Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Der Tod ist nicht mein Freund"

Elisabeth Scharang

Geschichten über besondere Menschen und Gedankenschrott, der für Freunde bestimmt ist.

31. 12. 2012 - 16:53

Der Tod ist nicht mein Freund

Reinhard Dörflinger von Ärzte ohne Grenzen erzählt in einem FM4 Doppelzimmer Spezial am Neujahrstag über Heldentum, den exotischen 12. Wiener Gemeindebezirk und die Gespenster in seinem Kopf.

Wenn man Reinhard Dörflinger gegenüber sitzt, wird schnell klar: dieser Mann ist innerlich zerrissen. Auf der einen Seite ist Dörflinger Arzt aus Leidenschaft, auf der anderen Seite schlägt sein Herz für sein Interesse an politischen Zusammenhängen.

Medizinische Hilfe kann ein politisches Statement sein

FM4 Doppelzimmer Spezial
Reinhard Dörflinger, Präsident von Ärzte ohne Grenzen Österreich, zu Gast bei Elisabeth Scharang. Am 1.1. von 13 bis 15 Uhr auf Radio FM4.

Als Mitglied von Ärzte ohne Grenzen Österreich will Dörflinger seine Fähigkeiten in einem größeren Zusammenhang einsetzen: Medizinische Hilfe leisten als Statement gegen die wirtschaftliche Schieflage in der Welt und die Auswirkungen auf die jeweilige Bevölkerung.

Reinhard Döflinger hat sich schon früh der Arbeitsgruppe "Kritische Medizin" angeschlossen. Hartnäckig haben diese seit den 70er Jahren die Rolle der österreichischen Ärzte während der Nazizeit untersucht und öffentlich gemacht; und in diesem Zusammenhang Fälle wie die des Gerichtspsychiaters Heinrich Gross publik gemacht. Gross war in der Nazizeit Arzt in der Euthanasieklink "Am Spiegelgrund" in Wien und wurde in der Zweiten Republik einer der meistbeschäftigten Gerichtsgutachter des Landes. Es hat bis in die 90er Jahre gedauert, bis man ihn für die Morde an unzähligen Kindern vor Gericht laden konnte. Zu einer Verurteilung kam es nicht. Gross behauptete, sich an nichts erinnern zu können.

Warum? Herr Dörflinger. Warum?

"Mit den Kritischen Medizinern habe ich medizinische Einsätze in Nicaragua gemacht. Das waren klare Solidaritätsaktionen. Auf einem dieser Einsätze habe ich Kollegen getroffen, die für Ärzte ohne Grenzen unterwegs waren. Mich hat deren Arbeit, deren Herangehensweise und die unglaubliche Logistik sehr beeindruckt. Von da an begann unsere gemeinsame Geschichte."

Reinhard Dörflinger

Radio FM4

Dörflinger war in Somalia, in Ruanda, im Nahen Osten. Er hat viele Menschen sterben sehen, manche auf einem OP-Tisch, viele durch die Waffen verfeindeter Volksgruppen.

Will man die Motivation ergründen, warum ein Arzt diese Grenzerfahrungen sucht, landet man schnell in psychologischen Schubladen, die zum Teil stimmen mögen, aber letztlich wenig taugen. Reinhard Dörflinger ist gerne in seiner Praxis im 12. Bezirk in Wien. Er mag seine PatientInnen. Er hört ihnen gerne zu und sie kommen gerne zu ihm, auch wenn er regelmäßig im Ausland arbeitet und nicht verfügbar ist. Reinhard Dörflinger ist Vater und er ist Ehemann.

"Ich trage meine Erlebnisse nicht mehr mit nach Hause. Das bringt nicht viel", sagt er und überlegt. "Vielleicht bilde ich mir nur ein, dass ich viele der traurigen und traumatischen Bilder in meinem Kopf verarbeitet habe. Vielleicht spuken sie eh alle in meinem Kopf und in meiner Psyche herum." Aber auch nachdem er angeschossen und entführt wurde, stellt sich für ihn die Frage nicht, ob man zu Hause bleibt oder sich in eine Krisenregion begibt, in der man helfen kann.

Etwas tun. Aktiv helfen. Das nimmt die Ohnmacht. "Solange man etwas tun kann, hat der Tod nicht gewonnen", sagt Dörflinger. Und mit dem Tod ist der Arzt nicht gut Freund. Kann man als Arzt mit dem Tod überhaupt auf gutem Fuß stehen?

Reinhard Dörflinger

Radio FM4

Die Logistik eines humanitären Giganten

Wenn Reinhard Dörflinger, der seit 2006 Präsident von Ärzte ohne Grenzen Österreich ist, über die Logistik der Organisation erzählt, bleibt erst mal große Bewunderung. Zumindest meinerseits. Bevor ein Chirurg von Ärzte ohne Grenzen in Syrien oder im Kongo ein Skalpell in die Hand nimmt, braucht es ein Team, das die gesamte Infrastruktur bereitstellt: Strom, Wasser, Räumlichkeiten. Es braucht Helfer und ÄrztInnen vor Ort, denen man die aufgebaute Infrastruktur nach einer Weile übergeben kann, bevor man wieder abzieht.

"Wir wollen nicht nur ein Pflaster auf die Wunde legen. Die psychologische Betreuungseinrichtungen für Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt geworden sind, zum Beispiel in Guatemala, in Marokko, in Honduras, die bleiben bestehen. Die Frauen brauchen Kontinuität und müssen das Vertrauen haben, dass man sie nicht wieder auf die Straße setzt. Wir versuchen also, neben akuter Kriseneinsätze viel nachhaltige Arbeit zu leisten."

Die MitarbeiterInnen von Ärzte ohne Grenzen sind keine Heldinnen und Helden, sagen sie selbst. Ich sehe das anders. Was auch immer an persönlicher Motivation dahinter steht, welchen Kick sich der eine oder die andere mit diesen Kriseneinsätzen auch holen mag, den Menschen, denen sie helfen, kann das egal sein. Die sind einfach nur froh, dass sie jemand operiert oder ihnen jemand zuhört und ihre Sorgen ernst nimmt. Respekt.

Doppelzimmer Spezial Reinhard Dörflinger