Erstellt am: 12. 12. 2012 - 10:15 Uhr
The House Of Soul
Weitere New York State Of Mind Folgen u.a. mit David Byrne, Justin Vivian Bond, Occupy Wall Street, Chris Taylor und Laurie Anderson unter fm4.orf.at/nysom
Link: Daptone Records
Ich weiß nicht, ob ich allein bin mit dieser Erfahrung, aber die galligsten, unentspanntesten und mieselsüchtigsten Musik-Aficionados, die mir in meinem Musik-Aficionado-Dasein bisher untergekommen sind, waren, wenn man das so pauschal sagen darf, Soul-Nerds. Unerwarteterweise und ausgerechnet.
Daptone Records
In einem Wiener Plattenladen einem Soul-Nerd über den Weg zu laufen bedeutete stets: It’s Suder-Time! Soul-Nerds verbringen sehr viel Zeit damit, öffentlich „echten“ Soul von nicht so „echtem“ zu unterscheiden. Nicht selten halten sie andere Soul-Nerds für Nullchecker und deren Parties für organisierte Sell-Outs. Und wenn man einmal in die heiligen Hallen einer Soul-Plattensammlung vorgelassen wird, darf man dort Vinyl-Raritäten hinter Panzerglas bestaunen, vorausgesetzt man hat sich vorher freiwillig einer Ganzkörperdesinfektionsprozedur unterzogen und kann die Blutgruppen von James Browns Frauenchor auswendig aufsagen.
Ihr merkt, ich übertreibe heillos. Aber ich denke, ihr versteht, was ich meine. Back in the day waren wir, die auch ziemlich gestrengen Ritter des D&B (B wie Buben-Purismus) im Schatten der Soul-Nerds richtige slack hippies.
Bushwick
Wie überraschend also, dass es bei Daptone Records so aufgeräumt aussieht wie in einer Studentenwohnung ca. nach der Einweihungsparty bis zum Auszugsdatum. Der gesamte Staff scheint aus einer Vintage-Werbung für Entspannungsprodukte entnommen. Instrumente stehen oder liegen herum. Wer Revoxen unter Sauerstofftzelten flankiert von gestrengen Studiowächtern erwartet, ist bei Daptone definitv an der falschen Adresse.
Auch von außen würde wohl kaum jemand vermuten, dass hinter der schmucklosen Fassade des Nutzbaus an der Troutman Street in Bushwick, die heißeste Soul Kitchen New Yorks brodelt. Viel spektakulärer wirkt der Neubau auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es ist einer dieser neuen High-Tech-Wohnsilos für Jungkreative (ich vermeide bewusst das H-Wort), mit integrierten Ateliers, Party-Räumlichkeiten, Offices und einem Tonstudio, das unter anderem von George Lewis Jr. aka Twin Shadow betrieben wird.
Daptone Records residiert seit der Labelgründung vor zehn Jahren in dem Viertel südöstlich von Wiliamsburg. Zur Zeit der Industrialisierung alchimierten in Bushwick noch deutsche Bierbrauer. Später zogen Latino-Communities zu. Anfang der 1970er Jahre setzte der soziale Niedergang ein - broken glass (und Heroinnadeln am Boardwalk) everywhere. Danach kamen die Künstler. Seit Jahren skandieren nun abwechselnd Immobilienmakler, Trendgurus und Gentrification- Experten: Bushwick is next.
Von Ein- und Ausbrüchen
Neal empfängt uns im Tonstudio im Erdgeschoß und erzählt von Einbruchsversuchen in das House Of Soul. „Manchmal kamen Limousinen aus der Stadt. Ein bekannter Musiker stieg aus. Da dachten wohl einige, bei Daptone gäbe es was zu holen. Aber alles was sie fanden, waren alte Verstärker, klobige Mikrofone und analoge Bandmaschinen. Geklaut wurde nie wirklich etwas.“
Das House Of Soul wurde von der Daptone-Crew im DIY-Verfahren gebaut. Die Aufnahmekabine schwebt auf einem Untersatz aus alten Reifen. Selbst Label-Stars wie Sharon Jones (elektrische Leitungen) und Charles Bradley (Boden) haben zu Hammer und Sichel gegriffen. Die irren Jam-Brüder von der Budos Band rissen überflüssige Wände ein, der Label-Freund Kenny Dope half bei der Finanzierung.
Sugarman: „Daptone ist ein lokales Label. Die Beziehung zu den Künstlern ist uns wichtig. Wir versuchen, sie in allen Bereichen des Biz zu unterstützen – von den Aufnahmen bis zu den Shows und Kollaborationen. So haben das früher auch die großen Soul-Labels Mowtown oder Stax gemacht. Der Unterschied: wir hauen die Künstler nicht übers Ohr was die Royalties betrifft. Alle werden fair bezahlt.“ Nicht umsonst wird Daptone von seinen Künstlern und Mitarbeitern ehrfurchtsvoll "House Of Soul" genannt. Mit den Dap-Kings existiert eine Label eigene Session Band, die ihre Trompeten und Tenorsaxophone (Sugarman) auch schon mal an klingende Namen wie Prince, Kanye West und David Byrne vermietet.
Am Klo im ersten Stock hängt eine Goldene Schallplatte von Amy Winhouse. Ein Scherz. Sie hat einen Großteil ihres Hitalbums "Back To Black" gemeinsam mit den Dap-Kings in Bushwick aufgenommen. Sugarman ist voll des Lobes für die damals noch unbekannte Winehouse und ihre vollkommene Ergebenheit der Musik gegenüber. Im oberen Stock befindet sich auch das Office und ein Lager für Vinyl-Platten. Über 70.000 Stück schwarzes Gold hätte Daptone Records im Laufe der Labelgeschichte verkauft, rechnet uns Sugarman vor.
Secret Of Success
Klar, auch Neal und sein Label-Partner Gabriel Roth sind Soul-Nerds vor dem Herren. Allerdings haben die beiden Daptone Records von Anfang an als offene Plattform angelegt und sind auch für Kollaborationen mit Pop-Acts zu haben. Jüngste Zusammenarbeiten mit Muse und dem Liebling-Aller-Schwiegermütter-Crooner, Michael Bublé, zeigen, dass man mit "öffnen" ein ziemlich großes Tor meint.
Das Geheimnis des Daptone-Erfolges liegt aber wo anders. Im Gegensatz zu vielen Gesinnungs- und Labelfreunden in aller Welt haben die Soul-Nerds aus Bushwick nie bloß Stimmen geliehen. Sie rücken jene vielmehr in den Vordergrund und erlauben es Künstlern, sich zu entwickeln. So konnten von der Musikindustrie jahrzehntelang verschmähte Talente wie Sharon Jones oder Charles Bradley im Frühpensionsalter noch einmal durchstarten. Beiden zählen mittlerweile zu den wichtigsten Stimmen des zeitgenössischen Soul. Aber das ist nur ein Bruchteil der Daptone-Geschichte. Der Rest ist am Mittwoch ab 19 Uhr in der FM4-Homebase zu hören. Mit dabei: Sharon Jones & The Dap Kings, Lee Fields, die Budos Bands, Naomi Shelton, Charles Bradley, die unvergessene Amy Winehouse und natürlich Neal Sugarman und seine Sugarman Three.
Für sieben Tage zum Nachhören
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