Erstellt am: 14. 12. 2012 - 19:03 Uhr
Die Entromantisierung des Revolutionärs
Wie so viele junge Menschen hat mich als frisch gebackener Teenager der Che-Guevara-Mythos in seinen Bann gezogen: Der argentinische Arzt, der sich Fidel Castro und seiner kubanischen Guerilla anschließt, um die Karibikinsel von seinem Diktator zu befreien; der überzeugte Kommunist, der den Neuen Menschen erschaffen will und am Pragmatismus verzweifelt; der erfolgreiche Kämpfer, der die kubanische Revolution in die Welt exportieren will und daran scheitert.
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Zu gut erzählt ist die Geschichte von Ernesto Guevara, dass der Mythos den Menschen zum Verschwinden brachte. Sie beginnt mit der Motorradreise durch Südamerika, bei der der bourgeoise Medizinstudent die Leiden der Armen und Unterdrückten kennenlernt und ein kritisches Bewusstsein gegenüber Politik und Kapitalismus entwickelt. Dieses Bewusstsein verfestigt sich, sodass er bereits als ein ideologischer Führer in der kubanischen Revolution auftritt. In der Rolle des David kämpft er gegen eine Menge Goliaths, in Kuba gegen den Diktator Batista, im Kongo und Bolivien gegen den weltweiten Imperialismus. Dabei will er keine Kompromisse eingehen, bleibt seinen Prinzipien treu und muss ob dieser Haltung sterben.
"Patria o muerte!"
Doch selbst sein Ende befeuert den Mythos, Che wird Opfer von Sabotage, Verrat und CIA. Ohne Gerichtsverfahren wird er in Bolivien hingerichtet und verscharrt.
Der Spannungsbogen und die Details von Ches Vita, seine redigierten Tagebücher aus Kuba und Bolivien, seine Aufsätze und die Bilder, die von ihm existieren, speziell die ikonische Aufnahme Alberto Kordas, fügen sich zu einem stimmigen Bild zusammen, einer idealen Projektionsfläche für Widerstand, Prinzipientreue und Revolution.
Was diesem Bild entgegenläuft, wird häufig ausgeblendet, doch genau hier hakt der brasilianische Autor Marcelo Ferroni ein. Er beleuchtet in seinem Roman "Anleitung zum Guerillakrieg" das letzte Kapitel in Ches Leben, sein Bolivien-Abenteuer, oder um exakter zu sein das Bolivien-Debakel.
Die Nummer Eins unter den Guerilleros
Suhrkamp Verlag
Im Wissen des Ausgangs der Bolivien-Mission, der totalen Niederlage, ist bereits der Titel von Ferronis Roman "Anleitung zum Guerillakrieg" die erste Spitze gegen den Revolutionär. Che hatte 1960, nach der erfolgreichen kubanischen Revolution seine Erfahrungen im Guerillakrieg, Strategie und Taktik der Guerilla in einem Buch festgehalten, "Der Partisankenkrieg". In Bolivien hält er sich nicht einmal an seinen eigenen Leitfaden.
Die Mission hat schon einen schlechten Start. Die kubanischen Geheimagenten, die Ches Ankunft in Bolivien vorbereiten sollen, vergnügen sich lieber miteinander, anstatt ihre Arbeit zu erledigen und die bolivianischen Kommunisten werden erst gar nicht eingebunden, damit sie ihnen nicht in die Quere kommen. Als sie dann doch deren Unterstützung wollen, wird sie ihnen verweigert, aus verschiedensten Gründen. Mal liegt es am Geld, mal, weil man sich nicht über die Führung der Guerilla einig wird oder weil sie doch lieber in der Legalität bleiben wollen.
Die Ersatzrevolution
Bolivien ist ohnehin nur eine Art Ersatzmission für Che Guevara. Denn eigentlich würde er in seinem Geburtsland Argentinien eine sozialistische Revolution starten wollen, aber dort sind die Umstände ungünstig. In Bolivien scheinen sie ihm optimaler. Dort wird die Armut und die Ungerechtigkeit gegenüber den Indios die Bevölkerung seiner Guerilla zutreiben. Zumindest ist das der Eindruck, den er vor 1951 auf seiner Südamerika-Reise bekommen hat. Allein seine Anwesenheit sollte in Bolivien genügen, um die Revolution einzuläuten. Doch die Umstände haben sich 15 Jahre später geändert. In der komplexen bolivianischen Gesellschaft ist eigentlich kein Platz für Abenteurer. Doch davon will Che nichts wissen.
Da eigentlich niemand die kubanischen Guerilleros im Land haben will, werden sie von Anfang an übertölpelt. Die bolivianische KP empfiehlt ihnen als Stützpunkt die denkbar ungünstigste Region, ohne natürliche Ressourcen und weit weg von potenziellen Unterstützern, Gewerkschaftern oder Minenarbeitern. Trotzdem schlägt Ches Vorhut zu. Dass sie damit einen großen Fehler gemacht haben, will sich niemand eingestehen.
Revolutions-Kindergarten
In ihrer Waldeinsamkeit wird den Guerilleros schnell langweilig, Eifersüchteleien arten schnell zu Streit aus und Che liegt lesend in seiner Hängematte und verhält sich, als ob ihn nichts angeht. Stattdessen feilt er an Revolutionsreden, die niemanden interessieren. Der Comandante gibt in Ferronis Roman kein gutes Bild ab.
Che ist der größte Sturschädel im Revolutions-Kindergarten. Er kann keine Fehler zugeben und bekommt schnell Tobsuchtsanfälle, die er an seinen Kameraden auslässt. Führungsqualitäten zeigt er selten. Mit seiner Bande von Dilettanten stapft er durch den Dschungel und weil fast alles, was schiefgehen kann, schiefgeht, verliert er bald seine Autorität.
Obwohl "Anleitung zum Guerillakrieg" ein Roman und kein Sachbuch ist, hätte dem Buch ein Glossar und eine Karte gut getan.
Marcelo Ferroni hat sich für seinen Roman durch tausende Dokumente gewühlt und greift vor allem auf die Tagebücher der Protagonisten zurück, die überaus freizügig, streckenweise voller Pathos von ihrer Aktion erzählen. Dadurch entsteht eine überaus flotte Erzählung , die streckenweise mehr an einen Monty-Python Sketch erinnert als an den ernst gemeinten Versuch eines revolutionären Umsturzes. Die unfreiwillige Komik im Revolutionsalltag hat allerdings tödliche Konsequenzen für die allermeisten Revolutionäre.
Nach der Lektüre von Ferronis "Anleitung zum Guerillakrieg" kommt man zweifellos dazu, den Menschen Che Guevara hinter dem Mythos zu sehen, einen Menschen voller Schwächen, allerdings mit unglaublichem Antrieb.