Erstellt am: 11. 1. 2013 - 17:32 Uhr
"Für das kleine Geld"
Ende Juni 2012 kippte der Verfassungsgerichtshof das Salzburger Bettelverbot, verboten war zuvor auch das sogenannte "stille Betteln" mit Schildern oder Hüten. In Salzburg trat inzwischen eine Neuregelung in Kraft.
Mit dem Wiener Bettelverbot befasste sich der Verfassungs-gerichtshof, wies allerdings eine Beschwerde einer Bettlerin gegen die Regelung zurück.
Beschwerden gegen die Bettelverbote in Oberösterreich und in Kärnten wies der Verfassungsgerichtshof ebenso zurück.
Knapp zwei Jahre war in der Steiermark das Betteln nun verboten. Doch gestern hat der österreichische Verfassungsgerichtshof das Verbot für ungültig erklärt: Ein derartiges Verbot "ohne Ausnahme ist unsachlich und widerspricht der Menschenrechtskonvention", so die Begründung.
Untersagt ist das Betteln nur mehr in „aufdringlicher Weise, wie durch Anfassen, unaufgefordertes Begleiten und Beschimpfen“ sowie die Bettelei von und mit Minderjährigen.
GegnerInnen des Bettelverbots hatten unmittelbar nach dessen Einführung im März 2011 demonstriert und protestiert. Im Kollektiv setzte man sich auf die Herrengasse, wenig später bettelten drei Männer gegen das Verbot. Unter ihnen war Pfarrer Wolfgang Pucher. Seit über einem Jahrzehnt sorgt sich der Geistliche mit der Vinzenzgemeinschaft um jene Roma, die zum Betteln und Arbeit suchend nach Graz kommen. Anlass für die Aufhebung des steirischen Bettelverbots war ein Antrag eines Bettlers, unterstützt von der Vinzenzgemeinschaft.
Hat das Bettelverbot überhaupt etwas bewirkt?
Radio FM4 | Maria Motter
"Das Bettelverbot war der Auslöser, dass sich die Zahl der Bettler in Graz gewaltig erhöht hat", sagt Pfarrer Wolfgang Pucher. Es ist sein subjektiver Eindruck. "Das muss man einmal so sagen. Und ob die jetzt wieder gehen, nachdem es jetzt frei ist, und nachdem die ehemaligen Bettler wieder betteln werden - das wird sich erst herausstellen, wenn die sich gegenseitig konkurrieren und einander gegenseitig die Plätze wegnehmen", so der Geistliche. "Es ist eine sehr schwierige Situation entstanden."
Bei aller Freude Puchers über die Entscheidung der Höchstrichter verschließt der Pfarrer nicht die Augen vor dem Status Quo. Im Grazer Straßenbild hat sich über Nachts nichts verändert. "Pfarrer Pucher sitzt in seiner Pfarrkanzlei und überfliegt die Tageszeitungen. Ihn interessieren alle Meinungen. Ein prall gefüllter Ordner fasst sämtliche Artikel zum steirischen Bettelverbot seit dessen Einführung, Pucher hat sie alle gesammelt.
Erleichterung am Andrä-Platz vulgo Romaplatz
Auch das "Büro der Nachbarschaften" im Viertel Gries ist an der Stimmung der Bevölkerung interessiert. Hier geht es um ein Zusammen- und Nebeneinanderleben, rundum. Dazu gehört auch der Andrä-Platz. "Oder unter Insidern auch Romaplatz genannt", sagt Gunda Bachan vom "Büro der Nachbarschaften". "Das ist der Platz, wo Bettler, Straßenmusiker und andere Roma warten, um ins Vinzinest vis-à-vis zu kommen", so Bachan, die das Nachbarschaftsbüro initiierte, das mit großer Unterstützung von Pfarrer Glettler von der St. Andrä-Kirche entstand.
Im "Büro" wärmen sich manche Roma und Straßenmusiker auf, es gibt Deutschnachhilfe, Plauderei und Gesellschaftsspiele. Ab und an mussten Streitigkeiten zwischen alteingesessenen GrazerInnen und MigrantInnen geschlichtet werden.
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Als Gunda Bachan die Nachricht vom aufgehobenen Bettelverbot hörte, schaute sie zu den Roma am Platz. "'Positiv! Österreicher: positiv!', haben sie gesagt. Das Tolle war, dass sie gesagt haben: Wir werden weiter arbeiten, weiter die Straßenzeitung 'Global Player' verkaufen", berichtet Bachan. Das Bettelverbot habe - so absurd es anmuten mag - ein anderes Selbstverständnis bewirkt.
Allein von der Körperhaltung her: Am Boden hockend, kauernd, auf einem Sims sitzend, das sei erstens sehr kalt im Winter, gegenüber einem aufrechten Stand und dem Anpreisen einer Zeitung. "Das mussten sie auch erst lernen: Wie halte ich die Zeitung? Wie stelle ich mich hin? Lache ich die Leute an? - Das ist eine ganz andere Erscheinung", sagt Gunda Bachan. Die einstigen Bettler sehen sich nun als Arbeitende. Die Anerkennung, dass Betteln nicht verboten sei, täte allerdings jeder und jedem gut.
Auch Josef. Der 35Jährige kam vor Jahren zum ersten Mal nach Graz: Um zu betteln. Josef kommt aus einer slowakischen Roma-Familie, seine Muttersprache ist Ungarisch. "Zigeunerische Leute werden noch immer diskriminiert in der Slowakei. Und ich werde doppelt diskriminiert wegen meiner Muttersprache. Das passt nicht für die Leute, das ist ihnen nicht sympathisch", erzählt Josef auf Deutsch.
In Wien gab es 2011 insgesamt 1458 Anzeigen wegen Bettelei. "Laut Polizeisprecher Roman Hahslinger ist dabei kein Fall aufgetaucht, bei dem eine ganze Bettlermafia ausgehoben oder jemand zum Betteln gezwungen wurde"
Drei Jahre hat er in Graz gebettelt, Sommer und Winter. Die Menschen wären freundlich gewesen, doch in letzter Zeit höre er Passanten von einer "Bettel-Mafia" sprechen. "Aber das ist Blödsinn. Das ist ein sehr großer Blödsinn. Alle betteln für sich selber, für die Familie zuhause", so Josef.
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Vom Bettler zum Koch
Zwei Wochen Betteln in Graz, zwei Wochen 600 Kilometer entfernt zuhause - das war der Lebensrhythmus für Josef mit Mitte Zwanzig. Die erste Woche bettele man für die Reisekosten, die zweite für die Familie. Heute arbeitet Josef als Koch in einem Fischrestaurant.
Es war vor allem die Katholische Kirche, die Josef mit kleinen Aufträgen für Gartenarbeiten oder Putzdienste weiterhalf. Nach dem Beitritt der Slowakei in die EU bemühte sich Josef um einen Job. Seit drei Jahren arbeitet er als Koch. Das Bettelverbot, das Mitte Februar 2011 im steirischen Landtag beschlossen worden war, betraf ihn nicht mehr. "Nun betteln die Leute nicht, sie verkaufen die Zeitung", sagt Josef.
Passanten indes kaufen die "Global Player" jedoch wohl selten, um das Blatt tatsächlich zu lesen. Vielmehr war es in der Zeit des Bettelverbots eine Möglichkeit, die Roma weiterhin mit Kleingeld-Spenden zu unterstützen.
Als einstiger Bettler hat Josef nach wie vor Kontakt zu Roma, die in Graz betteln bzw. die Straßenzeitung "Global Player" verkaufen. Mehr als zehn, zwölf Euro würden die Menschen heute an guten Tagen nicht einnehmen. In den letzten Monaten waren auch Rumänen in die Stadt gekommen, um hier zu betteln. "Für das kleine Geld", wie Josef es nennt.