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Eva Konzett

Korrespondentin des Wirtschaftsblattes in Bukarest

20. 1. 2013 - 14:48

Der Geist, der den Diktator überlebte

Rumänien wurde nach 1989 in den Kapitalismus gestoßen. An die Stelle des sozialistischen Wertekatalogs trat die US-Serie Dallas. In der Wirtschaft heiligt bis heute der Zweck die Mittel.

Das Gesetz von Angebot und Nachfrage lässt sich in Bukarest lehrbuchhaft am Nordbahnhof erleben. In den inneren Manteltaschen der bärtigen Männer lässt sich alles finden, was das Schwarzmarktherz begehrt. Heutzutage stecken die Handy ganz oben. Und auch hier, zwischen weggeworfenen Essensboxen und Tschickstummeln giert die Welt nach iPhones. Das Fünfer-Modell etwa, in "Originalverpackung" und in weiß und schwarz. Es komme direkt aus Amerika und "bezahlt wird hier und jetzt mit fünf Fünfzigern", flüstert der Mann streng. Er lässt verstehen, dass er Euro und nicht die rumänische Landeswährung Lei sehen will.

Menschen und Plattenbauten in Bukarest

Mihai Stoica

Das Gesetz von Angebot und Nachfrage - die Rumänen haben es erst nach 1989 gelernt. Davor regierte der Sozialismus das Land und die in Durchlaufschleife gespielte Propaganda rund um den Machthaber Nicolae Ceausescu und seine Frau Elena die Köpfe - zumindest in der Vorstellung der sozialistischen Nomenklatura. Dabei hatte sich längst ein anderer Geist in den Gedanken der Menschen festgesetzt. Der Geist eines texanischen Ölclans: Die Serie Dallas war im Rumänien des Ceausescu-Regimes zeitweise offiziell erlaubt und mehr als ein US-amerikanischer Straßenfeger. "Es war für uns wie ein Löffel Sauerstoff von Zeit zu Zeit", sagt eine Frau. Eine Welt, in der die Milchflaschen gemeinsam mit einer freien Presse morgens vor die Tür geliefert wurde, während in der sozialistischen Realität kein Milchpulver für die Kinder aufzutreiben war und die Zeitungen bei realem Elend jeden Tag aufs Neue die glorreiche Zukunft des Kommunismus verkündeten.

Als am Militärflughafen in Targoviste am Weihnachtstag 1989 das Leben des Conducators Nicolae Ceausescu ebenso wie das seiner Frau Elena durch Milizgewehre beendet wurde, hatte die US-Serie sich längst im Denken der rumänischen Gesellschaft verankert - auch wenn sie im Zuge der Energie-Rationierungen der 80er offiziell seit Jahren über keinen der wenigen rumänischen Fernseher mehr gelaufen war. Einst war sie jedoch eine der ausgewählten West-Fernsehsendungen, welche das Bukarest der sozialistischen Republik erlaubte. Der moralische Morast um die Ewing-Familie hätte den Rumänen die Vorzüge der sozialistischen Lebensweise aufzeigen sollen, so hatten die Funktionäre kalkuliert. Vorrangig zeigte Dallas jedoch all das, was es in Rumänien nicht gab.

Haus mit der Aufschrift Dallas

Mihai Stoica

Die Versorgungslage wurde in Rumänien derweil auch nach der Revolution nur unmerklich besser. Der Kapitalismus allerdings war nicht mehr eine ferne Vision aus den Schwarz-Weiß-Geräten, er bestimmte in seiner - manchmal durchaus unbequemen - realen Ausführung nun das Wohl und Weh des Landes und bildete gleichsam die Grundlage des neuen Wertekatalogs einer Gesellschaft, die ihre alten Werte mit dem Diktator abgestreift hatte. So fand der neue Mensch, den die kommunistischen Machthaber einst erschaffen wollten, sein Glück jetzt im bescheidenen Konsum - bescheiden auch deshalb, weil die Wirtschaft zwar nicht mehr geplant wurde, diese Freiheit aber nur einige wenige zu nutzen wussten. Wenn auch zu ihrem Vorteil: Der Nachbar von gestern konnte so morgen schon Unternehmer ersten Ranges sein - mit Privatauto, Chauffeur und goldener Villa am Prachtboulevard Kisseleff in Bukarest.

Vorbild Ewing-Clan

Sein Handwerk hatte der neue Geldadel zumeist im Fernsehen gelernt. Die Neo-Unternehmer setzen um, was ihnen jahrelang in der fiktiven Familienvilla in Texas vorgelebt worden war. In den Schulen lernten die Tafelklassler mit Dallas-Abzählreimen den Zahlenraum bis zehn und manch einer schreckte selbst vor der Imitation nicht zurück.

Gebäudekomplex eines Dallas Nachbaus: Poolanlage

Mihai Stoica

Der Geschäftsmann Ilie Alexandru war nach der Wende mit Nippes zu Wohlstand gekommen. Dallas und vor allem die Figur des ewigen Fieslings J.R. wurden für ihn zur Blaupause seines Unternehmerdaseins, das er in Jeans, Cowboyhut und Pferdezucht auf einem der Ranch der Ewings nachempfundenen Gebäudekomplex auslebte. Er hat die Dallas-Villa Southfork eins zu eins nachgebaut, "nur zwanzig Prozent größer", wie Alexandru einst gesagt haben soll. Heute ist seine rumänische Version des Ewing-Stammsitzes verlottert. Wo in drei Hotelgebäuden dutzende Gäste Platz finden würden, zieht die extra engagierte Schnulzenband nach wenigen Liedern frustriert ab. Nur ein Ehepaar hat an diesem Abend im Herbst den Weg ins Restaurant gefunden. Ilie Alexandru selbst hat das Regelwerk von Angebot und Nachfrage am eigenen Unternehmerschicksal erfahren. Dem Bankrott folgten Jahre im Gefängnis, mehrfach war er wegen Betrugs und Steuerflucht angeklagt - mittlerweile ist Alexandru verstorben.

Leerer Pferdestall

Mihai Stoica

Der Unternehmergeist nach Vorbild von J.R. hingegen ist in Rumänien weiterhin verbreitet. Wohl in keinem anderen Land ist dieser Seriencharakter positiv konnotiert. In Rumänien aber schraubte der 2012 gestorbene Schauspieler Larry Hagman in J.R-Pose als Testimonial des Mineralölkonzerns Lukoil noch in den 1990er Jahren die Umsätze der Tankstellen landauf und landab in die Höhe. Davon, dass er die rumänische Revolution ausgelöst hatte, blieb Hagman bis an sein Lebensende überzeugt.

Auch in der lokalen Business-Welt lebt die Seele des Geschäftemachens nach J.R weiter. Der Zweck heiligt fast jedes Mittel, so die unausgesprochene Grundlage so manch eines Deals. Besonders sticht in diesem Zusammenhang das Näheverhältnis zwischen Politik und Wirtschaft hervor. Erst kürzlich schwor Premierminister Victor Ponta wiederum, einträgliche Ausnahmen bei Staatsunternehmen abzuschaffen. So ist es den staatlich kontrollierten Gesellschaften in Rumänien immer noch erlaubt, Konsulentenverträge an Beraterfirmen zu vergeben, welche Mitarbeitern des Staatsunternehmens gehören. Auch in der Infrastruktur ist es gang und gäbe, als Subunternehmer die Firmen von Verwandten des Bürgermeisters einzusetzen. Es gibt mittlerweile ausländische Investoren vor Ort, die sich auch deshalb weigern, mit öffentlichen Stellen zusammenzuarbeiten.

Das besondere Verhältnis zwischen Politik und Privatwirtschaft

Ein herausragendes Beispiel der engen Bande zwischen Politsphäre und Privatwirtschaft stellen darüber hinaus die Schneeräumungsverträge in der Hauptstadt Bukarest dar. Als vor Weihnachten wie in jedem Jahr ein Verkehrschaos ausbrach, da die Zulieferstraßen und Boulevards nicht entsprechend gereinigt worden waren, platzte Premier Ponta der Kragen. Er veranlasste die Veröffentlichung aller relevanten Verträge.

Autos sind im Schnee von Bukarest begraben

Mihai Stoica

Wie die Auflistung offenbarte, hatte die Firma Tel Drum, die dem Einflussbereich des mächtigen Generalsekretärs der Sozialdemokraten und gegenwärtigen Minister Liviu Dragnea zugerechnet wird, Verträge zur Schneeräumung in Höhe von 6,7 Millionen Euro mit dem rumänischen Staat abgeschlossen. Liviu Dragnea übte zuvor die Funktion des Kreisratspräsidenten im südlichen Landkreis Teleorman aus. Bis 2001 war Tel Drum im Besitz des Landkreises, wurde jedoch kurz nach Amtsantritt Dragneas privatisiert. Käufer war ein Schulfreund Dragneas, der die Firma nach wenigen Monaten an Studienkollegen Dragneas weitergab.

In den vergangenen fünf Jahren soll Tel Drum laut Angaben des Antikorruptionsportals romaniacurata.ro mehr als hundert Verträge mit öffentlichen Stellen erhalten haben. Das Gesamtvolumen der Aufträge beträgt umgerechnet mehr als 150 Millionen Euro. Das Unternehmen hat demnach eine quasi Monopolstellung im Infrastrukturbereich im Landkreis Teleorman. Die örtliche Presse spekuliert seit Langem, dass die gegenwärtige Eigentümerstruktur eine Fassade und Dragnea der eigentliche Strippenzieher im Hintergrund sei.

Minister Liviu Dragnea

www.hotnews.ro

Liviu Dragnea

Unregelmäßigkeiten bei zwei Projekten im Straßenbau hat auch die EU-Kommission konstatiert. Beide Trassen hätten mit finanzieller Unterstützung aus den EU-Fördertöpfen und von Tel Drum errichtet werden müssen. Nach einer negativen Evaluierung des Projektes setzte Brüssel im Sommer 2011 die gesamten Zahlungen der sogenannten zweiten Prioritätsachse des Regionalfonds aus.

Dragneas Wohlstand können solche Kalamitäten nichts anhaben. Er sitzt als einer der reichsten Mandatare im rumänischen Parlament. Nur sein Auto hat er bei der letzten Vermögensoffenlegung, die öffentliche Funktionäre in Rumänien leisten müssen, nicht mehr angegeben. Aber auch hier scheint guter Rat aus Dallas teuer. Sagte J.R. doch einst zu seiner Anwältin: "A conscience is like a boat or a car. If you feel you need one, rent it."