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3. 1. 2013 - 16:06

Tabuthema sexuelle Gewalt

Abseits spektakulärer Fälle wie den jüngeren in der U-Bahn ist sexuelle Gewalt immer noch ein Tabuthema. Dabei müsste vor allem über häusliche Gewalt viel mehr geredet werden.

Nach den jüngsten Fällen von Vergewaltigung und sexueller Belästigungen in der Wiener U-Bahnlinie U6 forcieren die Wiener Linien jetzt den Ausbau der Videoüberwachung. Drei Viertel aller Züge sind bereits mit Kameras ausgerüstet, der Rest soll so rasch wie möglich folgen.

Den Ausbau der Videoüberwachung in der U-Bahn hält auch Andrea Brem, die Leiterin der Wiener Frauenhäuser, für sinnvoll. Außerdem, sagt sie, sollten die Wiener Linien stärker kommunizieren, dass ein Notruf im Waggon nicht gleich den ganzen Zug anhält: "Wenn der Notrufschalter betätigt wird, ergeht ein Signal an den Fahrer oder die Fahrerin. Er oder sie ergreift dann in der nächsten Station Maßnahmen. Das wäre eine wichtige Information für die Frauen."

Die Zahl der Anzeigen steigt

Der Statistik zufolge sind die Anzeigen von Vergewaltigungen in den Jahren 2001 bis 2010 gestiegen: von 574 im Jahre 2001 auf 810 im Jahr 2010. Es sind in Österreich keine Zahlen darüber verfügbar, wieviele Sexualstraftaten durch einen Partner des Opfers oder durch eine dem Opfer völlig fremde Person verübt wurden. Die Mitarbeiterinnen der Wiener Frauenhäuser beraten allerdings meist Frauen, die sexuelle Gewalt im häuslichen Umfeld erleben - und das oft über Jahre hinweg. "Wenn das Schlafzimmer zum gefährlichsten Ort wird" steht auf einem Plakat des Vereins.

Frauenhäuser Wien

Andrea Brem, Leiterin der Wiener Frauenhäuser

Viele Frauen würden sich jahrelang nicht trauen, über sexuelle Gewalt zu sprechen, sagt Geschäftsführerin Andrea Brem. "Es ist sehr schwierig und erfodert sehr viel Mut, ein Sexualverbrechen anzuzeigen. Es gibt aber Unterstützung. Jede Frau, die Opfer eines Sexualverbrechens ist, sollte sich an eine Beratungsstelle wenden. Diese unterstützen beim Erstellen der Anzeige, mittels Rechtsberatung und vielem mehr."

Die Zahl der Verurteilungen sinkt

In Österreich sei es zu schwierig, die Verurteilung eines angezeigten Sexualtäters zu erwirken, sagt Andrea Brem. Obwohl im vergangenen Jahrzehnt die absolute Zahl der Verurteilungen weitgehend gleich geblieben ist, ging der Anteil der Verurteilungen in Relation zu den Anzeigen massiv zurück - nämlich um ein Drittel, von gut 20 auf 13 Prozent:

Frauenhäuser Wien

Relation zwischen Anzeigen wegen Vergewaltigung und Verurteilungen in den Jahren 2001 bis 2010

Oft gäbe es keine Indizien für ein Sexualverbrechen. "Nicht jede Vergewaltigung geht auch mit Verletzungen einher", sagt die Leiterin der Wiener Frauenhäuser. "Gerichtsurteile müssen daher oft allein aufgrund der Aussagen von Täter und Opfer zustandekommen. Dazu bedarf es eines sehr starken Engagements von Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern – das braucht Zeit, und die ist oft nicht vorhanden. Das bedauern wir sehr, denn wir erleben derzeit vor allem bei Vergewaltigungen in der Ehe, dass wir praktisch keine Verurteilungen erreichen können."

Andrea Brem wünscht sich einen gesellschaftlichen Wandel: Abseits außergewöhnlicher Straftaten wie denen in der U-Bahn sei sexuelle Gewalt immer noch ein Tabuthema, doch auch über die häusliche Gewalt müsse mehr geredet werden.