Erstellt am: 12. 1. 2013 - 17:38 Uhr
(Geistes-) Blitze
Berlin Verlag
Nikola Tesla hat den 2-Phasen-Wechselstrom erfunden. Ihm verdanken wir es, dass wir Licht anmachen können, den Rechner hochfahren und die Anlage aufdrehen. Mit dieser Erfindung hat er die Welt, in der wir leben, geprägt und wäre womöglich schon alleine dafür berühmt. Aber er hat auch noch so unfassbar viele andere Dinge erfunden, die wir uns heute nicht mehr wegdenken könnten: die Leuchtröhre, die Telegraphie, den Funk, die Tesla-Spule, das Radargerät und noch eine Vielzahl anderer Dinge. Nikola Tesla war der Inbegriff eines Genies.
Aber nicht nur sein Geist, auch seine Persönlichkeit und sein Lebensverlauf waren außergewöhnlich und geben deswegen eine sehr gute Vorlage für einen Roman ab. Das hat sich auch der französische Autor Jean Echenoz gedacht und die biographischen Fakten Teslas als Material für sein Buch Blitze verwendet, nur dass die Hauptfigur seines Romans Gregor Tesla heißt. Die Geschichte orientiert sich am Lebenslauf des echten Tesla. Der Autor schmückt nur wenig aus und fügt zugunsten der Geschichte ein paar fiktive Kleinigkeiten hinzu.
Blitze erzählt vom Werdegang Teslas, von seinen jungen Jahren und seiner Ausbildung, bis er schließlich nach New York geht und dort seine Karriere als Erfinder und Wissenschaftler startet. Wie in allen Tesla-Biographien kommt Thomas Alva Edison dabei sehr schlecht weg: als raffgieriger Geschäftsmann der sein Vermögen und seinen Ruhm hauptsächlich durch die Ideen anderer gewonnen hat. Echenoz erzählt über den sogenannte Stromkrieg (Gleichstrom vs. Wechselstrom), den Edison schließlich gegen Tesla verlor.
Besondere Zuneigung für Tauben
Mit seinen Erfindungen erlangt Tesla Ruhm und Vermögen, er verkehrt in den feinen Kreisen der damaligen New Yorker Gesellschaft und ist der Star jeder Party. Tesla genießt die Aufmerksamkeit und weiß sich zu inszenieren. Er ist zwei Meter groß, schlank und kleidet sich immer nach der neuesten Mode. An Frauen oder Männern hat er aber kein Interesse, was sich sein ganzes Leben lang so verhält. Dafür empfindet Tesla eine besondere Zuneigung für Tauben. In einem Interview soll er gesagt haben:
I have been feeding pigeons, thousands of them, for years. But there was one pigeon, a beautiful bird, pure white with light gray tips on its wings; that one was different. It was a female. I would know that pigeon anywhere. No matter where I was that pigeon would find me, when I wanted her I had only to wish and call her she would come flying to me. She understood me and I understood her. I loved that pigeon. Yes, I loved her as a man loves a woman, and she loved me.
Echenoz beschreibt in seinem Roman die erste Begegnung zwischen Tesla und dieser Taube:
Diese Taube ist ein weibliches Exemplar mit reinweißem Gefieder, zart hellgrau gestreiften Flügeln und kaum einem Anflug von Mauve an der Kehle. (...) Das sanft angeraute Timbre ihrer Stimme, ihr eleganter, furchtsamer Schritt und ihre Art, den Kopf zur Seite zu neigen, ein wenig nostalgischen Blicks, all das geht Gregor enorm zu Herzen und rührt ihn beinahe zu Tränen.
Errungenschaften und Spleens
public domain
Dieser Art bewegt sich Blitze an der Grenze zwischen Biographie und Roman. Dabei beleuchtet Echenoz gleichermaßen Teslas Errungenschaften als Erfinder, seine Rückschläge durch Konkurrenten, die mit seinen Ideen reich werden, als auch seine persönlichen Spleens.
Tesla zählt ununterbrochen, alles um sich herum, und seine Lieblingszahl ist die Drei sowie alles was sich durch drei teilen lässt. Außerdem leidet er unter einer Phobie vor Mikroben.
Als er in den Speisesaal hinunterkommt, liegen bereits einundzwanzig makellos reine Servietten auf Gregors Tisch gestapelt. Warum derart viele Servietten für einen einzelnen Mann?, fragen Sie: Nun ja, da seine Angst vor Mikroben solche Ausmaße angenommen hat, dass er vor dem Essen sorgfältig sein Besteck, die Teller und Gläser reinigen muss (...). Und warum ausgerechnet einundzwanzig?, fragen Sie weiter: Nun ja, wir haben es schon gesagt, das ist eine durch drei teilbare und daher bessere Zahl, fast so gut wie die Adresse seines Labors, 33 Third Avenue.
Mehr Leseempfehlungen unter fm4.orf.at/buch.
Letztes Buch einer Erzähltrilogie
Blitze ist das dritte Buch der Erzählreihe Drei Leben, im Zuge derer sich Jean Echenoz bisher bereits mit dem Komponisten Maurice Ravel und dem Leichtathleten Emil Zátopek auseinandergesetzt hat. Der Autor erklärt nicht, weshalb sich Tesla so verhalten hat und warum er so war wie er war. Er schildert bloß die Geschichte eines Menschen der (ebenso wie in den zwei anderen Büchern) über eine außergewöhnliche Begabung verfügt. Sein Genie hebt ihn hoch hinauf und doch scheitert er letzten Endes an sich selbst. Hat man das Buch gelesen, versteht man Tesla nicht besser, man mag ihn auch nicht unbedingt lieber (allerdings mag man Edison weniger). Allerdings weiß man danach einiges über diesen Tesla und wie das Leben des Mannes gewesen sein könnte, der die Welt in der wir heute leben so wesentlich geprägt hat.