Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Zappelphilipp im Paradies"

Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

13. 12. 2012 - 16:04

Zappelphilipp im Paradies

Der First-Person-Shooter "Far Cry 3" verspricht ein spannendes Inselabenteuer der Superlative, leidet aber ein bisschen an ADHS.

Far Cry 3 Cover

Ubisoft

Ein unberührtes tropisches Inselparadies, auf dem harmlose westliche Partytouristen in die Fänge eines psychopathischen Kriminellen geraten. Ein erbittert geführter Guerillakrieg, um seine Freunde aus den Klauen dieses intelligenten, aber ruchlosen Sadisten zu befreien. Die Wandlung des Helden vom hilflosen Opfer zum düsteren Rächer. Totale Bewegungsfreiheit in einer lebenden, zum Weinen schönen Naturkulisse, komplett mit exotischen Tieren, mystischen Ureinwohnern und so manchem Geheimnis. Minispiele mit Online-Highscore-Liste.

All das ist "Far Cry 3", und das ist zugleich sein Dilemma. Ubisofts dritter Teil der First-Person-Shooter-Reihe will diesmal alles richtig machen: "Far Cry 3" will die Naturschönheit der Umgebung zum Hauptdarsteller adeln, dem Spieler maximale Freiheit in seiner riesigen Sandbox gewähren und einen düsteren Thriller erzählen, der der Wandlung des Helden einen wirklich außergewöhnlichen, charismatischen Bösewicht gegenüberstellt, dessen brutale Philosophie zum Nachdenken über das eigene Handeln anregen soll.

Far Cry 3

Ubisoft

Die Sandkiste ist zu voll

Für sich allein gesehen funktionieren einige dieser Elemente so gut, dass nicht zu Unrecht in der euphorisierten Presse von einem Glanzstück des Genres gesprochen wird. Schöner war keine digitale Inselwelt zuvor, und die totale Bewegungsfreiheit lässt die monotonen Schlauchlevels der Shooterkonkurrenz noch enger erscheinen, als sie es ohnedies sind. Die Feuergefechte sind adrenalintreibend und abwechslungsreich, und in seinen besten Momenten bietet "Far Cry 3" ein außergewöhnliches Spielerlebnis, das Fans des Open-World-Genres begeistern wird.

"Far Cry 3" ist also ein beeindruckendes, ein sehr gutes Spiel geworden. Umso deprimierender, dass es nicht so brillant ist, wie es hätte sein können. Denn "Far Cry 3" ist auch eines: randvoll. So voll eigentlich, das es gründlicher Selbstsabotage gleichkommt. Um auf der riesigen Insel nur ja keine Langeweile aufkommen zu lassen, haben die Entwickler wirklich jedes Spielzeug der Open-World-Tradition in die Sandkiste gepackt, und oft erinnert der in der Theorie atmosphärisch klingende Streifzug durch die Wildnis eher an einen Spaziergang durch einen Jahrmarkt voller Attraktionen, in dem ständig lästig an unserem Rockzipfel gezupft und um unsere Aufmerksamkeit gebuhlt wird. Wie schon bei "Rage" und auch "Dead Island" gilt: Mehr ist weniger.

Far Cry 3

Ubisoft

Darf's ein bisserl mehr sein?

Update: Gute Nachrichten - ein kommender Patch soll in Kürze die nervenden Missions-Popups auch abschaltbar machen.

Dort drüben gibt's seltene Pflanzen zum Aufsammeln! Will ich nicht auf dem Weg zu meinem Ziel noch ein Tier jagen, einen Nebenauftrag erledigen, eine Runde Karten spielen, paragleiten, einen Radioturm besteigen, ein Piratennest ausräuchern, ein Auto reparieren? Langeweile kommt hier garantiert nicht auf, doch auch die Thrilleratmosphäre ergreift die Flucht vor einem derart überbordenden Angebot an Ablenkungsmöglichkeiten, die noch dazu hübsch immersionszerstörend im Minutentakt auf unserem HUD aufploppen.

Dass der Spieler hier in verzweifelter und tödlicher Mission das Leben seiner Freunde retten soll, geht atmosphärisch ziemlich unter: So brenzlig kann die von der Main-Quest herbeibemühte Situation gar nicht sein, dass sich auf dem Weg zum nächsten Hauptziel nicht noch ein paar Dutzend Blumen pflücken, einige Minispiele erledigen oder noch ein paar Crafting-Ziele erreichen lassen.


Düsterer Thriller und spaßige Minispiele vertragen sich nur bedingt.

Die Diktatur des Spaßes

Da hilft es auch wenig, dass abseits vom wirklich außergewöhnlich gut gelungenen Bösewicht Vaas die Story, die uns in atmosphärischen Trailern als düsteres Herz des Spiels präsentiert wurde, allzu oft in überhastete Skizzen oder schlicht haarsträubende Klischees abgleitet. Klar ist es eine Herausforderung, ein nicht lineares Spiel mit einer Handlung zu verbinden, doch auch hier sabotiert sich "Far Cry 3" selbst: Statt düster und erwachsen zu sein, reproduziert es Banalitäten vom weißen Retter unter noblen Wilden, bleibt in seiner Coming-of-Age-Thematik dümmlich, spielt achtlos mit heiklen Themen wie Vergewaltigung und ist vor allem eins: Nebensache. Das ist schade, denn Ubisoft hätte durchaus Mittel und Ambition gehabt, hier mehr zu erreichen.

"Far Cry 3" ist für Windows, PS3 und XBox360 erschienen.

So bleibt "Far Cry 3" ein Spiel, das in zwei Teile auseinanderfällt: eine Sandkiste, in der sich spaßige Ablenkungen und Kurzzeitbeschäftigungen vor traumhafter Kulisse aneinanderfädeln; und ein abgründiger Thriller, der uns in einer psychologischen Extremsituation die freie Wahl des Weges und der Mittel lässt.

Leider funktioniert nur ein Teil dieser zwei Hälften. Wer nicht mehr erwartet als das, wird von "Far Cry 3" nicht enttäuscht werden.