Erstellt am: 22. 12. 2012 - 09:45 Uhr
Mein Haus, meine Yacht, mein Musikgeschmack
Unter all den unterschiedlichen Darreichungsformen des Konzepts "Musik-Compilation", zwischen also dem beispielsweise kunstvoll aneinandergeschnittenen DJ-Mix, dem zeitlich definierten Rückblick auf einen Ausschnitt eines Label- oder Künstler-Katalogs oder der thematisch (Weihnachten, Musiker covern alte Helden) gebrandeten Zusammenstellung, gehören die Einträge in die renommierte englische Reihe "Late Night Tales" zu jenen, die der Idee des guten alten Mixtapes am nächsten kommen. Auch wenn das Mixtape, also wirklich wie in "Tape" als Kassette, in der jüngeren Vergangenheit ein bisschen gar arg als geiles Artefakt einer besseren, unschuldigen, noch nicht ganz von Technologie-Terror zugequatschten Jugend nostalgisch und "kultig" verklärt wurde, so ist das zugrundeliegende Konzept dennoch ein nach wie vor erfrischendes und eines, das das Herz ein bisschen klopfen macht.
Das Mixtape ist ein Blick ins Plattenregal, also auch in die Gemütslage und die Geschmacksirrungen, eines geliebten oder immerhin - wie im vorliegenden Fall hoffentlich - wenigstens geschätzten Menschen. Die versammelten Stücke sind nicht nach allen Künsten des DJ-Handwerks aufwändig ineinander verzahnt oder speziell neu arrangiert übereinander gemixt, sondern meist - wenn überhaupt - sachte und kurz ineinander geblendet; sie sollen als wiedererkennbare, eigenständige Lieder für sich selbst stehen können.
Die Macher hinter der mit den Friendly Fires jetzt schon bei Nummer 30 angekommenen Serie "Late Night Tales" bitten Musiker und - eher seltener - Künstler (David Shrigley), ein schönes Sammelsurium an privaten Lieblings-Stücken zusammenzustellen, das einzig der wirklich losen Vorgabe folgen soll, eine Zusammenstellung für, so will es der Titel, den späten Abend zu sein. Jedoch nicht solch ein Abend, an dem man sich in der Diskothek dem Schweiß und den Bedürfnissen des Körpers hingibt, sondern einer, den man unter der Kuscheldecke zubringt, mit der großen Tasse Kamillentee im Händchen.
Friendly Fires - Why Don't You Answer
Friendly Fires
Bislang waren die unter der Losung "Late Night Tales" erschienenen Compilations allesamt nahezu durchgehend auf die eine oder andere Weise ziemlich fantastisch - egal, ob die Groove Armada, Lindstrom, Belle and Sebastian, MGMT, die Flaming Lips oder gar Snow Patrol und Fatboy Slim als beauftragte Sound-Kuratoren am Werke waren. Man hört ja doch auch noch ganz andere Musik als die, die man selber so macht zum Geldverdienen.
So bewegt sich das auf den Beiträgen zur Reihe versammelte Material meist geschmeidig zwischen akustischem Singer/Songwritertum, entspannter Elektronik, Tropicalia-Tupfern, smoothem Soul, ganz weichem Cocktail-Rock und atmosphärischem Synthesizer-Kraut. Die Zusammenstellung des französischen Duos Air darf hier als exemplarisch gelten: Fast schon möchte man meinen, Air und die Late-Night-Tales-Reihe hätten ihre jeweilige Lounge-Coolness, die eben nicht bloß beiläufig ist, sondern unterschwellig durch scharf-extravagantes Musikwissen glänzt, ganz und gar nach dem Vorbild des jeweils anderen modelliert.
Auch den Friendly Fires ist eine ganz wunderbare Auswahl gelungen. Das englische Synthie-Pop-Trio hat bislang zwei zwar sehr gute Alben veröffentlicht, die die Qualität von ähnlich gelagerten Acts wie Cut Copy, The Rapture oder Hot Chip aber nie ganz erreichen konnten und es mit ihrem 80er-Jahre-Überschwangs-Zuckerkick bisweilen etwas zu gut meinten - der Geschmack der drei Herren aber ist, wenn es sich um die Musik anderer dreht, wer hätte es anders erwartet, ein exquisiter.
Die Friendly Fires starten ihren Mix mit einem eher unbekannten Stück von Brüdern im Geiste, den Junior Boys. Danach begeben sie sich für ein gutes Viertel der Compilation in die schön schwülstigen Nebel von Disco an der Kippe der späten 70er-Jahre: Angesoulter Disco-Funk, elektronisch kosmische Space-Disco, leicht käsige Pop-Disco, Soft-Rock-Disco von Dennis Parker mit seinem in den letzten fünf Jahren in gefühlt hundert Mixes verbratenen "Like an Eagle". Ist aber immer noch gut.
Friendly Fires - Late Night Tales
Es muss aber natürlich gefinkelter und wissender werden: So gleiten die Friendly Fires von neueren House-Versuchsanordungen von DJ Sprinkles und Iron Galaxy über alterwürdigen (Stereolab) und ganz freshen (Laurel Halo) Art-Pop hin zum Geisterfolk der großartigen Musikerin Grouper und zu verschwaschen-ambientösem-Pop mit Indie-Schlagseite von Slowdive und den Cocteau Twins. Zum Schluss gibt's noch einmal herrliches Schmalz von Olivia Newton-Jones und moderne Klaviermusik von Nils Frahm - danach liest der englische Schauspieler Benedict Cumberbatch, den man eventuell als "Sherlock" aus der gleichnamigen Fernseh-Serie kennen dürfte, eine Kurzgeschichte vor.
Auf dem Papier mag das alles ein bisschen zu schlau und geckenhaft ausgedacht klingen, tatsächlich "funktioniert" - und das ist der Zweck von derlei Zusammenstellungen - "Late Night Tales - Friendly Fires" nur bestens: Ein Mix, der von merkwürdigen Nebeneinanderstellungen und Brüchen ebenso lebt wie vom Aufflackern von kaum für möglich gehaltenen Schnittmengen. Den Friendly Fires glückt ein nobler Eiertanz zwischen weird zur Schau gestelltem Obskurantentum und Pop-Appeal. Neue Welten entdecken und den Wunsch in sich wachsen spüren, jetzt dann also doch wieder einmal das alte Doppel-Tape-Deck aus dem Keller zu holen.