Erstellt am: 25. 12. 2012 - 17:10 Uhr
One Hour Gaming
Manche sagen, aktuelle Videospiele seien zu zeitaufwändig designt, den anderen dauern die Spielerlebnisse wieder zu wenig lange. Fest steht, dass das Angebot und die inhaltliche Vielfalt so reichhaltig sind, dass man manchmal nicht mal mit dem Sichten der Titel nachkommt. Muss man auch nicht: mediale Berichterstattung, Mundpropaganda und natürlich der eigene Geschmack samt Vorurteilen und Gefühligkeiten sorgen für einen persönlichen, mehr oder weniger strengen Filter.
Die Regeln:
Die Zeit beginnt nach der Installation des jeweiligen Spieles zu laufen. Während des Spielens werden keine Pausen eingelegt, das Game wird konzentriert gespielt, sodass innerhalb der Stunde möglichst viel wahrgenommen werden kann.
Aber was, wenn man sich trotz des Filters alles ansehen würde, damit man zumindest eine grundlegende Idee von den jeweiligen Werken bekommt? Viele wollen das gar nicht, immerhin muss man sich dann ständig auf Neues einlassen und kann sich nicht auf eine Sache ausgiebig konzentrieren. Als Journalist schreckt man vor dem kurzen Blick oft auch zurück, weil man Sorge hat, vor sich selbst und den Lesern/Hörern/Sehern die Integrität zu verlieren, wenn man ein Produkt, ein Ding, nicht von allen Seiten ausgiebig betrachtet und analysiert, bevor man darüber befindet.
In einem kleinen Selbstversuch soll dieses ungeschriebene Gesetz hier mal bei einigen aktuellen Games gebrochen werden. Ein-Stunden-Kurztests sind zwar nichts Neues, aber auch noch keine gängige Praxis. In diesem Sinne: Games installiert bzw. Disc oder Cartridge eingelegt, Stoppuhr gestellt und los geht's!
OIO The Game (Windows, Mac)
Der Platformer vom französischen Indie-Team Uncanny Games ist schon im Frühherbst erschienen und dreht sich um eine stille Holzpuppe, deren Kopf wie ein Lochziegel aussieht. Der Name "OIO" soll das auch bildlich verdeutlichen. Das Game kommt schon nach einigen Minuten zu seinem Hauptelement: Man kann mit seltsamen Samen horizontal, vertikal und diagonal magische Stauden pflanzen - allerdings können maximal drei davon gleichzeitig am Bildschirm sein. Das erinnert ein bisschen an die Holzkisten-Methode vom Knobel-Action-Hybridspiel "Trine", wo der Zauberer auch ständig Brücken und Übergänge bauen muss. Visuell ist "OIO" charmant, kommt aber spielerisch nicht in die Gänge und führt kaum neue Elemente ein. Während der Stunde stürzt das Spiel einmal ab, zweimal bleibe ich an genau der selben Stelle mit meiner Figur im Boden hängen und muss den Level neu starten. Als Studentenprojekt wäre es bemerkenswert, als "normales" Indie-Game um rund 8 Euro ist es bloß durchschnittlich.
Uncanny Games
PlayStation All-Stars Battle Royale (PS3, PS Vita)
Trotz der vielen Bemühungen der letzten zehn Jahre tut sich PlayStation immer noch schwer darin, seine - eigentlich recht zahlreichen - Videospielstars so glänzen zu lassen, wie Old-School-Konkurrent Nintendo es tut. Der hat mit "Super Smash Bros." bereits seit 1999 eine Sammelbeckenspieleserie für seine wichtigen Maskottchen. Jetzt ist endlich auch ein PlayStation-All-Stars-Team gecastet worden, wo man sich von Nathan Drake ("Uncharted") über den Sackboy ("LittleBigPlanet") bis hin zu weniger bekannten Charakteren aus Spielen wie "Fat Princess" oder "Heavenly Sword" wechselseitig verdrischt. Sogar der alte Comic-HipHop-Hund "PaRappa The Rapper" ist dabei, womit das Spiel bei mir schon mal einige Pluspunkte gewonnen hat. Spielerisch gibt's nichts auszusetzen: Die Steuerung ist verlässlich, jede Figur hat zu ihr passende Special Moves und - wichtig für ein Fighting Game - Arcade Sticks werden unterstützt. Die Präsentation schießt aber weit übers Ziel hinaus. Jede Kampfarena ist ebenfalls einem bestimmten PlayStation-Game gewidmet, bewegt und verändert sich und startet zusätzliche Angriffe aus dem Hintergrund. Gekoppelt mit dem "Jeder gegen Jeden"-Modus mit bis zu vier Figuren sorgt das für einen hohen Chaosfaktor. Als jugendfreies, weihnachtliches Geprügle unter dem Christbaum ist "Battle Royal" aber garantiert trotzdem ein guter Launemacher.
Sony PlayStation
TELEGLITCH (Windows, Linux)
"We want to give you the paranoid, sweaty and bloody hard kind of fun", heißt es auf der Website. Das kann ja heiter werden. "TELEGLITCH" ist eine Art "Doom" als verpixelter Top-Down-Shooter. Auch hier sind wir auf einem wissenschaftlich-militärischen Außenposten im All gestrandet, bei dem etwas grob schief gelaufen ist und wir nun alleine mit verstrahlten und verseuchten Wesen in sonst verlassenen Gängen und Außenlandschaften herumstreunen. "TELEGLITCH" ist visuell minimal, dafür auditiv umso heftiger. Die selbstgebastelten Bomben gehen mit einem lauten, dumpfen Knall hoch, die Zombies und Mutanten raunen und zischen, wenn sie uns entdecken und sofort die Verfolgung aufnehmen. Ich musste das Game gar nicht kaufen, weil ich in der einen Spielstunde nicht mal das erste Demo-Level geschafft habe (aber immer nur knapp nicht - glaube ich ...). Das macht aber nichts, denn bei jedem Neustart wird die Welt prozedual frisch generiert und die Anordnung der Räume, Monster und Gegenstände ändert sich. "TELEGLITCH" hat sogar sein eigenes, kleines Crafting-System und lässt auch die sinistre Hintergrundgeschichte nicht zu kurz kommen. Wer "Hotline Miami" durch hat und die alten "Fallout"-Spiele mochte, ist hier bestens beraten. 10 Euro sind dafür auch ein fairer Preis.
TELEGLITCH-Team, Desura
Tank! Tank! Tank! (Wii U)
Hier sind wir nun mitten in der Kategorie "Bizarre Videospiele aus Japan" angekommen. "Tank! Tank! Tank!" war ursprünglich ein Spielhallen-Titel und ist zum Launch der Wii U für Konsole adaptiert worden. Das war allerdings höchst unverantwortlich, denn im Gegensatz zur Arcade, wo man nach spätestens 5 in den Automaten geworfenen Euro weiß, dass man Mist ausgesetzt ist, wird man ein rund 40 Euro teures Konsolenspiel nicht mehr so leicht los. "Tank! Tank! Tank!" wird bestimmt für die eine oder andere Weihnachtsenttäuschung gesorgt haben, weil es ein grottenschlechtes Game ist, das in bester Absicht von ahnungslosen Eltern unter den Christbaum gelegt worden ist. Es gibt genau zwei Eingabemöglichkeiten: fahren und schießen. Jedes Level dauert rund zwei Minuten und besteht darin, hässliche Robotermonster zu beharken. Zum Standardschuss gibt es zwei Zusatzwaffen, die per Zufall in die winzigen Levelareale geworfen werden und nach ein paar Sekunden auch schon wieder aufgebraucht sind. Bereits im zweiten Level ist mir der verdammte Blechdrache vier Mal in Serie ganz knapp nicht gestorben, bevor die Zeit ausgelaufen ist. Okay in der Spielhalle, nicht okay vor dem Fernseher. Schon nach 15 Minuten möchte man die Disc aus der Konsole nehmen, auseinanderbrechen und darauf herumtreten. Als ich kurz vor Ablauf der Stunde bemerkt habe, dass man jedes langweilige Level auch noch mit möglichst vielen verschiedenen Tanks spielen muss, damit man genug Medaillen hat, um weitere Levels zu sehen (ich kann's gar nicht erwarten), war nur noch Kopfschütteln angesagt. Das Spielen von "Tank! Tank! Tank!" ist die beste Methode, um möglichst rasch schlechte Laune zu bekommen.
Namco
Micky Epic: Macht der Fantasie (3DS)
Dabei handelt es sich nicht um eine ausgedünnte Handheld-Version des aktuellen "Micky Epic 2", das kürzlich für Konsolen und PC erschienen ist. "Macht der Fantasie" bietet stattdessen eigenständiges Gameplay in 2D und ist eine Art Neuauflage des Mega-Drive-Klassikers "Castle of Illusion" aus dem Jahr 1990. Wir befreien von einer Hexe gefangene Toon-Charaktere im trügerischen Illusionsschloss, die quer über den bunten Gebäudekomplex verstreut sind. Weil der epische Micky im Titel ist, wurde leider das etwas dröge Prinzip des Zauberpinsels über das Spielprinzip drübergestülpt. Das führt dazu, dass die netten Jump'n'Run-Passagen ständig durch nervige Zeichenaufgaben unterbrochen werden, bei denen wir wahlweise eine Umrandung nachzeichnen (Gegenstand herbeizaubern) oder eine Form übermalen müssen (Gegenstand auslöschen). Ebenfalls gestört wird der Spielfluss durch träge Zwischensequenzen und eine Art "Die Sims" für Vorschüler, bei dem wir jeder befreiten Disney-Figur ihr eigenes Zimmer einrichten und für sie manchmal irgendwelche verlorenen Gegenstände suchen können. Auch ohne diesen Firlefanz wäre "Macht der Fantasie" hinsichtlich Leveldesign und visueller Dynamik heillos veraltet, würde dafür aber immerhin etwas Stringenz besitzen und könnte schneller durchgespielt werden - vorausgesetzt, man ist konzentriert genug, die penetrant düdelnde "Orchestermusik" und das ständige "Hopp!" bei jedem Sprung von Micky akustisch auszublenden.
Disney Interactive Studios, DreamRift
KRUNCH (Windows, Linux, Mac)
Indie-Games werden derzeit offenbar gerne komplett in Großbuchstaben geschrieben, das hat "KRUNCH" mit dem weiter oben vorgestellten "TELEGLITCH" gemein. Inhaltlich orientiert sich "KRUNCH" aber mehr an Games wie "VVVVVV" (schon wieder groß!) und "Super Meat Boy". Auch hier gibt es viele kleine Levels im Retro-Games-Look, die eigene Namen tragen und in denen es darum geht, eine Figur heil durch enge Gänge voller Stacheln, beweglicher Steine und rotierender Sägeblätter zu lotsen. Bei "KRUNCH" steuern wir aber kein humanoides Wesen, sondern eine fliegende Kugel, die ein bisschen an Wheatley aus "Portal 2" erinnert. Wer schon länger Computerspiele spielt, erinnert sich hier möglicherweise auch an das kuriose Game "Bubble Ghost" von Ende der 80er, wobei der lustige Geist mit den Seifenblasen im Vergleich mit "KRUNCH" ein kontemplativer Kindergeburtstag ist. Wir lenken unsere Kugel mit den Pfeiltasten, zusätzlich gibt es eine Turbotaste, ohne deren Verwendung man sehr schnell zum Alteisen wird. Fein ist, dass kurze, einfache Levels sich immer wieder mit längeren, bockigen abwechseln und so die Motivation hochhalten. Weil man für manche Abschnitte nur wenige Sekunden braucht, ist das Spiel wirklich kurzweilig, gleichzeitig aber herausfordernd. In der einen Spielstunde habe ich ziemlich viel Inhalt gesehen, inklusive drei Endgegner, bei denen man möglichst schnell zum Ausgang rasen muss, damit man nicht von ihnen gefressen wird. "KRUNCH" kostet rund 8 Euro, und gemeinsam mit dem wunderbaren Soundtrack von Chiptune-Artist Disasterpiece nur ein bisschen mehr.
V. Franetovic, M. Lohaus