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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

29. 12. 2012 - 06:00

Drei Elemente der Liebe

Großvater ist ein mordender Ganove und Großmutter eine schöne Branntweinbäuerin: Auf Glück folgt Vernichtung in "Das rote Kornfeld" von Literaturnobelpreisträger Mo Yan.

Vater, Mutter, Kind und kompliziertere Familiengeschichten: FM4 widmet sich in den Weihnachtsferien den Familien in der Literatur. Nicht klassischen Familien, sondern Familien-klassikern bzw. Klassikern, in denen die Familie eine wichtige Rolle spielt.

Never judge a book by its back cover. "In Liebe zueinander entbrennen" eine junge Chinesin und ein junger Chinese zwar. Allerdings bleibt für Glücksmomente kaum Zeit. Die Familiengeschichte "Das rote Kornfeld" erzählt unmittelbar von den Abscheulichkeiten eines Krieges und davon, wie eine Familie im chinesisch-japanischen Krieg Mitte des 20. Jahrhunderts zu überleben versucht. Der Autor Mo Yan ist ein schonungsloser, wunderbarer Erzähler. Es wird brutal und zu Tränen rührend.

Da wären zuallererst und immerzu Großvater und Großmutter, ein mehrfacher Mörder und eine selbstbestimmte Branntweinbäuerin. Sie sind die beiden Hauptfiguren in Mo Yans Roman. Wenn sie einem zum ersten Mal begegnen sind sie junge, eigensinnige Erwachsene unter zwanzig. Ihre Leben kreuzen die Schicksale aller Figuren im Roman. Der Ich-Erzähler hingegen hält sich bedeckt.

Zwischenmenschlicher Horror

Eigentlich müssten LeserInnen bereits auf den ersten Seiten innehalten. Denn es kommt eine Heerschar an Personen vor. Ein Register benötigt man allerdings keines. Die Intensität der Bilder und all die Schicksale, die Mo Yan einem zumutet, wiegen schwer. Die Geschichte erlaubt keinen Halt, ein zwischenmenschlicher Horror - ohne Übertreibung.

Der Buchtitel zeigt einen Menschen, der Hirse im roten Feld erntet

Unionsverlag Zürich

"Das rote Kornfeld" von Mo Yan ist im Unionsverlag Zürich erschienen und wurde von Peter Weber-Schäfer ins Deutsche übersetzt.

Unterwegs in einer Sänfte zu ihrem Ehemann verliebt sich eine junge Großmutter, die zukünftige Großmutter des Ich-Erzählers, in einen anderen. Wenige Tage später rückt die japanische Armee auf ihr Dorf zu. Die von roter Hirse dominierte Landschaft wird mit Blut erneut gefärbt. Mo Yan kennt x-fache Beschreibungen dafür, wie Gehirnmasse über die Stirn rinnt und Menschen ermordet werden. Gnadenschüsse treffen nicht allein die Maultiere.

"Fang Sieben öffnete die Augen: 'Älterer Bruder...' Großvater wandte das Gesicht ab, und aus der Mündung schoß ein Flammenstoß, der Fang Siebens Kopfhaut grün aufleuchten ließ. Der Kniende stürzte vornüber und fiel auf seine eigenen Eingeweide. Vater hätte nie geglaubt, dass so viele Därme im Bauch eines Mannes Platz hatten."

Der überwiegende Teil der Erzählung spielt während des zweiten chinesisch-japanischen Krieges, der 1937 begann. Japaner wüten und schlachten in der chinesischen Provinz, die Großmutters Heimat ist. Ein "neuer, ekelerregender süßlicher Geruch, irgend etwas zwischen Gelb und Rot" steigt dem Vater des Ich-Erzählers in die Nase. Vor den Augen des kindlichen Vaters wird ein Onkel bei lebendigem Leib gehäutet - von einem anderen Verwandten auf Befehl eines japanischen Kommandanten. Unnatürliche Tode häufen sich auf den 490 Romanseiten. Zweijährige Mädchen werden mit Bajonetten aufgespießt, die schwangere zweite Großmutter vergewaltigt. Mo Yans Sätze schmerzen. Erträglich ist das alles einzig durch den Aufbau, der Ankündigungen von Enden und Anekdoten abwechselt.

Wer sich den Weg durch Schlachtfelder und zertrümmerte Dörfer bahnt, erfährt viel über das Leben am chinesischen Land. Die Tier-Analogien sind Belohnungen. "Augäpfel waren reglos wie die einer Eichechse", jemand muss so dringend pinkeln "wie ein Huhn mit dem Kopf wackeln muss" und ganz selten fühlt sich eine "leicht wie eine Schwalbe".

Die Gegenwart rückt in die Ferne

Autor Mo Yan auf einer Buchmesse: Er hält eines seinr Bücher in der Hand

Unionsverlag Zürich

Mo Yan auf einer Buchmesse 2009

Der Stil Mo Yans geht einem direkt unter die Haut. Der Nobelpreis für Literatur 2012 ging dieses Jahr an Mo Yan, mit 927.000 Euro dotiert, von Schwedens König Carl Gustaf überreicht. Doch nicht alle waren über diese Entscheidung erfreut.

Das offizielle China jubelte: Der erste Chinese, der den Literaturnobelpreis erhält! Im Vorfeld der Verleihung äußerte sich der Autor zu Zensur in seinem Heimatland, indem er diese mit Sicherheitskontrollen an Flughäfen verglich.

Die deutsche Schriftstellerin Herta Müller, die 2007 den Nobelpreis für Literatur erhielt, und Salman Rushdie waren nicht die einzigen, die sich darüber öffentlich empörten. Mo Yans Landsmann Ai Weiwei kritisierte die Jury, die den Nobelpreisträger kürte. Der Künstler Ai Weiwei warf ihr Rückständigkeit vor und bezeichnete die Entscheidung als "Beleidigung der Menschheit".

Mo Yan lebt und schreibt nach wie vor in China. Die Kultur des Landes und seine Zeitgeschichte spiegeln sich in seinen Romanen im Persönlichen.

Drei Elemente der Liebe

Mittendrin in den vielen Geschichten all dieser Figuren eines chinesischen Bauerndorfes in "Das rote Kornfeld" klärt der Erzähler für sich die existentielle Frage: Was ist Liebe? Liebe setze sich aus drei Elementen zusammen. Das erste Element sei die Leidenschaft, bestehend aus einem Herz durchdringenden Schmerz. Das zweite Element sei die Grausamkeit, die aus gnadenloser Kritik bestünde. Darauf folgt drittens: Kälte, ein lang hingezogenes schweres Schweigen.