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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

6. 1. 2013 - 14:02

Tagebuch zum Jahr der Pflicht (1)

Jänner: Wahlweise eine Haube oder ein Paar Socken stricken

marc carnal

Nach dem "Jahr des Verzichts" im Jahr 2011 gilt es heuer, monatliche Pflichten zu bestehen. Mitstreiter sind in der Neigungsgruppe Pflicht jederzeit willkommen.

Jeden Monat stehen drei Aufgaben in Kategorien wie Handwerk, Wissen oder Selbstüberwindung zur Auswahl. Die Leserschaft stimmt darüber ab, welche Pflicht erfüllt werden muss.

Voting Jänner - Kategorie Handwerk

Dienstag, 1. Jänner

● Silvester-Nachbemerkung: Wenn ein Glas zerbricht, in tausend Teilen am Boden liegt und man sich anschickt, die großen Scherben aufzuheben, kommt immer: "Pass auf, tu dir nicht weh!" Warum eigentlich? Ich habe mich noch nie an einer Scherbe auch nur leicht aufgekratzt. Es ist ein Kinderspiel und bedarf nur durchschnittlichen Geschicks, Glasscherben aufzuheben.

● "Wegdenken" - Dieses seltsame Verb wird nie im positiven Sinn, sondern immer nur in Verbindung mit "kaum mehr" verwendet. Dabei ist der Satz "Er ist aus der internationalen DJ-Szene wegzudenken" auch charmant.

● Unglaublich knappes Abstimmungsergebnis für die Jännerpflicht. Ich habe mit Stricken gerechnet, mir aber die Kugelbahn gewünscht. Andererseits wird dieses Jahr noch mit größeren Prüfungen aufwarten. Ich habe zwar noch nie in meinem Leben Stricknadeln in Händen gehalten, ein Monat sollte aber reichen, um dieses sinnvolle Handwerk zu erlernen.

Mittwoch, 2. Jänner

● Sollten Sie sich fragen, welches Tagebuch-Motto es 2015 gibt, sei das Geheimnis hiermit gelüftet: Das Jahr der Gicht.

marc carnal

Eine Uhr, die fünf vor zwölf anzeigt, wurde von den Kampagnengestaltern schlussendlich doch verworfen.

● Romanidee: Fünf Freunden fällt in bierseliger Runde ein, auf den Tod der Anwesenden zu wetten: Jeder schreibt auf jeweils vier Zettel den Namen eines Freundes und dessen vermutetes Todesalter. Der Wetteinsatz: Wenn jemand stirbt, erbt derjenige das Vermögen, dessen Tipp am nächsten beim tatsächlichen Alter war. Es gibt jedoch eine zusätzliche Auflage: Stirbt jemand mit Schulden, werden diese ebenfalls vererbt. Alle Mitspieler verpflichten sich, das Erbe auf jeden Fall anzunehmen.

Am nächsten Tag suchen die fünf, immer noch begeistert von ihrem morbiden Spiel, einen Notar auf, der die Zettel mit den Wetten begutachtet und verwahrt. Außerdem werden die Modalitäten noch einmal vom Notar festgehalten und die Testamente der Mitspieler geändert.

In der Folge entwickelt sich ein Jahrzehnte währendes kompliziertes Geflecht zwischen den Freunden, die immer mehr zu Rivalen werden. Man recherchiert die Vermögensverhältnisse der Mitspielenden, taktiert in finanzieller und gesundheitlicher Hinsicht, versucht, die Gesundheit der anderen je nach Tipp zu verbessern oder zu gefährden und versteift sich derartig in der Wette, dass die Protagonisten mit zunehmendem Alter darin immer mehr ihre einzige Lebensaufgabe sehen. Der Irrsinn gipfelt in Mordversuchen und aus reiner Missgunst aufgenommenen Krediten, um den Konkurrenten wenigstens nichts zu vermachen.

Trotz aller verbissenen Bemühungen, mit dem eigenen Tipp richtig zu liegen, überleben sie und werden steinalt. Als sie allesamt Mitte 90 sind, inszeniert einer der fünf ein scheinbar zufälliges Zusammentreffen. Er offenbart den anderen, schon bei Abschluss der Wette mit dieser Situation spekuliert zu haben. Deshalb schrieb er auf alle vier Zettel "95". Triumphierend verkündet er, damit eindeutig gewonnen zu haben. Die anderen wollen das aber nicht akzeptieren und beschließen hinter dem Rücken des vermeintlichen Gewinners, ihn zu vergiften und unabhängig vom richtigen Tipp dessen Erbe durch vier aufzuteilen.

Hier endet die eigentliche Erzählung. In einer Nachbemerkung vom Verlag erfährt man, dass die vier greisen Mörder weder Vermögen noch Schulden, sondern einzig ein Romanmanuskript erbten, das der Ermordete Zeit seines Lebens geschrieben und darin den traurigen Lebensweg der fünf dokumentiert hatte. Nachdem auch der letzte gestorben sei, habe ein Enkel das Manuskript im Nachlass gefunden und es an den Verlag geschickt. Ob die darin geschilderten Ereignisse wahr seien, könne man zwar nicht bestätigen, der gemeinsame Selbstmord von vier Hundertjährigen vor einigen Jahren, der für unzählige mediale Spekulationen gesorgt hatte, könnte aber ein möglicher Hinweis auf die Authentizität der Romanhandlung sein.

● Wenn man ein Strick-Fachgeschäft vor der Haustüre hat und dieses erst wieder ab 7. Jänner geöffnet hat, kann man das doch als taugliche Ausrede gelten lassen, sich erst dann der Jänner-Pflicht zu stellen.

Donnerstag, 3. Jänner

marc carnal

gueltigestimme.at - Roland Düringer, der in den letzten Jahren hauptberuflich auf Systemkritiker umgesattelt hat, mit einer wirklichen Bombenidee: Er wird "ohne Auto, ohne TV, Radio und Printmedien, ohne Mobiltelefon, ohne Supermärkte und Handelsketten, ohne Plastikgeld und letztlich ohne Internet" leben. Das, meint Düringer, "klingt heftig, ist es wahrscheinlich auch. Komfortzonen zu verlassen ist naturgemäß unbequem. Aber es ist sicher spannend."
Noch viel spannender: Der Neo-Querkopf führt auf seiner Homepage (unterstützt von systemkritischen Firmen) begleitend zu seinem revolutionären Projekt ein Tagebuch! Herrschaftszeiten, warum ist mir das bloß nicht eingefallen...

● Erste Staffel Homeland durch. Trotz meiner generellen Politikverschwörungs-Unverträglichkeit in Filmen ("bis in die höchsten Kreise", "sogar der Vizepräsident!") reingekippt. Einige Breaking-Bad-Parallelen. Damian Lewis fantastisch, Claire Danes nervt teilweise. Morgan Saylor verkörpert eine wohltuend authentische Tochter. Wunderschöner Vorspann. In den ersten Folgen teilweise grandiose Ideen bei den Sprüngen zwischen Überwachungskameras und Geschehen im Hause Brody.

Freitag, 4. Jänner

● Fühlen sich Pudel wohl im Pudel-Rudel pudelwohl?

● Laden zum zerstreuenden Schmökern ein: Produktwarnungen.
Ein für den Konsumenten grundsätzlich riskantes Erzeugnis scheint Kartoffelcreme zu sein. Gleich zwei Hersteller mussten dieses mir bisher unbekannte Kosmetikprodukt wieder vom Markt nehmen. Ein Leichtsirup wird rückgerufen, weil er zu bersten droht, Parfümduft verbreitende Plüsch-Hasen verletzen mit Metallspitzen in den Löffeln den streichelnden Käufer und in Murmeltierfett tummeln sich gefährliche Bakterien.
Auch schön:

"Wenn sich Kinder absichtlich oder unabsichtlich die Saugnapfgeschoße in den Mund schießen und das im Rachen steckende Geschoß die Atmung blockiert, besteht die Gefahr, dass beim Herausziehen des Pfeils der Saugnapf im Rachen stecken bleibt."

marc carnal

Sorgt bei Ortsunkundigen, die in Mülheim an der Ruhr nach dem Weg fragen, oft für Verwirrung...

● Den Pudel-Satz habe ich um sieben Uhr Früh geschrieben und finde ihn mittlerweile gar nicht mehr gut. Mir wird heute aber nichts Besseres mehr einfallen, also lass ich ihn stehen.

Samstag, 5. Jänner

● Die Harvard Medical School sagt, dass Stricken gegen Bluthochdruck und Stress wirkt."Genau wie Meditation oder Beten ermöglicht Stricken die passive Freisetzung abschweifender Gedanken", verkündet Dr. Herbert Benson. "Die rhythmische und monotone Qualität des Strickens, zusammen mit dem Klicken der Stricknadeln, ähnelt einem beruhigenden Mantra. Die Gedanken können lose umher schweifen, während sich der Verstand auf die Strickarbeit konzentriert."

● Geschäftsidee: Klassiker der Weltliteratur mit vorgefertigten Eselsohren, Randnotizen und Fettflecken herausbringen, um sich die Frage "Hast du die alle gelesen?" zu ersparen.

● Eben hat es noch geherbstelt, jetzt winterlt es und bald wird es wieder sommerln.