Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Gute Ausländer, schlechte Ausländer"

Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

5. 12. 2012 - 14:37

Gute Ausländer, schlechte Ausländer

Nicht einmal Charlie Sheen kann Alltagsrassismus erträglich machen.

"Und ihr Bulgaren seid nicht so wie die Rumänen, ihr integriert euch besser, nicht wahr?" Es ist saukalt. Der Winter ist wieder da. Schleichend langsam, ganz unauffällig, ähnlich wie meine Oma, die sich in meiner Schulzeit vorsichtig an meine Zimmertür angenähert hatte, um zu erfahren, was ich da drinnen Geheimes treibe, ist schon wieder der Winter gekommen. Die graue Industriezone Wiens saust am Autofenster vorbei. Ich sitze mit meinem neuen Kollegen Lukas im Auto.

Häuserzeile hinter einem Basketballplatz

FM4/Ute Hölzl

Lukas ist ein Ur-Wiener aus Floridsdorf, was er am heutigen Tag schon mindestens viermal betont hat. Er sollte mich in meinen neuen Job einschulen. Ich verkaufe Abos für Pay-TV. Dabei besitze ich gar keinen Fernseher. Seit Jahren bin ich von Überflüssigkeit dieses Gerätes überzeugt. Wer die Champions-League gewinnt, oder wie die neue Serie mit Charlie Sheen so ist, ist mir absolut egal. Ich lebe ganz gut, ohne meinen Organismus mit diesen Informationen zu belasten. Jedoch soll ich jetzt die Bevölkerung unterschiedlicher Wiener Vororte überzeugen, wie wunderschön es ist, jeden Tag im Feierabend in das wunderbare Meer von Sport, Serien, Blockbustern, Nachrichten und was weiß ich noch, einzutauchen. Was soll's, Geld ist Geld und ich habe momentan keins. Holt euch Pay-TV! Alles, was in eurem Leben fehlt, bekommt ihr von uns! Und wenn ihr gleich bestellt, bekommt ihr einen Receiver in den Farben eures Lieblingsfußballvereins und eine Charlie-Sheen-Puppe, die die Vereinshymne mitsingt!

"Und, integriert ihr euch, wollte ich wissen?" Ich habe die Frage von Lukas überhört. Ich sollte mich nicht so viel in die Verkaufstrategien der Firma vertiefen. "Ähm", antworte ich, "du kannst die Bulgaren durch nichts von den Österreichern unterscheiden, ich kenne einige, die sogar jodeln." Lukas schaut mich verblüfft an und dreht den Fernseher in seinem Auto leiser. "Weil über die Rumänen habe ich nur Schlechtes gehört, mein Papa ist bei der Polizei." "Wir haben nichts mit diesem verbrecherischen Gesindel zu tun, wir sind ganz anders", antworte ich und versuche, das Thema zu wechseln. "Wirst du nicht abgelenkt davon?", frage ich und zeige auf seinen Autofernseher, wo gerade Charlie Sheen unter Hintergrundgelächter etwas sehr Lustiges erzählt. "Nein", sagt Lukas, "ohne das kann ich keinen Stau überstehen."

Wir haben Wien schon erreicht. Der Wind bläst unermüdlich weiter und draußen scheint es ganz kalt zu sein. "In welchen Bezirk wohnst du denn?", fragt Lukas. "Im zwölften", sage ich. "Oh, ganz schlimm, ganz schlimm, zu viele Ausländer dort." Dazu sage ich nichts. Ich denke an meine türkischen Nachbarn und ihre leckere Baklava, die sie gerne mit unserer WG teilen. Ich denke an die fast 90-Jährige Oma Slavica und ihre geübten Bewegungen, mit denen sie das Stiegenhaus kehrt, als ob sie ihr Geburtshaus in der Nähe von Pozarevac sauber macht.

Plötzlich fühle ich mich, als ob ich ersticken würde. Charlie Sheen erzählt wieder mal einen Witz. Das Hintergrundgelächter pulsiert in meinem Kopf, wie tausende Ameisen, die in meinem Gehirn krabbeln. "Du kannst mich auch hier raus lassen", sage ich zu Lukas, "in der Nähe wohnt mein Bruder." "Ist dein Bruder auch Bulgare?", fragt er. "Nein, er kommt vom Sirius." Ich schaffe irgendwie zu antworten.

Ich steige aus dem Auto aus. Der Wiener Winterwind umarmt mich mit seinen kalten Händen. Das Auto fährt los. Ich versuche Lukas zuzuwinken und zu schreien: "Mein Opa war Rumäne. Ein Rumäne in Bulgarien. Er hat sehr gut gekocht. Heute kocht er für alle im Himmel. Sogar für die Österreicher. Falls sie sich trauen aus seinem Topf zu essen!"