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Christiane Rösinger Berlin

Ist Musikerin (Lassie Singers, Britta) und Autorin. Sie schreibt aus dem Leben der Lo-Fi Boheme.

8. 12. 2012 - 16:00

Berlin ein Puppenheim

Die Weihnachtsmarktpest hat die deutsche Hauptstadt auch zum "Hot Wine Capital" gemacht. Doch zum Glück gibt es zu jedem Gift ein Gegengift

Als ich Anfang Dezember in Berlin an mehreren Weihnachtsmärkten im Aufbau vorbei kam und anhob, mich über die Weihnachtsmarktpest in Berlin zu beschweren, wendete mein österreichischer Begleiter ein, das wäre für ihn das Angenehme an Berlin, man würde kaum etwas von Weihnachten mitkriegen. In Österreich wär' das ganz anders, da sei das ganze Land ein einziger Weihnachtsmarkt.

Nun mag es sein, dass in Österreich das Thema "Alpenländische Weihnacht" stark touristisch vermarktet wird, aber inzwischen hat Berlin mit 55 Weihnachtmärkten seinen Ruf als "Hot Wine Capital" Deutschlands festigen können. Dass die ursprünglichen Weihnachtsmärkte eher aus Süddeutschland und dem Erzgebirge kommen, auf solche Feinheiten kann man beim Tourismusmarketing keine Rücksicht nehmen.

Ein Hase lacht hinter einem Weihnachtsbaum hervor

Rösinger

Nostalgie-Markt vs. Alternative Winter-Erlebniswelt

Berlin hat ja bekanntlich zwei Zentren, Ost und West und natürlich häufen sich dort die Weihnachtsmärkte und Schlittschuhbahnen. Es gibt den Markt am Kudamm, den Nostalgiemarkt Unter den Linden, den für Besserverdienende am Gendarmenmarkt, den atmosphärischen in Rixdorf und zusätzlich noch einen vor jedem Schloss und in fast jedem Bezirk. In Kreuzberg hatte man bislang Ruhe, dieses Jahr rufen die Urban Gardening-Aktivisten von den Prinzessinengärten zur alternativen Winter-Erlebniswelt mit Straßentheater und biologischer Hausmannskost.

Lebkuchen auf denen "against x-mas panic" draufsteht.

Rösinger

Den Trend zum Szene-Weihnachtsmarkt gibt es schon seit Jahren. Die Gegenentwürfe zum bürgerlich verlogen-verkitschten Weihnachtsmarkt lassen ihre Antihaltung gerne schon im Namen anklingen und nennen sich: "Trendmafia", "Wicked Christmas" oder "Holy Shit Shopping". Auf denen als "wilde Mischung" angepriesenen Märkten kann man dann Jahr für Jahr die gleichen genormten hochpreisigen Produkte erstehen: die ewigen Taschen aus Lkw-Plane und Vesperbrettchen im Fernsehturmdesign.

Und natürlich Babysachen: Lätzchen, Käppchen, Strümpfchen und für die kindischen Erwachsenen gibt es flache Comicfigurenpuppen, Häschen mit umgeknippten Öhrchen, liebe Monster, Mäuschen mit Kreuzstich-Gesicht. Soziologisch betrachtet konnte man daran erkennen, dass der Trend zum Niedlichen fließend von der Jugendkultur zu den Eltern aus Mitte und Prenzlauer Berg übergeht.

Handmade Supermarket

Ein Plakat zu einem Handmade Supermarket.

Rösinger

In den letzten zwei Jahren kam der Trend zu Fair Trade und Bio dazu, und mit ihm zog der "Handmade Supermarket" in eine alte Berliner Markthalle. Da strömen junge und gar nicht mehr so junge trendy Leute aus allen Richtungen hin, schieben sich begeistert durch die vollen Gänge. Warum? Um die sinnlosesten Produkte, die man sich ausdenken kann, zu bestaunen.

Da gibt es Möbel- und Wohnaccessoires aus recycelten Fenster- und Türrahmen, Smartphonetäschchen mit Street-art Motiven, upcycling Schmuck aus gefundenen Glasscherben (mit Fundort). Und für die inzwischen überwiegend amerikanische Bevölkerung Kreuzbergs wird "Awesome ladystuff made in Berlin with heart and hand" angeboten.

Wohin das Auge blickt hunderte niedlich drappierte Taschen, Täschchen,Topflappen, Kissen, selbstgestrickte Spülbürstenaufhänger, selbst bedruckte Wäscheklammern-Aufbewahrungstäschchen, Wäschebeutelchen mit Applikationen, bestickte Schürzen. Berlin, ein-Puppenheim!

Schicke Accessoires in Rosa.

Rösinger

Aber zum Glück gibt es in Berlin zu jedem Gift ein Gegengift.
Wer den "Self Made Supermarket" visuell überzuckert und innerlich angeekelt verlassen muss, kann immer noch auf dem berühmten Trash-Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz bei schlechtem Glühwein, Kirmestechno, beheizbaren Hausschuhen und stinkenden Chinapfannen sein Glück finden.