Erstellt am: 9. 1. 2013 - 09:00 Uhr
Schwarze Magie & tödliche Witze
Seit geraumer Zeit blicken wir im „House of Pain“, dem mittwöchigen Streifzug durch die Welt der schweren Riffs und grollenden Bässe, metallischen Sounds und düsteren Elektronik, auch ausführlich in die Vergangenheit. Nicht nur mit unserem nicht ganz unprominenten Gastmoderator Dave Grohl, der in der Radioserie „Sound City“ den Spuren des gleichnamigen legendären Studios und damit zusammenhängenden Rockgeschichten folgt.
In der Reihe „House of Pain Classics“ feiern die diversen Mitglieder unserer „House of Pain“ Army auch diverse Alben ab, die für sie selbst und auch für die Sendung zentral waren und sind. Rage Against The Machines legendäres selbstbetiteltes Debüt war da bereits ebenso vertreten wie „Superunknown“ von Soundgarden oder „The Downward Spiral“ von Nine Inch Nails.
Ich übergebe nun an den geschätzten Dr. Nachtstrom, der euch jetzt hier (und am Mittwoch ab 22h on air) erklären wird, warum er die britischen Postpunks Killing Joke und einen ganz bestimmten Meilenstein von denen so schätzt.
Killing Joke
Killing Joke - “Extremities, Dirt & Various Repressed Emotions”:
von Dr. Nachtstrom
House of Pain, Mittwochs, 22-0 Uhr
Graz, irgendwann in den frühen 1990er-Jahren, in der CD-Abteilung eines Kaufhauses: Verwirrt halte ich die neue Killing Joke-CD “Extremities, Dirt & Various Repressed Emotions” in der Hand. Nachdem ich ja gerne Synthie-Pop höre, sind mir Killing Joke ebenso wie Depeche Mode oder Bronski Beat oder Talk Talk ein Begriff, aber nach träumerischer New Romantic-Schwärmerei sieht dieses grobe Cover überhaupt nicht aus.
Ich kaufe die CD auf Verdacht und als ich sie zuhause in meinen Rotel-CD-Player schiebe (der mein ganzer Stolz ist, alles aus schwarzem Blech statt Plastikverkleidung) fällt mir nach den ersten Tönen die Kinnlade herunter. Wo sind die Synthies? Was ist das für ein heiseres Gebrüll? Warum ist diese Musik so grob, finster und hasserfüllt?
Was ich damals in meiner Naivität nicht wissen konnte: Killing Joke gab es bereits seit Ende der 1970er-Jahre, die Band hatte bereits mehrere Stilwechsel durchlaufen und alle Bandmitglieder waren damals schon längst mad as hell – Sänger Jaz Coleman, der sich wie Gitarrist Geordie und Bassist Youth heftigst für Schwarze Magie und die Verschwörungskultur interessierte, hatte den Weltuntergang vorausgesagt, worauf die Band kollektiv für kurze Zeit nach Island zog.
Killing Joke
Brachiales Gestammel & Reiter der Apokalypse
Und wenn die Apokalypse nicht eintrifft, wird man zynisch – was vielleicht den Weg zu diesem unfassbaren, achten Release erklären könnte. Ansonsten fehlt mir auch heute noch die Fantasie, um diese geifernde, spuckende, um sich tretende Musik zu enträtseln.
Später – aber das ist nur meine ganz persönliche Ansicht – waren Killing Joke nie mehr so gut; obwohl sie in den Pyramiden von Gizeh aufnahmen, sich unzählige Male zerstritten und wieder zusammenfanden, unzählige Neustarts wagten und weiter durch bizarr-faszinierende Aktionen von sich reden machten. Zum Beispiel als sie Kurt Cobain verklagten, weil sie meinten, “Come as you are” sei einem ihrer Songs ähnlich; was nicht stimmte und sowieso zu den Akten gelegt wurde, weil Cobain Selbstmord beging.
Wenn ich heute an Killing Joke denke, dann denke ich genau an diese unfassbare CD: brachiales Geschrammel verzerrter Gitarren, Textzeilen wie “Your money – my time. Your stinking industrial bathwater – my wine” oder auch einfach “I feel hate I feel hate. I feel hate I feel hate (Don't be afraid to show your hate, hate!)”, eine apokalyptische Soundwalze und darüber thronend, in schäumendem Wahnsinn, die brüllende, mahnende Stimme von Jaz Coleman, dem originalen Reiter der Apokalypse.
Killing Joke