Erstellt am: 21. 1. 2013 - 14:51 Uhr
Der seltsame Fall des Wilhelm Reich
Weitere Kinorezensionen
Der Mann hatte jüdische Eltern und war 1897 in Galizien geboren worden. Noch als Student wurde er in Wien Mitglied der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, er kannte Freud und stoß die ersten Psychoanalytiker bald vor den Kopf. Allen voran Freud. Er war Kommunist, ging 1930 nach Berlin und konnte über Norwegen noch 1939 in die USA emigrieren. Dort versuchte er, mit ziemlich unüblichen Mitteln zu heilen und machte für sich mikrobiologische Entdeckungen, die umstritten sind und keine Anerkennung fanden. Okay, schon ist klar: Wilhelm Reich war ein Mann, über dessen Leben sich Weltbilder erzählen ließen. Der österreichische Regisseur Antonin Svoboda versucht das mit seinem dritten Spielfilm.
"Der Fall Wilhelm Reich" ist leider zerstückelt wie der Schmarrn auf dem Teller des in die USA emigrierten österreichischen Psychiaters und Erfinders Reich. Erst ein bisschen Biopic, zwischendurch kurz Gerichtsdrama und zum Drüberstreuen wie Puderzucker Suspense, allein angedeutet von hageren Männern in Staubmänteln mit Hüten. Großes Kino hätte es werden sollen. Kein Zweifeln daran, würde die Synchronisation der englischen Originalfassung wiederholen.
Filmladen Filmverleih / Eva Kees
Selbstgefällig
Die Dialoge sind in ihrer Einfachheit vielleicht den Vierziger Jahren angepasst, dieser Reich jedenfalls spricht in Kalendersprüchen. In einem Haus an einem sehr schönen See forscht Reich oder er trägt Flanellhemden. Seinem treuen Assistenten rät er zu lernen, nicht zusammenzubrechen, wenn alles um ihn herum zerbricht. Dieser Reich, wie Regisseur Antonin Svoboda ihn zeichnet, hat das selbst längst verinnerlicht. Sämtliche Konflikte prallen an ihm ab, bevor sie sich entwickeln können - die Konfrontation mit der Vergangenheit durch das Wiedersehen mit der Tochter aus erster Ehe wird mit einem Tätscheln der Wange von Julia Jentsch erledigt. Die Ablehnung des wissenschaftlichen Establishments und die Anklage des Gerichts kümmern weiter nicht. Wer die nächste Lieferung Labormäuse bezahlt, interessiert nur Reichs Frau. Die Selbstgefälligkeit verkörpert Klaus Maria Brandauer als Reich ideal. Was ihn davor bewahre, nicht zu zerbrechen, insistiert der Assistent zu wissen. Wilhelm Reich bleibt die Antwort schuldig.
Regisseur Antonin Svoboda hat auch einen Dokumentarfilm zu Wilhelm Reich gedreht: "Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?" lief 2009 im Fernsehen. Auf der DVD-Ausgabe wäre die Doku wünschenswert.
Auch Antonin Svoboda will offenbar keine Antworten geben. Was an diesem Reich so besonders war, erschließt sich nicht. Wilhelm Reich hat sich mit Freud überworfen, ist in die USA emigriert und wendet sich dort von der Psychoanalyse ab und dem, was er für Physik hält, zu. Ab und an nennt ihn einer verächtlich Kommunist, den Rest der Biografie behält Antonin Svoboda dem Publikum vor. "Der Fall Wilhelm Reich" gibt sich großspurig, was kümmern da Details, wenn eine Glaubensfrage verhandelt werden will? Weltbilder wollen gegeneinander ausgespielt werden, doch wie soll das funktionieren, wenn man ihre Grundsätze nicht kennt?
Filmladen Filmverleih / Eva Kees
"Hast du die dunklen Wolken über Orgonon gesehen?"
Auch die New-Age-Bewegung konnte sich für Wilhelm Reichs Schriften begeistern, die das nationalsozialistische Regime verbrannte - zu den Werken zählt eines zur "Massenpsychologie des Faschismus - und die Regierung McCarthy verbannte.
Während Wilhelm Reich auf seinem Landsitz "Orgonon" zu Tisch im Kreise der engsten Mitstreiter, seiner Kinder und der dritten Frau Schmarrn isst, fiepsen die Labormäuse. Die Schlagzeile einer Zeitung nennt Reich "The Man who boxed sex". Er baut Holzkisten, in denen ein Mensch eine halbe Stunde im Sitzen verharren kann. Die Kisten nennt er "Orgon-Akkumulatoren", sie sollen heilen. Dass Reich der Scharlatanerie bezichtigt wird, verwundert nicht. Der Kerl erfindet Begriffe und spricht von einer "Orgon-Energie", die er entdeckt habe. Birgit Minichmayer als Laborantin schmollt mit ihren Lippen und erklärt knapp: Die Chinesen nennen es Chi, aber die bräuchten keine Beweise dafür. In seiner Zelle schreibt Reich: "Die Wiesen sind nicht mehr verwurzelt mit dem Theater der Menschen. Wir sind Feinde geworden". Noch Fragen?
Während Reich Krebsmäuse streichelt, experimentiert zur selben Zeit ein anderer Psychiater mit Menschen. Zu diesem gewissen Donald Ewan Cameron springt die Handlung unmotiviert zackig nach Montreal in einen verfliesten Keller. Dort verabreicht Cameron vermeintlich schizophrenen Patienten Elektroschocks. Düster war die Zeit, der Kalte Krieg stand erst am Anfang und die Drohung Atomkrieg drang bis zum ländlichen Anwesen "Orgonon" des Wilhelm Reich vor. Das war es auch schon wieder mit einer möglichen Geschichte. Denn die Handlung springt zwischen bestimmten Jahren hin und zurück, sie wechselt die Schauplätze und fügt sich trotzdem nicht zu einer Geschichte, die unterhalten würde. Kameramann Martin Gschlacht ist ein Meister, doch selbst seine Landschaftsbilder können nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Wüste bestimmt nicht in Arizona liegt.
Filmladen Filmverleih / Eva Kees
Der seltsamste Satz, den Birgit Minichmayr je sprechen musste
"Der Fall Wilhelm Reich" von Regisseur Antonin Svoboda lief auf der Viennale 2012 und ist seit 19. Jänner in den österreichischen Kinos zu sehen.
"It can be done", schreibt sich Reich als Leitsatz an Wände. Antonin Svoboda hat es geschafft, dass Birgit Minichmayr mit einem Satz peinlich berührt. Die Frau, die sich die Seele für einen aus dem Leib brüllen, ihre Stimme in einem Liebeslied mit Campino auflösen und mit Küchenmessern so leise drohen kann, das man als Zuschauer die eigene Haltung auf Standbild stellt. Ob sie sich manchmal frage, was das Polarlicht wirklich sei, nähert sich der Brandauer-Reich seiner Laborantin. "Ein kosmisches Entladen von Orgon-Energie oder ein atmosphärischer Orgasmus?", antwortet die Laborantin Minichmayr. In dem Moment wäre Lachen super. Nur: Es tut fast weh.