Erstellt am: 7. 12. 2012 - 12:05 Uhr
Taxi Driver
Sie halten ihn alle für einen Mörder. Sie, die Ermittlungsbeamten, die Polizei, sein Anwalt, seine Freunde. Niemand sonst hätte das kleine zwölfjährige Mädchen entführen, vergewaltigen und ermorden können. Außer er. Man fand ausschließlich seine Fingerabdrücke am Tatort. Die Mutter des Mädchens hat ihn identifiziert. Er ist in ihren Augen ein Fremder, er ist nur ein Taxifahrer. Jeff Sutton wartet darauf wegen Mordes an einem kleinen Mädchen zum Tode verurteilt zu werden.
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Wrong Place, Wrong Time
Deuticke
Jeff Sutton hat wohl einfach Pech gehabt. Als Taxifahrer in Dallas kommt er viel rum und eines Nachts fährt er eine Dame vom Flughafen in eine noble Villengegend. Da die Frau nicht genug Geld dabei hat, bittet sie ihn ins Haus. Während sie ihr Geld im obersten Stockwerk sucht, fällt Jeffs Blick auf die schicken Fensterrahmen. Ein geschultes Auge wie seines erkennt die Arbeit seiner früheren Firma, war er doch früher selbst Fenstermonteur. Er betrachtet das Fenster, macht es auf und wieder zu. Wie sich später herausstellen wird, ein schwerer Fehler: Sind es doch seine Fingerabdrücke, die Jeff später zum Tatverdächtigen Nummer 1 machen werden. Die Frau kehrt zurück, die Abwicklung der Zahlung erfolgt ohne Komplikationen.
Die Nacht ist noch nicht zu Ende, und man könnte meinen, Jeff hat das Pech gepachtet. Zwei betrunkene Mädchen steigen in sein Taxi ein, beide nennen sich „Kelly“. Wie das mit den jungen Dingern so ist, die eine kann den Alkohol des Abends nicht für sich behalten und erbricht auf Jeffs Rücksitz. Geld haben sie auch keines. Aber Jeff ist ein guter Kerl, also fährt er sie trotzdem ins Studentenheim, reinigt seinen Rücksitz mit Wasser und Putzmittel und fährt erschöpft nach Hause.
Als am nächsten Morgen die Polizei seine Wohnung stürmt, geht alles ganz schnell. Jeff wird verhaftet. Tatbestand: Kindesentführung, eventuell sogar Ermordung. Die kleine zwölfjährige Tochter der noblen Dame, die Jeff gestern heimgefahren hat, ist verschwunden. Seine Fingerabdrücke wurden am Tatort gefunden. Am Fenster des Kinderzimmers.
Jeffs Verteidigung sieht nicht wirklich gut aus. Die Polizei denkt, er habe im Haus Kinderspielzeug bemerkt, außerdem sei ihm die Couch am Fenster aufgefallen, wo sich der Schlafplatz des Mädchens befindet. Dann sei er zu einem Fenster gegangen, um es zu entriegeln und habe es einen kleinen Spalt geöffnet, um sich für später in der Nacht den Zugang zum Haus zu sichern. Um ca. 11 Uhr habe er das Kind entführt, vergewaltigt und ermordet. Jeff hat jedoch ein Alibi: die zwei Mädchen! Dumm nur, dass im besagten Studentenwohnheim niemand ein Mädchen (geschweige denn zwei) namens "Kelly" kennt. Und die Reinigung der Rückbank könnte auch auf die Beseitigung von Blutspuren hindeuten. Selbst Jeffs Pflichtverteidiger hat es aufgegeben an seinen Mandanten zu glauben. Die Verhandlung ist nur noch Routine: Jeff wird zum Tode verurteilt.
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Ein Urteil, das nicht lange hält: Denn das Mädchen taucht wieder auf. Happy End? Not here, my friends, not here.
No Justice After All
Der schottische Autor Iain Levison befreit seinen Helden, den unschuldigen Taxifahrer, in "Hoffnung ist Gift" nach etwa zwei Dritteln des Buches aus seiner ungerechtfertigten Gefangenschaft. Die Geschichte des Taxifahrers, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, fängt aber nun erst so richtig an. Denn das Leben nach dem Horror-Trip gestaltet sich weitaus schwieriger und hoffnungsloser als gedacht: Das Mädchen lebt zwar, aber der Verdacht der Entführung bleibt trotzdem aufrecht. Jeff bekommt deshalb nirgendwo einen Job und seine Freunde sind sich seiner Unschuld auch nicht so sicher. Inzwischen hat er seine Wohnung verloren, seine Kreditkarten wurden gesperrt, in Datenbanken scheint bei seinem Namen der Eintrag "Sexualverbrecher" auf. Selbst wenn das nicht korrekt ist, danach fragt niemand mehr. Jeff ist trotz seiner Unschuld ein Verurteilter.
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Levisons Krimi ist eine Geschichte aus der Perspektive des Opfers eines Justizirrtums, der tatsächlich passiert ist und legt offen, wie schnell man als Verbrecher gilt und wie wenig man sich dagegen wehren kann. Das Buch punktet vor allem durch seine Dramaturgie, die einer Achterbahn gleicht: Wann immer man für den Taxifahrer ein kleines Fünkchen Hoffnung glaubt, erlischt dieser wieder.
Und Levison hat sich für das Ende des Romans einen ganz besonderen Mindfuck aufgehoben, der an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden soll. Nur soviel: der Autor nimmt seinen Buchtitel ernst. Hoffnung ist Gift.