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Nina Hochrainer

Sweet Indie Music, Kleinode globaler Alltagskultur, nachhaltiges Existieren. And New York.

7. 1. 2013 - 07:09

Black Metal Tourism

In Oslo kann man auf den Spuren eines dunklen Genres der Musikgeschichte wandern.

Man muss eine Musikrichtung nicht unbedingt mögen, um ihre Entstehungsgeschichte spannend zu finden: Black Metal ist so ein Beispiel – jenes Genre, das wie kaum ein anderes gespickt ist mit dunklen Geschichten über Satanismus, Vandalismus, Suizid, Mord und anderen Extremen. Insbesondere um die Anfänge der Szene vor über 20 Jahren in Norwegen ranken sich bis heute viele Mythen. In Oslo, der "Wiege" des Black Metal, zählt das Phänomen mittlerweile zur Stadtgeschichte, sogar eine Black Metal Sightseeing Bus Tour wird angeboten. Ich habe sie absolviert.

Es ist ein strahlend sonniger Morgen in Oslo, als ich gemeinsam mit 30 anderen in den Bus einsteige, der uns an die wichtigsten Schauplätze der norwegischen Black-Metal-Szene bringen soll. Unser Tourguide für diese Zeitreise ins Oslo der frühen neunziger Jahre ist jedenfalls vom Fach und wartet bereits: Anders Odden, Mitglied der ursprünglichen norwegischen Szene, heute Tourmanager bei Satyricon und "fat'n'forty" – womit er sarkastisch seine Funktion als Black-Metal-Geschichtenerzähler rechtfertigt.

Anders ist ein netter, gemütlicher Typ, dem man abgesehen von den drei Totenköpfen am Hemdrücken seine Szenezugehörigkeit nicht weiter ansieht. Mit einer Portion trockenen skandinavischen Humors blickt er mittlerweile distanziert und sachlich auf diesen "dunklen" Teil seines Lebens und erklärt erst mal, wie eigentlich alles begonnen hat: "In den frühen Neunzigern drehte sich in Norwegen eigentlich alles um einen Typen: Euronymous, der Gitarrist von Mayhem. Mayhems Ziel war es, die schlechteste, meistgehasste und extremste Band der Welt zu sein. Ich wurde im Alter von 14 auf sie aufmerksam, als sie während einer Live-Radiosendung das ganze Studio in Beschlag nahmen."

Anders Odden

Nina Hochrainer

Über Euronymous, den misanthropen Hardliner und Satansverehrer, der mit christlichem Namen Øystein Aarseth hieß, werden wir im Laufe der Tour noch so einiges zu hören bekommen – hat er doch die norwegische Black Metal Szene als Zentralfigur maßgeblich geprägt. Seine Ideologie war dabei anti-kommerziell, die Szene sollte ausschließlich im Untergrund verhaftet bleiben: "Euronymous hatte die Idee, dass jeder, der seine Musik kaufen wollte, erstmal einen Fragenkatalog richtig beantworten musste. Wenn du was nicht wusstest, durftest du kein Album kaufen."

Den von Euronymous erdachten Sound beschreibt Anders als Emo-Version von Death Metal, zusammengesetzt aus dünnen Gitarren, lauten Drums, leidenden Vocals und vielen Mollakkorden. Zur Verdeutlichung gibt's zwischendurch Hörproben durch die Buslautsprecher auf die Ohren.

Zugegeben, mir als Black-Metal-Laiin fällt es schwer, diesem Sound etwas Musikalisches abzugewinnen. Als "worst noise ever" wurde seinerzeit auch die erste Mayhem EP rezensiert – für Euronymous freilich ein Zeichen von Erfolg. Um Platten veröffentlichen zu können, startete er jedenfalls sein eigenes Independent-Label "Deathlike Silence Productions".

Mittlerweile kämpft sich der Bus hinauf auf den Berg Holmenkollen außerhalb Oslos – und von meinem Fensterplatz aus wird die berühmte Skisprungschanze sichtbar. Skispringen, der Quasi-Nationalsport der Norweger, steht für Anders übrigens auch in direkt kausalem Zusammenhang mit seiner Liebe zu Black Metal: "Als Kind bin ich auch skigesprungen, mein persönlicher Rekord liegt bei 21 Metern. Aber als es dann richtig ernst geworden wäre, so mit Helm und Profi-Ausrüstung, hat es mir meine Mutter nicht mehr erlaubt. Also hab ich mich vom Sport ab- und stattdessen satanischem Metal zugewandt." Schuld ist also wie so oft die Mama, im Bus gibt es Gelächter für die Anekdote.

Holmenkollen Schanze

Nina Hochrainer

Die berühmte Skisprungschanze am Holmenkollen

Die Skisprungschanze ist allerdings nicht unser eigentliches Ziel, sondern die daneben stehende Holmenkollen-Kapelle. Sie fiel 1992 den Kirchenbrandstiftungen zum Opfer, mit denen Anhänger der norwegischen Black Metal-Szene zu zweifelhaftem Ruhm gelangten. Für den Brand der Holmenkollen-Kapelle verantwortlich zeichnet sich Varg Vikernes aka Count Grishnackh – Gründer von Burzum und enger Vertrauter von Euronymous. "Die Geschichte wurde in den Medien aufgeblasen, weil er all diese satanische Symbolik verwendete. Er wurde verhaftet und für ihn war es ein PR-Stunt, um sein Album zu promoten".

Euronymous wiederum verurteilte die Aktion, er wollte nicht, dass der Szene so viel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Während wir staunend um die wiedererbaute, schwarz gestrichene Holzkapelle schlendern, erklärt uns Anders: "Die Geschichte hat damals alles zerstört für uns. Wenn du die Art von Musik mochtest, wurdest du plötzlich automatisch mit den Kirchenbränden assoziiert – das hat uns alle noch mehr in den Untergrund getrieben, weil wir auch keine Gigs mehr spielen konnten."

Holmenkollen Kapelle

Nina Hochrainer

Die Holmenkollen-Kapelle

Dann heißt's Abfahrt. Auf dem Weg zurück in die Stadt erzählt uns Anders eine tiefmakabre Geschichte vom charismatischen und fanatischen Euronymous, dem für die Durchsetzung seiner Ideen kein Weg zu abwegig oder extrem erschien: "Einmal wollte er eine limitierte Ausgabe, 100 Stück, eines Mayhem-Albums aus menschlichem Leder machen. Tja, und wenn du ein Black-Metal-Album haben willst, muss es eben schwarze Menschenhaut sein – das war Euronymous' Gedankengang. Er trat dafür in Kontakt mit einem Guerilla-Führer im Kongo, der ihm aus Leichen Hautteile besorgen sollte. Es wäre sogar machbar gewesen, aber es war dann doch zu teuer." Keine ethischen Bedenken also, nur finanzielle, da wird unter den Tourteilnehmern hörbar nach Luft geschnappt. Durchwegs amüsant ist hingegen die Geschichte jener ersten 1.000 Kopien von Mayhems Debüt-EP „Deathcrush“, die auf blutrotes Vinyl gepresst werden sollten – aber versehentlich pink rauskamen. Pink Metal – das geht ja wohl gar nicht.

Bäckerei

Nina Hochrainer

Unser täglich' Brot heißt die Bäckerei.

Mittlerweile sind wir am zweiten Stopp angelangt: Ein nett herausgeputztes Haus in einer trendigen Gegend Oslos: Die Location von Euronymous' Plattenladen Helvete – zu Deutsch Hölle – den er von '91 bis '93 betrieb. Helvete fungierte auch als Aufnahme- und Produktionsstudio für sein Label und war Hauptquartier des engsten Kreises der Szene, des Black Metal Inner Circle. Heute befindet sich hier eine Bäckerei mit durchwegs himmlischen Mehlspeisen. Während wir schwarzen Kaffee schlürfen, beschreibt Anders die ursprüngliche Einrichtung: "In einem Raum war der Laden, im anderen lebte Euronymous. Die Wände waren natürlich alle schwarz gestrichen, ich hab' hier oft auf der Couch gepennt. Hier haben wir uns getroffen, um neue Musik zu hören, die reinkam, wie man das halt in der Prä-Internet-Ära so gemacht hat."

Bäckerei

Nina Hochrainer

Das war früher mal der Helvete Plattenladen.
Bäckerei

Nina Hochrainer

Keinen Kakao mit Creme für uns, nur schwarzen Kaffee.

Die eigentliche Gralskammer des norwegischen Black Metal befindet sich allerdings nochmal einige Meter darunter im Keller des Gebäudes: Durch einen schmalen, unbeleuchteten Gang gelangen wir in einen winzigen, feuchten Raum. Anders hat ihn für uns feierlich mit Kerzen ausgeleuchtet. An einer der Wände thront das von Euronymous seinerzeit an die Wand gesprayte Black Metal Graffiti, ein Dokument aus der Frühzeit der Szene und vor allem bekannt von einem Foto der Gruppe Darkthrone.

Black Metal Graffiti

Nina Hochrainer

Jene Fotosession war auch schon so ziemlich der einzige Zweck, dem dieses Kellerloch jemals diente – seine heutige Verwendung als Sightseeingspot mal ausgenommen. Während sich nun ein Tourteilnehmer nach dem andern fürs obligate Erinnerungsfoto vor dem Graffiti in Pose wirft, empfiehlt uns Anders einige – ebenfalls obligate Einstiegsalben – darunter natürlich Mayhems "De Mysteriis Dom Sathanas" und Darkthrones "A Blaze in the Northern Sky".

Keller Black Metal

Nina Hochrainer

Bild im Bild: Das Foto von Darkthorne vor dem Black Metal Graffiti

Zurück im Tageslicht passieren wir anschließend mit dem Bus den beklemmendsten Schauplatz der Tour: Euronymous' früheres Wohnhaus, vor dem er am 10. August 1993 von Varg Vikernes nach einem Streit erstochen wurde. 23 Messerstiche, die den Täter 16 Jahre hinter Gitter bringen sollten. Über die genauen Umstände und Motive wird bis heute spekuliert – Machtkampf, finanzielle Streitigkeiten oder pure Mordlust – für Anders war es jedenfalls das Ende des Black Metal. Er erinnert sich: "Eine Woche vor dem Mord war ich noch in Euronymous' Wohnung und er hat mir seine neue Platte vorgespielt. Er war total happy mit den Aufnahmen und echt gut drauf. Obwohl er nie Alkohol getrunken hat, hat er mir an diesem Abend einen Vodkashot eingeschenkt. Als ich eine Woche später erfuhr, dass er getötet worden war, war das natürlich ein Riesenschock für mich und alle anderen. Mit seinem Tod sind auch viele andere Dinge gestorben." Die Mordlocation als Sehenswürdigkeit – da würde sich Euronymous, dem sein Bekanntheitsgrad zu Lebzeiten stets zuwider war, wohl heute im Grab umdrehen.

Recordshop Neseblod Records

Nina Hochrainer

Gotta love Metal Bandnames
Neseblod Records

Nina Hochrainer

Neseblod Records

Unser letzter Stopp ist schließlich der legendäre Plattenladen "Neseblod Records" – ein wahres Museum mit wertvollen Black-Metal-Artefakten und rechtmäßiger Nachfolger des Helvete-Stores, fein sortiert und szenegetreu dekoriert. Mit Herumstöbern, Staunen und Nachfragen geht diese kuriose Sightseeing Tour zu Ende. Anders versichert uns abschließend: "Was ihr heute über Black Metal gelernt habt, deckt so ziemlich alles ab, was man für den Anfang wissen muss." Nun, wenn der Experte das sagt, wollen wir's ihm mal glauben – obwohl natürlich klar ist, dass sich das Genre seitdem weiter entwickelt und ausdifferenziert hat. Aber das ist eine andere Geschichte ...

Bei der Busfahrt zurück ins Stadtzentrum läuft nochmal Mayhem. "Darkness will show us the way ..." schnappe ich auf. Mittlerweile ist es Mittag. Über Oslo strahlt noch immer die Sonne.