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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

26. 12. 2012 - 15:39

Weihnachtsmärchen

Vor ungefähr 15 Jahren bekam ich zu Weihnachten mein erstes Videospiel geschenkt.

Super Mario. Ich habe ihn sehr gemocht. Er sprang über Pilze und auf Schildkröten und lief fröhlich durch Feuer- und Wasserwelten. Ich war nicht sehr gut im Spiel. Ich gab mir große Mühe, aber mein Klempner fiel immer in irgendein Loch und starb. Ich versuchte es immer wieder und kam nicht weiter.

Mein Bruder beäugte meine Bemühungen mit Verachtung. Eigentlich war er nur neidisch auf mich, weil ich das Videospiel bekommen hatte und er ein paar Stunden Schlittschuhlaufen. Denn Schlittschuhlaufen macht schon Spaß, aber es ist irgendwann vorbei und mein Super Mario blieb. Er wollte so gerne das Spiel ausprobieren, aber ich ließ es nicht zu. Ich hielt den Joystick wie meinen wertvollsten Schatz und ließ ihn nicht los. Meine ganze Familie bat mich meinem Bruder doch einmal spielen zu lassen. Am Ende gab ich nach. Mein Bruder fing sein Spiel an und auf wundersame Weise war sein Mario viel besser als meiner. Ohne zu zögern eroberte er ein Level nach dem anderen. Mein Bruder schaffte das Spiel beim ersten Mal fertigzuspielen.

Rodelnde Menschen in einem verschneiten Berliner Park

Reise-Frank / CC BY 2.0 / flickr

Damals lebten wir in Berlin. Es schneite. Die Stadt sah aus wie die Schlussszene vom "Kevin allein zuhaus". Meine Eltern wollten die Weihnachtsatmosphäre der Stadt spüren. Wir gingen spazieren. Vor einer Kirche sang ein Chor Weihnachtslieder. Wir hielten an. Alles sah sehr idyllisch aus – die rosawangigen Choristen vor der Kirche und die Menschen in ihre feierliche Laune.

Ich und mein Bruder standen ganz hinten. In dem Moment, wo der Geist von Weihnachten auch uns erreichen sollte, schubste ich ihn auf den Boden. Er fiel mit dem Gesicht in den Schnee. Ohne viel nachzudenken grätschte er mich auch nieder. Weihnachten war da und ich und mein Bruder schlugen uns. "Du willst Super Mario spielen, jetzt kriegst du deinen Mario", dachte ich mir.

Wie merkten irgendwann, dass uns die Menschen anschauten. Wir gaben uns noch ein paar Tritte, um uns zu vergewissern, dass es so war. Ein älterer Herr zeigte auf uns und ich kann mich noch erinnern, wie er zu seiner Frau sagte: "Schau dir diese Kinder an, wie lustig sie im Schnee spielen." "Ja, sie sind wunderschön, so unschuldige, reine Wesen!" Die Leute im Chor schauten uns auch an. Der Dirigent zeigte auf uns und der Chor fing ein neues Lied an. Ich kann mich nicht erinnern, was es für ein Lied war, aber am Ende klatschten alle. Die nette Frau brachte mich und meinen Bruder zur Bühne. Seitdem mag ich Super Mario nicht.