Erstellt am: 23. 12. 2012 - 20:05 Uhr
Noel Baba kommt
Bei einer schicksalshaften Begegnung vor ein paar Tagen fragte mich ein Ex-Zuhälter, ob wir, also die Türken, auch Weihnachten feiern. “Nein, nein, überhaupt nicht“, antwortete ich sofort. Schließlich interessiert mich an Weihnachten nur das reichliche Angebot an gebrannten Mandeln und Kinderpunsch. Ich gehe mit leeren Händen auf Weihnachtsfeiern und verlasse sie wieder mit vollem Magen. Schnorren nennt man sowas normalerweise, aber von mir erwartet eh niemand, dass ich mit meiner Oma Kekse backe.
CC BY-SA 2.0 / flickr / mehmet_dogan
Am 24. Dezember schließlich sitze ich alleine Zuhause und höre passenderweise FM4, Weihnachten ohne Freunde. Für mich konnte ich die Frage des netten Ex-Zuhälters bedenkenlos mit Nein beantworten, aber kann ich das wirklich für die ganze Türkei sagen?
Plastikbäume und Truthähne
Wenn man sich zur Weihnachtszeit durch das türkische Fernsehen zappt, wird man Zeuge einer ungewöhnlich weihnachtlichen Stimmung. Die Studios der Vormittagssendungen, die als „Hausfrauensendungen“ im türkischen Fernsehen ihr eigenes Genre bilden, sind weihnachtlich geschmückt und in den Soaps sieht man (hauptsächlich reiche) Familien sich untereinander beschenken. Das alles passiert mittlerweile nicht nur im Fernsehen. In Einkaufszentren rennen Weihnachtsmänner und -bäume durch die Gegend und immer mehr Haushalte gönnen sich eine dieser Plastiktannen. Es ist mehr oder weniger wie Weihnachten in Österreich, aber ohne Glühwein und Christkind.
Der größte Unterschied ist das Datum. Vermutlich wegen der Nähe der beiden Ereignisse haben viele Türken Weihnachten als ein Neujahrsfest interpretiert und gefeiert wird also am 31. Dezember. Der Name für den ganzen Wahnsinn wurde aus dem Französischen entlehnt und heißt Noel. Die Weihnachtsmänner sind Noel Babas. Wer also am 24. Dezember noch nicht genug hat, sollte ein paar Tickets nach Istanbul buchen.
Das Neujahrsfest hat manches von Weihnachten übernommen und dann mit einigen authentischen Traditionen vermischt. So verzehren viele türkische Familien am 31. Dezember üppig gefüllte Truthähne, essen tonnenweise Cerez, spielen Bingo, besaufen sich und tanzen die ganze Nacht durch.
Der Weihnachtsmann ist Türke
Noch in den 90er Jahren herrschte in der Türkei große Verwirrung über Weihnachten. So galt es etwa in einer Nachrichtensendung für unerklärlich, dass Noel in der westlichen Welt früher gefeiert würde, nicht am 31., so wie es sich gehöre, sondern am 24. Dezember. Mittlerweile wurde Weihnachten so sehr verinnerlicht, dass manche Türken sogar die These vertreten, dass es sich dabei in Wahrheit um ein türkisches Fest handelt. Das führen sie darauf zurück, dass der heilige Nikolaus, der das Vorbild für den modernen Weihnachtsmann sein soll, im heutigen Gebiet der Türkei gelebt hat.
Melancholie und Noel
Vor drei Jahren wurde Noel um eine noch fehlende Komponente erweitert: den Weihnachtsfilm. Während einige Traditionalisten sich über die Propagierung von fremden Kulturen ärgerten, hatte ich andere Befürchtungen. Als ich mir im Kino dann Neseli Hayat (Fröhliches Leben) ansah, war ich erleichtert zu sehen, dass der Film nicht den Tim Allen’schen Weihnachtsfilmstandards entspricht. Mit einer typisch türkisch großen Portion an Melancholie erzählt der Film die Geschichte von Riza, der auf ein Pyramiden-Modell reinfällt. Um seine Schulden zurückzahlen zu können, muss er seinen Stolz überwinden und nimmt einen Job als Noel Baba in einem Einkaufszentrum an. Ich habe bei diesem Film mehr geheult, als irgendjemand bei Tim Allens Filmen Tränen lachen könnte.
Es stimmt also, auch in der Türkei wird Weihnachten gefeiert, eben auf eine eigene Art und Weise. Solange es aber keine Weihnachtsmärkte mit gebrannten Mandeln und Kinderpunsch gibt, bevorzuge ich aber das österreichische Weihnachten.