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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

28. 1. 2013 - 12:53

Auf dem Schotterweg

Die Bestsellerautorin von "Bitterfotze" hat einen bedingt überzeugenden Roman über sexuelle Gewalt gegen Frauen geschrieben.

"Er stand auf dem Schotterweg und starrte sie direkt an. Strich sich zerstreut über den dicken Bauch, der viel zu groß war für die dünnen Beine in der kurzen Hose. Sorgfältig und ruhig wischte er sich mit einem weißen Taschentuch den Schweiß von der Stirn, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen (...) Alles, was dann in diesem Sommer und Herbst geschah, begann genau dort, mit dem Mann, auf ihrem Schotterweg."

Buchcover "Häschen in der Grube"

KiWi Verlag

Was mit einem Exhibitionisten im Wald beginnt, gerät zu einer Tragödie griechischen Ausmaßes rund um die Freundinnen Emma und Julia. Beide sind 13 und werden nach dem Sommer in die Oberstufe kommen. Emma ist die Tochter von Alleinerzieherin Annika. Bei ihnen zu Hause gibt es schon mal Essen vom Pizzaservice und Rotwein. Julia wiederum wohnt in einer herrschaftlichen Jugendstilvilla. Mutter Gisela ist immer perfekt geschminkt und eine pingelige Hausfrau, abends steht Hausmannskost auf dem Tisch. Trotzdem ist bei Jullia nicht alles so normal, wie es von außen scheint. Etwa, wenn die Eltern streiten:

"Es war nichts zu hören, und das ängstigte sie fast noch mehr, als Carls Gebrüll. Hand in Hand schlichen sie die Treppe hinunter, durch die Diele in Richtung Küche. In der Tür blieben sie stehen und starrten verwirrt auf die Szene, die sich vor ihnen abspielte. Gisela lag auf dem Küchentisch, Carl stand über ihr und schmierte ihr unsanft Apfelmus ins Gesicht. Sie jammerte und schniefte, lag jedoch ganz still."

Das Versprechen von Oberstufe und Erwachsensein

Zunächst hält die „erwachsenere“ Oberstufe, was sie den erwartungsvollen 13-Jährigen versprochen hat: Eine größere Schule, eine erste Liebe für Emma, ein Schulfest mit Disco, Tanzen und Alkohol. Für Julia, die dem älteren Danne auf einen Spielplatz folgt, geht das Schulfest allerdings nicht gut aus:

"Die Strickleiter war glatt vom Frost (...). Danne half ihr das letzte Stück, dann fiel sie lachend auf den Absatz aus Holzbrettern. Sie spürte, wie Danne ihre Beine packte und sie in den Turm zog. Da war es noch dunkler aber sie musste immer noch lachen, alles drehte sich und war total verrückt. Erst als er sie anhob, um die Hose herunterzuziehen, reagierte sie, weil sie plötzlich die Kälte am nackten Hintern spürte."

Julia wird vergewaltigt. Bei späteren Untersuchungen wird klar, dass das nicht ihre erste Missbrauchserfahrung war. Ihr Vater hatte sich bereits an ihr vergangen. Als Mutter Gisela das erfährt, zieht sie mit Julia und deren kleinem Bruder Erik zu Annika und bemüht sich um Scheidung und Sorgerecht. Damit fangen die Probleme aber erst so richtig an: Später werden Anwälte rechtlichen Druck ausüben, man wird die Frauen stalken und sie verleumden - ihre Leben geraten in eine Schieflage von existentiellem Ausmaß.

Konstruiertes Lehrstück

Dieser Teil ist der interessanteste und vielleicht auch realistischste des Buchs. Etwa wenn der Polizist, der die Vergewaltigung auf dem Spielplatz anzeigen soll, konstatiert, das passiere nun mal wenn zu junge Mädchen zu viel Alkohol trinken. Wenn der Anwalt des Vaters die Kinder holen will und süffisant bemerkt, dass bei Missbrauch ja wohl Aussage gegen Aussage stünde und nichts bewiesen sei. Wenn das Jugendamt befindet, dass verzweifelte Mütter, die die Kindern vor den Tätern fernhalten wollten, hysterisch und emotional und daher weniger glaubhaft wirkten.

Maria Sveland

Leif Hansen

Maria Sveland

Der Rest des Buches klingt leider so, als hätte Maria Sveland ein Lehrstück über Gewalt gegen Frauen schreiben wollen: Die Figuren wirken hölzern, die Familienkonstellationen stereotyp, die Sprache repetitiv und und uninspiriert und die Handlung konstruiert.

Bereits vor vier Jahren hat Sveland mit ihrem Buch "Bitterfotze" einen Bestseller gelandet. Darin macht eine junge Frau ihrem Frust über erdrückend enge Frauen- und Mutterbeziehungen Luft gemacht. Damit hat die Autorin vor allem in Schweden, das sich in Sachen Emanzipation gerne als Vorzeigeland versteht, für große Diskussionen gesorgt. Wenn aber "Bitterfotze" noch vom Charme des Unmittelbaren, in der Wut zu Papier Gebrachten profitieren konnte, fehlt "Häschen in der Grube" genau dieser Charme.

Die Frauen in "Häschen in der Grube" haben leider Pech gehabt. Schließlich sitzen die Männer im Rotary Club und an den Schalthebeln von Medien, Justiz und Polizei und haben schlicht die Fäden in der Hand. Auch wenn das stimmen mag, und wenn ein Happy End bei einem Roman wie diesem mehr als absurd gewirkt hätte, hätte ich mir – und zwar nicht obwohl, sondern gerade weil ich Feministin bin – eine oder mehrere Frauenfiguren gewünscht, die mehr als nur Opfer sind. Auch Männer außerhalb der Täterriege hätten dem Roman nicht geschadet. Nicht, um die Augen vor der Realität zu verschließen, sondern weil es wichtig wäre, Vorbilder zu haben, die zeigen, dass es nicht sinnlos ist, sexuelle Gewalt anzuzeigen, zu verfolgen und nicht aufzuhören, dagegen anzukämpfen. Gerade in Zeiten, wo Frauen ein Opfer-Abo unterstellt wird und wo Vergewaltigte von kirchlichen Spitälern keine Hilfe erwarten können. Zu diesem Thema braucht es dringend mehr literarischen Stoff. Mehr Stoff mit weniger Klischees.