Erstellt am: 12. 12. 2012 - 18:51 Uhr
Spezielle Tools für Menschen mit Behinderung
Die 19-jährige Lisa hat Cerebralparese. Für sie ist der Trackball das ideale Tool, um im Internet zu surfen. Dabei wird der Mauszeiger über eine Kugel mit dem Daumen gesteuert. Durch den Zugang zum Internet bieten sich aber nicht nur eine Möglichkeit zu kommunizieren und Information zu beschaffen, sondern es eröffnen sich auch Arbeitsmöglichkeiten.
So genannte ‚Assistierende Technologien’ (AT) umfassen alle jene technischen ‚Hilfsmittel’, die zu einer Aufrechterhaltung und/oder Verbesserung funktionaler Ressourcen eines Menschen führen und Funktionseinschränkungen ausgleichen helfen.
Umdenken
Seit etwa dreißig Jahren gib es auf der TU Wien das Zentrum für Angewandte Assistierende Technologien. Dort werden die Tools entwickelt, die den Arbeits- und Lebensalltag von Menschen mit Behinderung erleichtern. Die Entstehung des Instituts ist eng verbunden mit einem Umdenken in der Gesellschaft, sagt der Leiter des Forschungszentrums, Wolfgang Zagler. Der wichtigste Meilenstein sei die Erkenntnis gewesen, dass Menschen mit Behinderung nicht mehr über die Defizite aus einer rein medizinischen Sichtweise definiert werden können. Stattdessen sehe man heute die gewaltigen Fähigkeiten, die in Menschen mit Behinderung stecken können, wenn man nur die richtigen Werkzeuge entwickle, damit sich diese entfalten können.
Frage der Perspektive
Diese Erkenntnis hat sich in Österreich allerdings nur langsam durchgesetzt. Statt einem Recht auf gleichberechtigte Teilnahme am Gesellschafts- und Arbeitsleben, herrschte bis lange nach dem zweiten Weltkrieg noch die Sichtweise vor, das Menschen mit Behinderung nur ein Recht auf Versorgung haben. Heute habe sich diesbezüglich vieles verändert, sagt Zagler. Er merke das auch in seinen Vorlesungen.
In seinen Einführungsvorlesungen zeigt er gerne ein Bild von einem kleinen Menschen, der vor einer hohen Mauer steht und nicht darüber sehen kann. Seine Frage an die Studierenden dazu: "Wo ist das Problem hier". Die Antwort vor dreißig Jahren sei in der Regel gewesen: "Der Mensch ist zu klein", sagt Zagler. Heute laute die Antwort aber nahezu ausschließlich: "Die Mauer ist zu hoch".
Clemens Fantur/Radio FM4
"Ich bin nicht behindert, ich werde behindert"
In den vergangenen Jahren hat die technische Entwicklung einen großen Sprung gemacht. So gibt es Comiczeichner, die ohne Hände mit ihrem Mund auf speziellen Tablets Zeichnen, Computerarbeitsplätze für blinde Menschen, oder auch spezielle Steuerungs-Tools für Menschen, die ab dem Hals gelähmt sind. Es gibt Computermäuse, die mit den Augenbewegungen gesteuert werden können, wo eine Kamera in einer Brille die Bewegungen übersetzt, mit dem Mund und über eine Sprachsteuerung kann geklickt werden, erklärt Zagler.
An Institut auf der TU wird vor allem an individuellen Lösungen geforscht, die dann später in die Entwicklung von neuen Tools einfließen. Allerdings sei - wie so oft in Österreich - sehr viel von privaten Spenden abhängig. Viele der Entwicklungen am Institut komme von DiplomandInnen, die über Dritte finanziert werden. Das Geld komme sehr oft von Versicherungen, die nach einem Unfall spezielle Lösungen für ihre VersicherungsnehmerInnen bereitstellen müssen. Dadurch, dass man erst investiere, wenn akuter Handlungsbedarf ist, gehe aber viel Potential verloren, sagt Zagler. Denn es gibt viele Jugendliche mit Behinderung, die zwar in der Pflichtschule gefördert werden, beim Einstieg ins Berufsleben gebe es aber wenig Angebote. Hier sei noch ein Umdenken nötig, denn es gehe viel produktive Arbeitskraft verloren, so Zagler.
Forderung nach einheitlichen Regelungen
Diese Sichtweise teilt auch Menschenrechtsexpertin Marianne Schulz. „Es gibt das Problem in der Art und Weise, wie die Behindertenhilfe in Österreich strukturiert ist“, sagt sie. Durch die Trennung zwischen Bund- und Länderzuständigkeiten komme es teilweise zu Finanzierungsproblemen. Ein Problem sei auch, wie überhaupt der Unterstützungsbedarf festgestellt werde, weil momentan noch das Paradigma vorherrsche, zuerst auf das Defizit zu schauen, anstatt auf den Unterstützungsbedarf, sagt Schulz.
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Eine Forderung von Behindertenorganisationen sei seit langem die Vereinheitlichung und flächendeckende zur Verfügung Stellung von assistierenden Technologien in ganz Österreich. Es gebe die Idee des One Stop Shops, also einer Stelle, die dafür zuständig sein soll, festzustellen, welchen Unterstützungsbedarf jemand hat und welche finanziellen Möglichkeiten es gibt, sagt Schulz. In anderen Ländern, wie den Niederlanden, ist das bereits verwirklicht worden. Auch die USA seien im Bereich der assistierenden Technologien Europa weit voraus. „Wenn man dann sieht, wie Menschen mit Behinderung Tabletts speziell entwickelten mit Apps verwenden können, wenn man sieht was adaptierte Keyboards leisten können, wie adaptierte Computernutzung ausschauen kann, da sieht man, wie viel noch möglich ist“, sagt Schulz.