Erstellt am: 13. 1. 2013 - 15:30 Uhr
Der elektronische Singer/Songwriter
Dem zweiten Album der Villagers eilt die Erzählung voraus, dass hier ein junger, zerbrechlicher Mann mit akustischer Gitarre nach einem vielgerühmten Debüt im Zeichen traurigen Folks nun seine Liebe für die elektronische Musik entdeckt bzw. wiederausgegraben hätte. Der irische Musikant Conor O’Brien hat das 2010 erschienene Debütalbum seines Projekts Villagers namens "Becoming A Jackal" nahezu (mit Ausnahme von Streichern und Bläsern) im Alleingang eingespielt und ist in Folge für diese schöne Platte sogleich für den Mercury Prize nominiert worden.
Villagers/Domino
- Der Song zum Sonntag auf FM4
- Über "Earthly Pleasure" macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.
- Morgen (Montag) ist Conor O 'Brien bei Robert Rotifer in FM4 Heartbeat zu Gast (ab 22 Uhr)
- Am Dienstag stellt Eva Umbauer das neue Villagers-Album ausführlich vor.
- www.wearevillagers.com
Eine Rave-Nacht im heiligen Berlin hat den mittlerweile schon auf die 30 zugehenden O’Brien der Legende nach mit dem magischen Funken des Techno beseelt und ihn in sich selbst die elektronischen Geister der eigenen Jugend aufspüren lassen: TripHop und Artverwandtes, weirdes Geblubber und Geblitzel aus der Schule Aphex Twin. O’Brien hat für sein zweites Album einerseits ein paar Menschen um sich versammelt und so Villagers (immerhin für den Moment) zu einer echten Band geformt, andererseits auch im Alleingang an Maschinen mit Strom drin und Knöpfen dran herumgedoktert, um so in Gebiete abseits des klassichen Songwritings vorzustoßen.
Das dieser Tage erscheinende zweite Album von Villagers nennt sich nun „{Awayland}“ (sehr bald dazu auf diesen Seiten mehr von Eva Umbauer) und es ist reicher und üppiger geworden als das Debüt, verspielter und vertrackter. Man muss nun aber keine Angst haben, dass O’Brien die Gitarre weggesperrt hätte und sich ganz der Göttin der geraden Bassdrum und abstrakter Synthesizer-Wizardry ergeben hätte - ähnlich vielleicht wie Thom Yorke im Vorfeld von „Kid A“ die bayrischen Indie-Elektoniker Lali Puna kurzzeitig zur neuen Lieblingsband erkoren und den gesamten Back-Katalog von Warp Records aufgekauft hat und sich fürderhin bloß noch dem guten, dem großen kosmischen Knistern widmen sollte.
„{Awayland}“ spielt sich schon noch im weiten Feld zwischen Folk, Folk-Pop, Folk-Rock und Indie ab, es geht hier um echte Lieder. Die Einflüsse der Elektronik stellt O’Brien nicht als neues, schrilles Spielzeug stolz zur Schau, er hat sie leise und behutsam ins Klangbild der Villagers eingewoben. So ist „{Awayland}“ eine Platte gleichermaßen für Freundinnen wie Feinde der Band Mumford & Sons geworden: Das Album bietet nach wie vor genügend Lockstoffe, catchy Passagen und große Refrains, um in die gemütliche Strickjacke ans Lagerfeuer zu bitten, andererseits aber wird hier eine Musik, die gerne auch in sehr angestaubten Traditionen verhaftet sein kann, mit überraschenden Drehungen und Wendungen versehen und von der anderen Seite des Spiegels aus betrachtet.
Auf „{Awayland}“ finden sich unzählige sehr gute Stücke, das zentrale „The Waves“ etwa, der „Grateful Song“ oder „Nothing Arrived“; als Vorbote, als der symptomatischste und der die Reichhaltigkeit der Platte am besten bündelnde Song darf aber vielleicht „Earthly Pleasure“ gelten: Nach dem kargen und minimalistischen Album-Opener „My Lighthouse“, das ein wenig als unaufdringliche Einführung hinein in ein berstendes Füllhorn fungiert, steht „Earthly Pleasure“ in all seiner Pracht und Opulenz an Stelle Zwei im Tracklisting und deutet daraufhin, was hier noch Großes folgen soll. Textlich finden wir uns hier in einem schwer zu entschlüsselnden Fiebertraum wieder, den sich vermutlich Thomas Pynchon, Tom Robbins und J.J. Abrams ausgedacht haben: Krieg, Zeitreise, Körperwandlung.
Sound- und Song-Ideen, Tempo-Wechsel und unterschiedliche musikalische Duftnoten sind hier gleichsam abenteuerlich wie scheinbar völlig mühelos und neue Sinne stiftend arrangiert. Mit „Earthly Pleasure“ kann man sich im verschachtelten Songwriting eines Robert Wyatt und der gauklerhaften Grandezza von Patrick Wolf wiederfinden, im schönen Pomp einer Band wie The Divine Comedy oder dem herrlichen Schmelz von Prefab Sprout und deren Meisterwerk „Steve McQueen“ baden. Ein Songwriter sein - so geht es, ohne die alten Muster gänzlich über Bord zu schmeißen, trotzdem – ohne prunkhaft vor sich her geführtem Missionierungswillen - ein kleines bisschen die Welt weiterdenken.