Erstellt am: 11. 1. 2013 - 18:27 Uhr
Spanische Schlosser sperren nicht für Banken auf
In der 200.000-Einwohnerstadt Pamplona sind einmal nicht die zweifelhaften Stierläufer die Volkshelden von Spanien. Es sind seit Weihnachten die 15 ortsansässigen Schlosser. Sie haben sich entschlossen den Banken bei Zwangsräumungen nicht mehr zur Hand gehen zu wollen. In den vergangenen Monaten hätten die Handwerker so viel Leid mitansehen müssen. Das grausame Vorgehen der Behörden gegen säumige MieterInnen und WohnungseigentümerInnen könne man nicht mehr unterstützen, sagt der Sprecher der pamplonischen Schlosservereinigung, Iker de Carlos.
Widerstand gegen Delogierungen
Seit dem Beginn der Finanzkrise 2008 haben in Spanien 400.000 Familien ihr Haus oder ihre Wohnung verloren, heißt es auf der 'Plataforma de Afectados por la Hipoteca' (PAH). Bis zu 180.000 weitere könnten in den kommenden Monaten noch bevorstehen, lauten die Schätzungen. Auf der Internetplattform organisieren sich die Betroffenen, AktivistInnen, NachbarInnen und SympathisantInnen. Steht eine Räumung bevor, koordinieren AnsprechpartnerInnen in fast jeder größeren spanischen Stadt die lokalen Demonstrationen dagegen. Über Youtube werden Videos von den Aktionen verbreitet:
Dutzende solcher spontanen Demonstrationen von NachbarInnen und FreundInnen der Betroffenen hat es in Spanien in den vergangenen Monaten gegeben.
Brutaler Anstieg
Auch die pamplonischen Schlosser haben sich über die Internetplattform informiert und inspirieren lassen, sagt der 22-Jährige Iker de Carlos: "Seit dem Frühling/Sommer 2012 ist die Anzahl der Delogierungen brutal gestiegen. Es gibt tausende Menschen, die ohne Hilfe auf der Straße landen und wir finden, dass das Unrecht ist. Sowas passiert in keinem anderen Land der EU und wir weigern uns einfach da länger mitzumachen." Waren es früher noch ein bis zwei Zwangsräumungen pro Monat, seien es im Herbst 2012 bereits drei pro Woche gewesen. Selbst in den Wintermonaten seien die Zwangsvollstreckungen unvermindert weitergegangen, kritisiert der junge Schlosser.
Ziviler Ungehorsam
Vor der Finanzkrise war es üblich, dass nach einem Räumungsurteil ein Vertragsschlosser damit beauftragt wurde, die Wohnung gewaltsam zu öffnen, das Schloss auszutauschen und den Schlüssel den neuen Besitzern auszuhändigen. Wurden noch BewohnerInnen angetroffen, konnte die Polizei eingeschaltet werden. Das wäre aber eher die Ausnahme gewesen, sagt De Carlos. In den vergangenen Monaten sei das nun anders geworden. Da die Menschen nicht wissen wohin und oft vor der Obdachlosigkeit stehen sind Polizeieinsätze zur Regel geworden. 2012 sind so in ganz Spanien bis zu 200 Familien pro Tag vor die Tür gesetzt worden. Wegen den menschlichen Tragödien, die sich dabei abspielen, bis hin zu Suiziden, gibt es nun landesweit Proteste.
EPA/ J.L.CEREIJIDO
Der Boykott der Schlosser hat darin große symbolische Bedeutung. Für die spanischen Gerichte wird es zunehmend schwieriger ihre Entscheidungen umzusetzen. Auch eine große spanische Polizeigewerkschaft hat bereits erklärt, dass sie Beamte juristisch unterstützen werde, die sich weigern bei Zwangsräumungen tätig zu werden. Auch der Bürgermeister der Kleinstadt Montoro in der Provinz Córdoba hat die Behörden angewiesen keine Räumungsbeschlüsse mehr zu exekutieren. In den spanischen Medien wird deswegen bereits über die Erosion des Rechtsstaats diskutiert und von Anarchie gesprochen.
Selbstschutz
Die AktivistInnen sprechen hingegen von Selbstverteidigung. Bei der Mehrzahl der Fälle handele es sich nämlich um Menschen, die im Zuge der Krise arbeitslos geworden sind, sagen sie. Nach dem Platzen der Immobilienblase sind ihre Wohnungen und Häuser oft nur mehr ein Bruchteil des einstigen Kaufpreises wert. Dazu kommen gestiegene Mietpreise und Kreditraten, die viele nicht mehr bezahlen können. Dass nun diese Menschen, die unter die Räder gekommen sind, alles verlieren sollen, verärgert viele Spanier. Schließlich seien vor nicht all zu langer Zeit viele Banken mit milliardenschweren Rettungspaketen gestützt worden.
Verstoß gegen EU-Gesetze?
Weiteren Brennstoff für die aufgeheizte Stimmung liefert das bestehende spanische Hypothekengesetz. Das sieht nämlich vor, dass bei Zwangsversteigerungen ohne InteressentInnen, die Immobilien zur Hälfte des Rufpreises an die Banken zurück fallen. Das führt dazu, dass die Menschen zwar oft ohne Dach über dem Kopf dastehen würden, die Schulden aber bestehen bleiben. Für die Banken sei das ein lukratives Geschäft, lautet der Vorwurf. Deswegen soll nun auch das spanische Hypothekengesetz geändert werden. Womöglich verstößt es sogar gegen bestehende EU-Gesetzte. Das könnte noch jahrelange Prozesse nach sich ziehen.
Die pamplonischen Schlosser werden jedenfalls zurzeit mit Fanpost aus ganz Europa überhäuft. Das freue sie sehr sagt De Carlos. Der finanzielle Verlust aus dem durchaus lukrativen Räumungsgeschäft belaufe sich auch nur auf etwa fünf bis zehn Prozent des Jahreseinkommens. Das müsse selbst in schwierigen Zeiten verkraftbar sein. Denn: "Ich würde lieber unter einer Brücke schlafen, als auf Kosten des Unglücks von anderen zu leben", sagt er.
(Das Interview mit Iker de Carlos führte Barbara Schlachter-Delgado)