Erstellt am: 8. 1. 2013 - 18:09 Uhr
Von Weltbürgern und Kleingeistern
László Kubala war ein Weltbürger. In Budapest geboren als Sohn slowakischer Eltern, spielte er gleich nach dem Zweiten Weltkrieg bei Ferencváros Budapest und Slovan Bratislava und erst für die tschechoslowakische (als Ladislav) und später, das war damals noch möglich, auch für die ungarische Nationalmannschaft. Mit 23 Jahren flüchtete er unter der Plane eines LKW aus Ungarn, und bevor er als Ladislao eine Legende beim FC Barcelona und in der spanischen Nationalmannschaft wurde, trainierte er im Jahr 1950 bei der italienischen Serie-A-Mannschaft "Pro Patria", aus der Kleinstadt Busto Arsizio nördlich von Mailand.
Auch heute sind Fußballer auf der ganzen Welt zu Hause. Kevin-Prince Boateng stammt aus dem Westberliner Arbeiterbezirk Wedding, hat bei Hertha BSC und Borussia Dortmund in der Bundesliga und bei Tottenham Hotspurs und dem Portsmouth FC in der Premier League gespielt. Nicht überall hat er sich Freunde gemacht. Er hat sich kräftig die Hörner abgestoßen, wie das bei einem um die 20-Jährigen auch außerhalb des Fußball nicht ungewöhnlich ist. In Deutschland war sein Ruf spätestens seit dem Foul, das Michael Ballack die WM-Teilnahme 2010 kostete, endgültig ruiniert. Dass er bei ebendieser WM für Ghana, das Geburtsland seines Vaters, und gegen Deutschland spielte, machte die Sache nicht besser.
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Aus Berlin über London nach Mailand
Seit gut zwei Jahren ist Boateng jetzt beim AC Milan, und dort scheint er sein Glück gefunden zu haben. Er ist eine Stütze der Mannschaft, von Eskapaden neben oder auf dem Platz ist kaum mehr zu hören. Letzte Woche ist Kevin-Prince Boateng zu einer Ikone im Anti-Rassismus-Kampf geworden. Er hat in einem Testspiel gegen das inzwischen viertklassige Team von Pro Patria aus Wut über Affengeräusche aus dem Publikum den Ball auf die Tribüne geschossen, sein Trikot ausgezogen und ist vom Platz gegangen. Mit ihm die ganze Mannschaft, unter dem Applaus großer Teile des Publikums. Das Spiel war damit in Minute 26 beendet. Seitdem hagelt es Lob für Boateng, von allen Seiten: Christiano Ronaldo, Pep Guardiola, Italiens Teamchef Cesare Prandelli - sogar AC Milans Patron Silvio Berlusconi unterstützt seinen Spieler.
Nur einer mag die allgemeine Stimmung nicht teilen: Sepp Blatter, der allmächtige FIFA-Boss, ist schon öfter mit eigenwilligen Thesen zum Thema aufgefallen. Zwar betont er stets, dass Rassismus im Fußball keinen Platz habe, trotzdem meinte er schon vor einem Jahr in einem anderen Fall, das könne in der Hitze des Gefechts schon mal vorkommen und sei nach dem Spiel mit einem Händedruck erledigt. Nun zeigt Blatter zwar Verständnis für Boateng, meint aber auch, es sei "keine Lösung", einfach den Platz zu verlassen, schließlich könnte man sich auf diese Weise ja auch vor einer drohenden Niederlage davon stehlen.
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Formalistisch und dämlich
Kurt Wachter vom Verein Fair Play stimmt dem deutschen Fanforscher Gerd Dembowski zu, der die Aussagen Blatters als "dämlich" bezeichnet. "Die ganze Fußball-Community wartet auf Zeichen von Star-Spielern, und Boateng hat die Courage bewiesen, hier den Abgang zu machen. Das dann so formalistisch zu bewerten, finde ich sehr ungeschickt", meint Wachter im FM4-Interview. Auch UEFA-Präsident Michel Platini habe bei einer ähnlichen Ankündigung Mario Balotellis vor der EURO 2012 ähnlich ungeschickt auf die Schiedsrichter verwiesen. Die Herren Funktionäre wollen eben die Kontrolle darüber nicht verlieren, was auf dem Spielfeld passiert.
Blatter und Platini betonen bei jeder Gelegenheit, wie völkerverbindend der Fußball sei und wie fehl am Platz jeglicher Rassismus. FIFA und UEFA unterstützen Anti-Rassismus-Kampagnen und sprechen Strafen gegen Verbände und Vereine aus, deren Fans ausfällig werden. Aber was haben die Bekenntnisse der Funktionäre und die Strafenkataloge der Verbände geholfen? Was richten Plakatkampagnen und gut gemeinte Ansprachen der Mannschaftskapitäne aus? Ist Rassisten im Stadion damit beizukommen, oder sind das nicht nur Feigenblatt-Aktionen, um den guten Willen der Verbände zu demonstrieren? Kurt Wachter sieht das differenziert. Er hält PR-Maßnahmen ebenso für notwendig, um den Mainstream der Fans zu sensibilisieren. Aber natürlich, sagt er, muss auf Rassismus auch unmittelbar reagiert werden, sonst läuft man Gefahr, dass Vorfälle unter den Teppich gekehrt werden und ausufern.
Sepp Blatter ist sicher daran interessiert, das Rassismusproblem in den Stadien in den Griff zu bekommen. Seine Aussagen nähren allerdings den Verdacht, dass dies vor allem geschäftliche Gründe hat: ein schlechtes Image lässt sich schlecht vermarkten, das kann der Kontrollfreak Blatter nicht brauchen. So eigenmächtige Aktionen wie die von Boateng und Kollegen allerdings auch nicht. Sehr weltmännisch ist diese Haltung nicht.
Kurt Wachter von Fair Play im Interview mit Robert Zikmund über Fußball und Rassismus in Italien und Österreich:
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