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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

30. 12. 2012 - 06:00

Kein Licht am Ende dieses Tunnels

Eugen Ruge schildert in seinem Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts", wie das Versprechen des besseren Lebens und des Kommunismus in der DDR seinen Glanz verloren hat.

Die DDR steht im kulturellen Gedächtnis der Deutschen ein wenig im Abseits. Name, Hymne, Fußballnationalmannschaft wurden aufgelöst und sind im ehemaligen Gegner und Klassenfeind, der BRD aufgegangen. Vieles, worauf DDR-BürgerInnen stolz waren, ist nach der Wende schnell verschwunden und musste Neuem Platz machen. Die kollektiven Erinnerungen Millionen Deutscher wurden für minderwertig befunden, statt einer gemeinsamen Geschichte der Deutschen hat sich die Sichtweise des "siegreichen" Systems durchgesetzt.

Buchcover: Eugen Ruge "In Zeiten des abnehmenden Lichts"

Rowohlt Verlag

Eugen Ruge: In Zeiten des abnehmenden Lichts; Rowohlt Taschenbuch Verlag 2012.

Die Kultur ist oft eine der ersten, die bei solchen Ungerechtigkeiten aufschreit. Seit einigen Jahren erscheinen vermehrt Bücher, die sich mit der Geschichte der DDR befassen und die überaus erfolgreich sind. 2008 ging der Deutsche Buchpreis an Uwe Tellkamps Roman "Der Turm", dieses Jahr an Ursula Krechels "Landgericht" und dazwischen, 2011, an Eugen Ruges "In Zeiten des abnehmenden Lichts".

Vier Generationen Sozialismus

Ruge hat sich für den Generationenroman als Form entschieden, um vergessene deutsche Geschichte wieder ins Bewusstsein zu schreiben. Vier Generationen decken den ganzen Existenzraum der DDR ab, inklusive Vor- und Nachgeschichten. Ein halbes Jahrhundert, in dem sich die Heilsversprechungen des Kommunismus immer mehr als Täuschung entpuppen.

Die Generation der Urgroßeltern ist in den 1920er Jahren in die Kommunistische Partei eingetreten, hat im Untergrund oder aus dem Exil gegen die Nazis gekämpft und kommt nach Errichtung der DDR in Führungspositionen. Bis zum Schluss sind sie systemtreu, was so weit geht, dass der Familienpatriarch noch 1989 auf seiner Geburttagsfeier die Parteihymne der SED anstimmt, samt Würdigung von Stalin.

Arrangements und Distanzierung

Die nachfolgende Generation hat auch noch gegen den Nationalsozialismus gekämpft, aber den stalinistischen Terror auch am eigenen Leib erfahren müssen, im Arbeitslager und später im Berufsleben. Mit dem System haben sie sich trotzdem noch arrangieren können.

Erst die dritte Generation findet ihren Platz in der Gesellschaft nicht mehr und für deren Kinder besteht der Kommunismus nur mehr aus kuriosen Kindheitserinnerungen.

Ohne moralisches Urteil

Vater, Mutter, Kind und kompliziertere Familiengeschichten: FM4 widmet sich in den Weihnachtsferien den Familien in der Literatur. Nicht klassischen Familien, sondern Familien-klassikern bzw. Klassikern, in denen die Familie eine wichtige Rolle spielt.

Eugen Ruge erzählt seinen Roman nicht chronologisch, sondern springt zwischen 1952 und 2001 von Datum zu Datum, um immer wieder zum 1.Oktober 1989 zurückzukehren, dem 90. Geburtstag des Familienpatriarchen, knapp einen Monat vor dem Fall de Mauer.

Er wechselt aber nicht nur die Zeiten, sondern auch die Erzählperspektiven, schlüpft in die Rolle jeder seiner ProtagonistInnen und gibt ihnen jeweils eigene Stimmen. So gibt er kein eindeutiges Urteil über Handeln und Leben seiner Figuren ab, sondern lässt seine LeserInnen entscheiden.

Familientyrann und Schwiegermonster

Wie es bei den meisten Familien üblich ist, kommen sie vor allem bei Feiern zusammen, und genau da lässt Ruge sie immer wieder aufeinanderprallen. Die Familientyrannen und Schwiegermonster, die er da in die Konfrontation schickt, gibt es ähnlich auch im Westen, bei Ruge sitzt allerdings nicht der unverbesserliche Nazi am Tischende, sondern der Stalinist, der in den nachfolgenden Generationen nichts als Defätisten sieht.

Sprechverbote und Tabus halten bei Tisch nicht lange, gestritten wird über Gorbatschow und Chruschtschow, Geschichtsschreibung und deren Ende, Versprechen der Demokratie und demokratischen Sozialismus. Fast jedes Fest endet mit einem Eklat, an dem natürlich niemand Schuld haben will.

Ruges Generationenroman wird getragen von der Auseinandersetzung mit der nationalen Vergangenheit der DDR, ohne dass diese zu dominant in Erscheinung tritt. "In Zeiten des abnehmenden Lichts" versteht es hervorragend, die ausgeblendeten Erinnerungen der DDR-Bevölkerung wieder hervorzuholen und sie einzubetten in das deutsche kulturelle Gedächtnis. Eine Empfehlung auch für österreichische LeserInnen.