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Pia Reiser

Filmflimmern

21. 1. 2013 - 11:20

Der glorreiche Eine

Eine Racheballade als Hinweis auf die fehlende filmische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sklaverei: "Django Unchained" ist ein brutales Meisterstück mit exzellenter Besetzung, das einen in den Magen boxt.

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Man kann Zahnärzten nicht vertrauen, das ahnen auch die beiden Sklavenhändler, die eine Gruppe von Schwarzen in Fußfesseln durch karge texanische Wüsten und Wälder treiben. Es ist das Jahr 1858 und ein großer, munter hoppelnder Zahn, befestigt mit einer Stahlfeder auf dem Dach einer Kutsche ist das erste Zeichen für die Ankunft des deutschen Dr. King Schultz. Wohl nach "Inglourious Basterds" die zweite Rolle von Christoph Waltz unter der Regie von Quentin Tarantino, für die er einen Oscar bekommen wird.

christoph waltz

sony

Dass ihn Name und Beruf zu Dr King machen, ist wohl kein Zufall

Racheballade

Die beiden gleichsam maulfaulen wie abweisenden Sklavenhändler werden die nächsten vier Minuten nicht überleben. King Schultz, ein eingewanderter wie wortgewandter Mann mit respektablem Bart ist auf der Suche nach einem Sklaven namens Django (Jamie Foxx), der ihm bei der Identifizierung der Brittle Brüder helfen soll. Schultz will die Brittles erschießen und die Belohnung kassieren; er ist nicht nur Zahnarzt, sondern auch Kopfgeldjäger und Django wird sein Kompagnon.

Mit dem Ablegen der Fußfessel und dem kraftvollen wie symbolträchtigen Abwerfen der dünnen Decke, die Django um die Schultern gelegt hatte, beginnt dann die epochale, blutige und - ebenfalls symbolträchtige - Geschichte um Rache und Emanzipation. Quentin Tarantino entwirft einen opernhaften Drei-Akter der großen Gesten und großen Worte, pflückt sich Themen, Bilder und Konventionen vom Spaghetti- und vom Blaxploitation-Western-Genrebaum und lässt malerisch Blut auf Baumwollfelder spritzen.

Christoph Waltz und Jamie Foxx in "Django Unchained"

sony

Spaghetti- und Blaxploitation-Western

Dass sich die deutschsprachige Kritik besprechungs- und analysetechnisch hauptsächlich auf die Einflüsse des Italowestern stürzt, liegt wohl daran, dass der Vertrauteres birgt als Filme wie "The Legend of Nigger Charley". Das herausragende an "Django Unchained" sind aber nicht die schnellen Zooms auf ein Bösewichts-Antlitz, wie man sie aus Sergio Leones Italo-Western kennt oder ein sich selbst genügender, ziemlich naseweiser Cameo von Franco Nero, dem Original-"Django", der Jamie Foxx den wohl jetzt schon legendären Satz, die Aussprachehilfe The D is silent zuraunt.

Die Wucht und Faszination von Tarantinos zweitem revisionistischen Blick auf Geschichte kommt daher, dass Tarantino wie kaum ein anderer dem reinen Zitat neues Leben einhauchen kann. "Django Unchained" bringt Bilder und eine Erzählung hervor, die man so bisher nicht kannte, die mit dem Gewohnten bricht und die zwar die Geschichte nicht ändern kann, aber der Filmgeschichte und ihrem Umgang mit der Geschichte der Sklaverei in den USA einen ordentlichen Arschtritt verpasst. Das beginnt mit einer einfachen Szene mit umso größerem Effekt: Nicht nur die Einwohner eines kleinen Städchens, durch das Django und King Schultz reiten, staunen: Ein Schwarzer auf einem Pferd, das haben sie noch nie gesehen.

sony

Den meisten im Kinosaal wirds wohl ähnlich gehen, (wir wollen jetzt nicht "Wild Wild West" mehr Gewicht verleihen, als er verdient hat), und wer sich nicht explizit für Blaxploitation-Western interessiert, für den ist Jamie Foxx hoch zu Ross ein eindringliches Bild und eine eindrucksvolle Erinnerung an das Fehlen der schwarzen Bevölkerung im US-Western. Die gehen fast über vor edelmütigen Weißen, dem Frontier Spirit und dem Stärken des Images der USA als land of the free, wie es in "Star Spangled Banner" besungen wird. Nun, die besungene Freiheit traf nur auf einen Teil der Bevölkerung zu. "I was always amazed so many Western films could get away with not dealing with slavery at all," so Tarantino. "Hollywood didn't want to deal with it because it was too ugly and too messy. But how can you ignore such a huge part of American history when telling a story in that time period? It made no sense."

Don Johnson

sony

Don Johnson trifft auf Jamie Foxx. Heißt auch, der Fernseh-"Miami Vice" Sonny Crockett trifft auf den Film-"Miami Vice" Ricardo Tubbs. Kann einem vor Intertextualität der Kopf explodieren?

Knalleffekt

Dass dieses Ignorieren der eigenen Geschichte geradezu paradox ist, streicht Tarantino mit Wucht und Eindringlichkeit heraus. Eine schwarze Figur, die die Zuschreibung Sklave - überwindet, abwirft wie eben Decke und Fussfessel schon in einer der ersten Szenen des Films. Damit nicht genug: Tarantino erschafft einen schwarzen Westernhelden, der schneller schießen und besser zielen kann als irgendjemandes Schatten. Er lässt Django Kopfgeldjäger, Gefährte, Liebhaber und Racheengel sein und bringt ein starkes, vielseitiges Gegengewicht zur rassistischen Stereotypisierung von Schwarzen in den - ohnehin wenigen - filmischen Abhandlungen zur Sklaverei. Und egal ob man "Django Unchained" nun als globalen Blockbuster-Blaxploitation-Western sieht oder als Spaghetti-Western mit einem schwarzen Protagnisten, der Bruch mit der Tradition und der Knalleffekt ist in jedem Fall groß.

Ähnlich groß ist auch die weiße Masche, die Django um den Hals und über einem blitzblauen Anzug trägt. Von King Schultz zum Kofgeldjäger-Kompagnon gemacht und zum freien Mann erklärt, kleidet sich Django neu ein. Der ehemalige Sklave in überladener Südstaaten-Montur, die selbst Orry Main wohl nicht mal am 4. Juli angezogen hätte. Wenn Django an seine Frau Hildi denkt, die er und Schultz aus der Sklaverei befreien wollen, dann sieht er sie in farbenprächtigen Seidenkleidern durch Wiesen spazieren und auf Schaukeln sitzen.

jamie foxx

sony

Eine schwarze Frau als Southern Belle. Und wieder schafft Tarantino ein Bild, das seine Wucht aus seiner Neuartigkeit zieht, verstärkt dadurch, dass diese Neuartigkeit in einem Genre passiert, das man zu kennen glaubt. Und etwas auf die Leinwand zu bringen, das es nicht gegeben hat in der (Film)geschichte, ergibt hier ein viel stärkeres Bild, als das sich bloß auf historische Fakten berufende Nachspielen von Geschichte. "Django Unchained" ist kein Geschichtsunterricht, das behaupten aber auch weder Regisseur noch Film. "Django Unchained" ist eine Sichtbarmachung von Leerstellen im amerikanischen Western, eine blutige, raue und überhöhte Korrektur jener Bilder, mit denen uns die (Western)-Filmgeschiche bis jetzt gefüttert hat. "When slave narratives are done on film, they tend to be historical with a capital H, with an arms-length quality to them. I wanted to break that history-under-glass aspect, I wanted to throw a rock through that glass and shatter it for all times, and take you into it.", erklärt Tarantino seine Herangehensweise an "Django Unchained".

Siegfried und Brunhilde

Im Zentrum dieser pompösen Ballade um Rache und Selbstermächtigung steht ein fantastischer Jamie Foxx. Und so schweigsam wie Django ist, so redelustiger ist sein Kopfgeldjäger-Lehrherr Dr. King Schultz, von dem Django einiges in Sachen Theatralik übernehmen wird. Und gerade so, als müsste man im Tarantino-Universum etwas ausbalancieren, ist Christoph Waltz - im Gegensatz zu "Inglourious Basterds" - hier der gute Deutsche. Als bürokratischer Killer mit Hang zur schwurbeligen Sprache verkörpert er Zivilisation und humanistische Bildung, die er in diesem Land manchmal schmerzlich zu vermissen scheint. Als Django erwähnt, dass seine Frau Broomhilda heisst, klärt King Schultz ihn auf, dass das wohl von Brunhilde kommt und erzählt ihm die Geschichte von Siegfried, der, um Brunhilde zu befreien, durchs Feuer geht. Für Hildi wird Django zum wortkargen Siegfried, der durch Feuer und Kugelhagel gehen wird - direkt nach Candie Land.

leonardo di caprio

sony

The Candie Man can

So blumig heißt die Baumwoll-Plantage des Calvin Candie, und dort soll sich Broomhilda aufhalten. Leonardo DiCaprio lässt von jenem sadistischen Gutsherrn, der vom ständigen Naschen schon braune Zähne hat, eine konstante Bedrohung ausgehen. Wenn nun bei einem Karies-Dandy namens Candie ein deutscher Zahnarzt im Haus zu Gast ist, der in Begleitung eines freien schwarzen Mannes reist und es zum Nachtisch white cake geben soll, dann ist das nicht nur ein herrlich symbolüberfrachtetes, sondern auch ein Szenario mit drohenden Konflikten an allen Ecken und Enden.

Der überhebliche Blender Candie, der sich als frankophil bezeichnet, aber kein Französisch spricht, ist King Schultz' Antagonist. Der gebildete und der eingebildete Mann prallen aufeinander. Stop playing Beethoven, brüllt Schultz einmal eine Harfinistin in Candie Land an. Weil Kunst und Unmenschliches wie die Sklaverei nicht an einem Ort existieren sollen. Die Frau zupfte "Für Elise", ein Stück, dessen Melodie sich schon in "Inglourious Basterds" durch Ennio Morricones "The Verdict" zog. Das Stück kündigt die Ankunft des von Christoph Waltz gespielten Hans Landa an. Tarantino zitiert und invertiert nicht nur das Genrekino, das er verehrt, sondern auch sich selbst mit Bravour.

Leonardo dicaprio, christoph waltz und samuel l. jackson in "django unchained"

sony

Eine Nemesis namens Stephen

Noch theatralischer und zugespitzer als das Gegensatzpaar Schultz/Candie ist allerdings Djangos Nemesis. Samuel L. Jackson gibt eine unheimlich-verstörende Darstellung als Hausbutler Stephen, eine Art Vaterfigur für Calvin Candie, ein bessergestellter Sklave, eine grausame Karikatur der "Onkel Toms" und "Onkel Bens". Stephen ist der Gegenpol zu Djangos Auflehnung gegen das groteske und unmenschliche System der Sklaverei. Stephen macht sich das System zunutze. Ist Candie loyal ergeben und unerbittlich im Durchsetzen von Bestrafungen der anderen Sklaven.

Jacksons Spiel ist unangenehm, furcheinflößend und verstörend. Weil es nicht nur die zutiefst falschen und schrecklichen Funktionsweisen der Sklaverei aufzeigt, sondern auch, weil es ein beliebtes Stereotyp der Hollywood'schen Geschichtsschreibung vorführt und dekonstruiert: Der Sklave, der gern und glücklich als Sklave lebt. You two will hate each other, hat Candie wohl einen seiner helleren Momente, als er Django und Stephen einander vorstellt.

samuel l jackson

sony

"Django Unchained" läuft seit 18. Jänner 2013 in den österreichischen Kinos. Und genau dort sollte man ihn auch anschauen, sonst hat man ihn eigentlich nicht gesehen.

Unter anderem mit einer Figur wie Stephen, die einem Magenweh verursacht, die widersprüchlich und komplex ist und die einen lange nicht loslässt, schafft Tarantino einen ganz anderen Effekt als die Filme, die sich als "Geschichte unter Glas" oder Message Movies verstehen. Die entlassen einen meist mit einem distanzierten Gefühl vom kathartischen "Na, schrecklich war das schon" aus dem Kino. "Django Unchained" aber als epochaler, mitreißender und brutaler Kommentar zu Geschichte und Filmgeschichte zwingt einen geradezu zur Auseinandersetzung. Die zahlreichen und umfassenden Analysen und Kritiken von "Django Unchained" - vor allem in den USA - zeigen, dass es funktioniert hat.