem Norden Englands nicht mehr so stark an die Madchester-Zeit mit ihren Helden Primal Scream, Charlatans, Happy Mondays, New Order & Co?
Delphic
James Cook, Dan Hadely, Matt Cocksedge und Richard Boardman haben in die Tat umgesetzt, wovon Musikerinnen und Musiker bei Interviews meist nur reden. Delphic haben sich mit ihrem zweiten Album "Collections" neu erfunden. Nicht so sehr aus dem schlechten Gewissen heraus, sich musikalisch nicht zu wiederholen, sondern vielmehr aus einer Unzufriedenheit heraus und der Dringlichkeit, diese zu ändern. Schon vor drei Jahren, als die vier Jungs der für sie mittelmäßigen Performance von Manchesterbands entgegen wirken wollten, war das Gefühl es fehle der Szene an guter elektronischer Live-Musik die treibende Kraft, die zu einem herausragenden Erstlingswerk führte.
Delphic
Heute war die Ablehnung der gegenwärtigen Popmusik in England die Initialzündung. Sänger James Cook war 2011 sehr genervt von all jenen Künstlern, die bei ihren recht flachen Songs den Gesang hinter aufpoliertem Synthiesound versteckten. Die Begeisterung für Sängerinnen und Sänger wie Beyonce oder Frank Ocean, deren Stimme im Mittelpunkt gut arrangierter Lieder steht - egal ob sie dem persönlichen Geschmack entsprechen oder nicht - bewegte Delphic dazu, ihr musikalisches Konzept komplett zu überdenken.
So hat das Quartett auch gleich mit den zwei Produzentengrößen Tim Goldsworthy (Mitbegründer von DFA Records) und Ben Allen (Produzent von Animal Collective und Bombay Bicycle Club) in Bristol und Atlanta sich ganz auf den Gesang und deren Melodieführung konzentriert. Diesen neu gefundenen Fokus hört man bei "Freedom Found" sofort heraus, das mit reduzierten Elektronikklängen der 1980iger und sanften Soundflächen einen durch die Vocals sofort gefangen nimmt. Auch das zurückgelehnte, R'n'B mäßige "Don't Let the Dreamers Take You Away", das sich während der Strophe dann doch zu einem doppelt so schnellen Groove hinreißen lässt, lebt hauptsächlich von den Stimmen, die komplett in den Vordergrund gerückt wurden.
Und wenn bei "The Sun Also Rises" der schwere Hip-Hop-Beat einsetzt und Delphic zu einem mosaikartigen Sampleteppich ihren Gesangsmelodien freien Lauf lassen, spätestens dann wird einem der überbordende Pop-Appeal der Platte bewusst. Wobei diese selbstgewählte Freiheit dem englischen Quartett überaus gut steht.
Seine Wurzel kennen bedeutet Loslassen können
Die Veränderung schlägt sich bei Delphic jedoch auf mehr als nur der Gesangsebene nieder. War das Debüt "Acolyte" noch davon geleitet, das Erbe Manchesters aufzuarbeiten, indem man versucht hat, die Gitarrenwelt mit jener der dance-igen Elektronik in Einklang zu bringen, so wirkt sich die Heimatstadt heute lediglich auf textliche Ideen oder atmosphärische Stimmungen in Songs aus. Die musikalischen Referenzen und soundtechnischen Bezüge sind auf gegenwärtige Produktionen gerichtet, vor allem aus dem Hip-Hop-Bereich. Für Sänger James Cook hatte die letzte Platte von Kendrick Lamar den in etwa gleichen Offenbarungscharakter gehabt, wie mit sechzehn Jahren Radioheads "Kid A" zu hören.
Delphic
Songs wie "Changes" und vor allem "Exotic" machen die neue Hip-Hop-Affinität hörbar. Nicht, dass Delphic zu rappen begonnen hätten, aber die Richtung Sprechgesang und trägere Beats in Kombination mit gesampleten Beat-Box-Teilen merkt man diesen Tracks stark an. Dazu verführt wurden James, Dan, Matt und Richard sicher auch durch ihre neuen "Spielzeuge". Denn der für "Acolyte" maßgebende Klanggenerator, der Synthesizer, wurde gegen einen Sampler eingetauscht. Live eingespielte Drums wurden geschnitten und mit elektronischen Pads neu eingespielt und auch verschiedenste Geräusche mutierten zu harmonischen Songelementen. Dementsprechend anders klingt auch die Produktion von "Collections". Druckvoller, breiter, epischer und streckenweise auch transparenter.
Man muss es Delpic zugestehen: Mit ihrem zweiten Album "Collections" beweisen sie nicht nur Mut, sondern auch ihre Wandlungsfähigkeit. Durch ihre permanente Auseinandersetzung mit Trends und das Abstreifen der aus Furcht geborenen Genrescheuklappen trifft das Manchester-Quartett auch mit ihren neuen Songs den guten Geschmack gegenwärtiger Popmusik. Wobei "Collections" sicher nur ein weiterer Schritt in der spannenden Entwicklung von Delphic ist.