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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

28. 12. 2012 - 15:39

Klippenspringen

Geht jetzt doch noch die Welt unter? Oder die USA? Und was ist dieses "Fiscal Cliff" eigentlich?

Es ist eines von vielen Phänomenen der medialen Krisenberichterstattung und dem Umstand geschuldet, dass immer öfter Begriffe aus der Ökonomie, die früher ein tristes Dasein als Special Interest führten, im veröffentlichten Familienbecken landen:

Die Beharrlichkeit, mit der Begriffe, über die man theoretisch seitenweise abhandeln könnte, einfach mal so in Nachrichten zwischen dem Wetter und den Beziehungskrisen von Fernsehmoderatoren rausgeschossen werden.

"Des mit diese Derivate" ist sowieso arg, "die Spekulanten" bedrohen die "Verteilungsgerechtigkeit", während angebliches "Marktversagen und Deregulierung" für alles Böse verantwortlich sind und der "ESM alternativlos ist".

Eine Felsenklippe

dpa-Zentralbild / Stefan Sauer

Vom Diskurslevel nahe an der Millionenshow angesiedelt und passend für eine Wirklichkeit, die sich zunehmend durch Schlagwörter, Überschriften und Schubladen definiert, die mit bunten Beschriftungen einladen es sich in ihnen bequem zu machen.

So muss man als "links" orientierter Mensch natürlich die Segnungen des heiligen Lord Keynes preisen und lockere Geldpolitik befürworten, während der anständige Wirtschaftsliberale kraft "Naturgesetz" gegen öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Beispiel für staatliche Misswirtschaft wettern muss.

"Fiscal Cliff" und andere ökonomische Begriffe im Detail

Zwischenwelten, Grautöne oder gar Schubladen-internes Abweichlertum werden kaum toleriert, immerhin gilt es in Zeiten, in denen krisenbedingt alle, die irgendwann mal ein Colin Crouch Buch gelesen haben, gefühlte Wirtschaftsexperten-Darsteller sind, Farbe zu bekennen. Dass im Zuge der unverlangten Scheuklappen natürlich der eine oder andere Widerspruch ausgeblendet wird, ja nachgerade werden muss, nimmt man für das Extra an Denkschablonen und Distinktionsgewinn gerne in Kauf.

Leider Gottes, um ein weihnachtliches Motiv zu bemühen, beschränkt sich dieses "Cowboy gegen Indianer"-Spiel nicht auf die intellektuellen Echoräume der virtuellen Foren (so macht es etwa oft Sinn, Kommentare auf der Presse-Website und im Online-Standard zu lesen, irgendwo dazwischen befindet sich oft die Realität), sondern erfasst auch die über weite Strecken ebenso in Schlagzeilen denkende und handelnde Politik.

Und damit komme ich mit dieser ausufernden Einleitung zum Ziel meines Schriebs: Dem "Fiscal Cliff".

Was ist das "Fiscal Cliff"?

Je nachdem, ob man den Republikanern oder dem demokratischen Präsidenten näher steht, sind die Positionen in diesem Streit um den Haushalt der wichtigsten Nation dieser Erde im wahrsten Sinne des Wortes zementiert. Doch was ist dieses "Fiscal Cliff", das uns Tarek, Lou und Armin lächelnd ins Wohnzimmer servieren?

Im Prinzip ist die Angelegenheit nämlich geradezu banal und es würde so einen Kandidaten für das (Un-)Wort des Jahres gar nicht brauchen. Im Prinzip ist es so, dass eine Reihe von Steuersenkungen - etwa die oft gescholtenen Taxcuts von George W. Bush für "Superreiche" - mit Ende dieses Jahres auslaufen.

Dazu kommen automatische Ausgabenkürzungen, in Summe könnte die Mehrbelastung für die amerikanischen Steuerzahler samt Haushaltskürzungen etwa 600 Milliarden US$ aus der US-Wirtschaft saugen. Die steuerliche Mehrbelastung errechnete der US-Thinktank Tax Policy Center mit 536 US$ pro Kopf.

Betroffen sind davon aber nicht nur Wohlhabende - die werden zwar am stärksten zur Kasse gebeten - sondern auch die niedrigen Einkommen müssen mit einer steuerlichen Mehrbelastung rechnen.

US-Präsident Obama

EPA/Jim Lo Scalzo

All das würde automatisch ab 1. Jänner 2013, also ab kommenden Dienstag, schlagend werden, sollte sich der aus dem Hawaii-Urlaub abgereiste Obama nicht doch noch in letzter Sekunde mit der republikanischen Opposition einigen können. Noch heute wird sich der Präsident, wie bereits bestätigt ist, mit dem republikanischen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, John Boehner, und anderen hochrangigen Vertretern der GOP treffen. Die Hoffnung liegt vor allen Dingen am Umstand, dass eine Reihe republikanischer Abgeordneter sich keiner Wahl mehr stellen müssen und daher aus der Parteilinie ausscheren könnten.

Und just beim Wort "Parteilinie" sind wir wieder beim Polit-Schach angelangt, wo es mehr um Positionen und Interessen als um Ergebnisse oder gar das Land geht.
Die Eckpunkte des Streits sind dabei auch schnell umrissen. Während Obama als "Präsident der kleinen Leute" aufpassen muss, sein soziales Image zu pflegen und höhere Steuern für Menschen, die mehr als 250.000 US$ verdienen, fordert, müssen die Republikaner auch intern auf Kurs bleiben und genau das ablehnen.

Immerhin ist der Kampf gegen Steuern und Staat die Kern-Agenda der Tea Party. Wie ausgeschlossen eine Einigung zumindest nach außen wirkt, zeigt etwa das Scheitern von Boehner mit einem Kompromiss: Während Obama also ab einer Viertelmillion kräftiger zulangen will, sprach sich John Boehner für eine Grenze von einer Million Jahreseinkommen aus. Doch nicht einmal diesen Plan, dem die Demokraten ohnehin nie zustimmen würden, hat der rechte Flügel der GOP akzeptiert.

John Boehner

EPA/MICHAEL REYNOLDS

Was bleibt ist also die Frage, wie es Obama und Boehner schaffen wollen in den paar Tagen bis Silvester einen neuerlichen Konjunktureinbruch zu verhindern, den der Sturz von der Fiskalklippe wohl bringen würde.

Und natürlich, wer sich diesen beknackten Namen hat einfallen lassen, der ein bisschen nach Duschgel klingt und täglich aus unseren Lautsprechern plärrt.

Wobei die letzte Frage doch noch schnell zu klären ist:
Angeblich hat Ben "die Notenpresse" Bernanke das erste Mal am 29. Februar dieses Jahres das Wort "Fiscal Cliff" verwendet um auf die Gefahr, die nun ab Silvester droht, aufmerksam zu machen. Ob er dabei auch an Lemminge gedacht hat, ist allerdings nicht überliefert.