Erstellt am: 19. 12. 2012 - 11:07 Uhr
Not all guns are created equal
- Weiterführendes: Ban the Guns: On Tuesday, the most powerful supporter of gun owners and the gun industry, the National Rifle Association, spoke for the first time since the shooting. (FM4 Reality Check)
Die größte Armee der Welt trägt keine Uniform. Man schätzt, dass sich in den USA rund dreihundert Millionen Feuerwaffen in Privatbesitz befinden. Das entspricht ungefähr der Einwohnerzahl des Landes. Allein im November gingen beim FBI über zwei Millionen Anfragen für einen automatisierten Background-Check zur Bewilligung einer Handfeuerwaffe ein. Nie zuvor war die Nachfrage so groß, nie zuvor die Jahreschronik der mass shootings so blutig.
In der Vergangenheit haben die Amokläufe die Allianz aus Waffenindustrie, konservativen Politikern und der Schusswaffenvereinigung NRA kaum in der Überzeugung erschüttert, dass die Antwort auf Waffengewalt noch mehr Waffen sind. Nur so könne man sich angemessen verteidigen und die Zahl der Todesopfer im wahrsten Sinn des Wortes gezielt einschränken. Nach jeder Tragödie bekommt man dieses Argument zu hören. Bisher hat es sich bloß im Konjunktiv erfüllt. Die Waffenlobby sieht dabei die Verfassung auf ihrer Seite. Der zweite Zusatz, das so genannte Second Amendment, garantiert den US-Bürgern das Recht auf Waffenbesitz. Es gilt als de facto unberührbar.
This is America:
Nach dem Massenmord an der Schule in Newtown, CT steht nun die ganze Nation unter Schock. Während das Massaker in den internationalen Schlagzeilen langsam nach unten rutscht, versinken die Staaten in einem Meer aus Tränen. Egal ob öffentliche Veranstaltung, TV-Show oder private Gesprächsrunde, nichts geht ohne Gedenken an die Opfer, salbungsvolle Worte, viele Gebete, die Auslobung von Helden und die übliche Debatte über die Sinnhaftigkeit der hiesigen Waffengesetzgebung.
Guns 'n' Reason
Aus europäischer Sicht erscheint das alles wie ein riesen BS. Die "crazy Americans" seien nun mal "gun nuts". Das ist der Wilde Westen. Das ist die legistische und mentale Verfassung einer Nation, die mit dem Revolver im Halfter breitbeinig durch die Geschichte stakst und den Weltsheriff spielt.
Doch die Sache ist nicht ganz so einfach. Tatsächlich sind die US-Bürger´- wie in so vielen politischen und sozialen Fragen - auch bei den Waffengesetzen geteilter Meinung. Laut jüngsten Erhebungen spricht sich gut die Hälfte der Bevölkerung für eine strengere Reglementierung aus, während der Rest die bestehenden Gesetze für ausreichend oder gar zu strikt hält.
Wahr ist auch: proportional zu den Waffenkäufen und Bluttaten steigen die Initativen, die sich gegen diesen Wahnsinn richten. So hat New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg, ein beherzter Waffengegner, die Organisation Mayors Against Illegal Guns mitbegründet. Dort versucht man, mit Aufklärung und Lobbying die Straßen von illegalen Waffen zu säubern. Auch die von Communities, Kirchen und der Polizei in mehreren Großstädten durchgeführten Rückgabeaktionen illegaler Waffen ("no questions asked") zeitigen erste Erfolge. Aber schwarz gehandelte Waffen sind nicht das größte Problem. Die meisten Morde werden mit legal erworbenen und lizensierten guns begangen.
Verschärfung der Waffengesetze in Sicht?
Doch nach dem Amoklauf in Connecticut scheint die Stimmung in der Bevölkerung auch in Bezug auf die Knarren aus dem Supermarkt zu kippen Erstmals tut sich eine reale Chance auf, die Gesetze auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene zu verschärfen. Selbst die NRA gibt sich ungewohnt kleinlaut und verspricht das ihre beizutragen, damit sich so eine Katastrophe nicht wiederholen kann. Was die Waffenbrüder genau darunter verstehen, wird die Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz am Freitag erfahren.
Mit einer Änderung der Verfassung ist allerdings auch dieses Mal nicht zu rechnen. Doch es gibt eine Reihe von Vorschlägen, wie man das Waffenfieber auch unter Beibehaltung des Second Amendment eindämmen kann. Jetzt liegt der Ball wieder einmal bei der Politik.
This is America II:
Der große Waffenmythos
Der Extremfall Newtown hat das seit jeher unmögliche Argument des allgemeinen Rechts auf Feuerwaffen und die damit einhergehenden Selbstverteidigungsphantasien endgültig ad absurdum geführt. Wie soll das zu Ende gedacht funktionieren? Bewaffnete Lehrer und Kids? Pistolen für Grundschüler? Halbautomatische Waffen für den Schulwart und die Direktion? Außer den Hardcore- Gun-Nuts will das in den USA niemand.
Dass die Argumente der Waffenlobby historisch ohnehin auf wackeligen Beinen stehen, demonstriert eine professorale Radiorunde, die sich mit dem Thema der gun culture in den USA auseinandersetzt (unbedingt hier nachhören.
Wer in Sachen Waffen in Amerika ein Wörtchen mitreden will, kommt nicht an diesen American History Guys und ihrem Special: "Straight Shot. Guns In Amercia" vorbei.
Man erfährt von den munteren Radioprofs, dass im Wilden Westen strenge Waffengesetze herrschten und Schießereien die Ausnahme waren. Oder was die ursprüngliche Absicht hinter dem Second Amendment war, die ordentliche Bewaffnung der Milizen im Unabhängigkeitskrieg, und warum es bis heute falsch interpretiert wird. Oder dass das "Recht auf Waffenbesitz" für die schwarze Bevölkerung des Südens lange Zeit ein überlebensnotwendiges Bürgerrecht war, das in den 1970er Jahren von der Black-Panther-Bewegung erneut in den öffentlichen Diskurs geschleust wurde, um in Folge vom weißen Mainstream und der Waffenindustrie absorbiert zu werden. Die Erkenntnis am Ende: Wie so viele Mythen, basiert auch der amerikanische Waffenkult auf einer Tradition, die es so nie gegeben hat. Hier noch einmal der Link zum äußerst hörenswerten Radio-Special.