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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

19. 12. 2012 - 01:01

Das neue Leise

Wo Folk und Dancefloor Schwestern sind: Teil 6 der unter der Schirmherrschaft von Jazzanova zusammengestellten "Secret Love"-Reihe ist unsere Compilation des Tages.

Woher kommt denn immer der ganze Hass auf das Weiche? "Fahrstuhlmusik", so heißt es immer wieder gerne, oder auch "Boutiquen-Hintergrundbeschallungsmusik" als Verunglimpfungswort für jegliche beiläufige Tapeten-Musik, die niemandem etwas Böses will. Aber diesen Fahrstuhl möchte man doch einmal gerne von innen gesehen haben, in dem so eine samtene und geschmeidige Musik dudelt wie die hier auf "Secret Love 6" versammelte. Was Alex Barck vom Berliner DJ- und Produzenten-Kollektiv Jazzanova und Adrian Hoenicke vom doch recht witzigen, sich vornehmlich dem Listenwesen verschriebenen Fingermag da an feinstofflichen Preziosen für den sechsten - es sei gleich verraten: großartigen - Teil der immer geschmackssicheren Compilation-Reihe zusammengetragen haben, ist zwar insgesamt ein Leichtes Listening, vor allem aber ein Interessantes Listening.

Alex Barck

Alex Barck

Alex Barck/Jazzanova

Man hat da vielleicht in den letzten zwanzig Jahren als gegen alles Schöne giftender Punk schon so seine Erfahrungen gemacht mit in erster Linie wohlgeformter Oberflächenmusik als Soundtrack zum Milchschaum-Genuss, mit Downbeat - nicht zuletzt in Österreich bzw. Wien - oder mit sich "jazzig" gebender Egalheits-Elektronik, dass man oft gar nicht anders konnte, als dreinzufahren mit den Kreissägen von Noise-Rock oder harschem Laptop-Gezische aus dem Hause Mego. Es geht aber auch anders. Stilvoll zwar und unaufdringlich kommt die Musiksammlung "Secret Love 6" daher, sie ist dabei aber nicht geschmäcklerisch und nicht ranschmeißerisch chillig. Sicher, man kann diese 15 Songs, Lieder, Stücke und auch Tracks problemlos nebenbei hören, oder auch überhören, während man im Schaukelstuhl an neuen Teewärmern strickt, tatsächlich aber wird man diese ganz und gar herrliche Musik genauer entdecken wollen.

Ein Höhepunkt von vielen

Secret Love 6

Secret Love 6

"Secret Love 6 - Compiled by Jazzanova & Fingermag" ist bei Sonar Kollektiv erschienen

Wie schon bei den Vorgängern der "Secret Love"-Reihe steht auch bei Teil 6 das Wort "Folk" als weite, lose Klammer über dem hier präsentierten Sammelsurium. Der Begriff dient den Compilern Barck und Hoenicke aber wirklich nur als dampfförmige Losung: Mal werden auf dieser zum Großteil aus doch noch recht jungen Stücken zusammengesetzten Compilation die Fühler tatsächlich Richtung traditionellen Singer/Songwritertums ausgestreckt, dann wieder wird ausprobiert, wie sich die gezupfte Gitarre im Zusammenspiel mit balearischer Zeitlupen-Disco versteht oder die Wechselwirkungen von sanfter Elektronik mit leisem Twee-Pop demonstriert. Ein bisschen panflötenmäßiges Geflöte fügt sich ein, ohne weh zu tun. Wirklich bekannte Stücke oder Acts sind hier nicht versammelt, dennoch wirkt die Compilation an keiner Stelle so, als wolle sie bloß mit Geheimwissen und Obskurantentum punkten - es sind einfach so schöne Lieder!

Als Hit kann hier vielleicht einzig Caribous "Melody Day" durchgehen, das Buddy Four Tet in eine zerbrechliche Chor-Nummer umgestaltet hat, oder auch das ganz wunderbare Stück "Change of Heart" von der schwedischen Musikerin El Perro del Mar. Davor, dazwischen und danach glimmen Produktions-Duos wie Psychemagik, Seconds oder Loose Fit, die abgebremsten House und Disco für die frühen Stunden der Nacht und die alleräußersten Ränder des Dancefloors produzieren. Das texanische Trio Love Inks bastelt Minimal-Musik im Geiste der Säulenheiligen des Reduktions-Pop, den Young Marble Giants, der Finne Jori Hulkkonen füttert uns mit elektronischem Soul. Am Ende der Compilation steht ein Stück, das in seiner Anlage vielleicht ein bisschen, im Ergebnis aber alles andere als bemüht klingt, und gut zusammenfasst, worum es hier geht: Das Dance-Duo Mario & Vidis aus Litauen covert Rauschebart Bon Ivers "re: Stacks".

Kategorien wie "Elektronik" und "Indie", "Gitarre", "Pop" und "Dancefloor" werden auf "Secret Love 6" weder in scharfe Opposition zueinander gestellt, noch werden sie krampfhaft zu überfrachteten Hybrid-Musiken,
die unbedingt im Schein des "Neuen" erstrahlen wollen, zusammengezwungen. "Secret Love 6" bildet eine Welt ab, in der sich alles längst schon ineinander aufgelöst hat und jeder friedlich atmet. Es ist eine schöne Welt: Wir wollen verweilen und uns ein bisschen prächtig vorkommen, morgen aber dann, oder vielleicht auch erst übermorgen, wollen wir wieder aufstehen, revoltieren und Säure ins Getriebe der bösen Maschine schütten.