Erstellt am: 5. 12. 2012 - 11:02 Uhr
Der seltsame Fall des Bradley Pitt
Seine Frau ist mir reichlich egal, seine Kinder ebenso, alle diesbezüglichen Schlagzeilen umso mehr. Mich interessieren auch Brad Pitt’s Anfänge in Jeans-Werbungen ebenso wenig wie sein sicherlich höchst lobenswertes humanitäres Engagement der letzten Jahre oder seine aktuelle Leidenschaft für Architektur.
Derzeit im Kino: Brad Pitt in dem ambitionierten Gangsterepos "Killing Them Softly", den er auch produzierte.
Was mich dagegen wirklich fasziniert ist, wie dieser scheinbar im Superzeitlupentempo alternde Feschak zu einer zentralen Figur des spannenden Gegenwartskinos mutierte. Wie Regisseur Stefan Ruzowitzky an dieser Stelle unlängst bemerkte, sind es einzig hochkarätige Schauspielernamen, die bestimmte riskante Projekte in Hollywood noch möglich machen. Brad Pitt geht mit seiner diesbezüglichen Macht so kreativ um wie kein anderer Superstar seiner Generation.
Thimfilm
Während bei Tom Cruise auch bei ungewöhnlicheren Projekten die eiskalt am Reißbrett geplanten Karriereentscheidungen offensichtlich sind (und einem dabei diverse beklemmende Abgründe ins Gesicht grinsen) und sich der von seinen Fans heilig gesprochene Johnny Depp zunehmend hinter infantilen Maskeraden verschanzt, spürt man bei Pitt eine echte Faszination für das Kino. Ohne Grenzen zwischen Realismus und Eskapismus, Cineastentum und Genre-Brachialität zu ziehen, schlüpft der Mann in zynische Auftragskiller, abgewrackte Antihelden und brüchige Väterfiguren ebenso wie in überlebensgroße Action-Charaktere.
Addiert man zum Akteur Brad Pitt noch seine Rolle als Produzent muss man ihn endgültig als einen der wichtigsten filmischen Vermittler sehen, der Kunst und Kommerz verschmilzt. Regisseure wie Terrence Malick, Andrew Dominik, Matthew Vaughn oder demnächst Steve McQueen verdanken ihm viel.
Und: Dass sich eingefleischte Multiplex-Besucher, bei denen der Namen Brad Pitt populistische Knöpfe drückt, zuweilen in Werke wie „The Tree Of Life“ oder „Killing Them Softly“ verirren, wird dem Begriff der filmischen Subversion wahrscheinlich mehr gerecht als manches radikale Viennale-Epos.
Daher hier nun eine überfällige und streng subjektive Verbeugung vor Mr. William Bradley Pitt.
Up in Smoke: Der kiffende Slacker in „True Romance“ (1993)
Haben zuvor noch einige Kritikerschnösel über das posierende Männermodel in „Thelma & Louise“ geätzt, kassiert Brad Pitt mit einer apathischen Minirolle Bonuspunkte in Sachen Credibility. Dabei tut er in Tony Scotts fantastischer Tarantino-Verfilmung „True Romance“ nicht viel mehr als faul auf der Couch zu knotzen. Das reicht aber mehr als genug.
Verloren im Regen: Der unnachgiebige Detective in „Se7en“ (1995)
Hoffnungslosigkeit steht im Zentrum von David Finchers "Se7en". Mit seinen verstörenden Mord-Tableaus wird der Film zur Blaupause für eine ganze Reihe stylischer Killermovies. Mittendrin Pitt als getriebener Polizist, dem das Leben schrittweise ausgehebelt wird. Bis zum bitteren Ende, das damals seinesgleichen suchte und erst durch den Hollywoodstar ermöglicht wurde, der es bei den Studios durchsetzte.
Manisch bis zur Nervensägen-Grenze: Der durchgeknallte Patient in „12 Monkeys“ (1995)
Man kann die Art und Weise, wie Brad Pitt in Terry Gilliams großartigem Zeitreise-Thriller einen verrückten Verschwörungstheoretiker anlegt, leicht als outrierendes Overacting auslegen. Das wäre aber reichlich humorlos. Wie eine Fleisch und Blut gewordende Comicfigur aus einem Cartoon von Tex Avery hetzt er durch den Film und lässt erstmals sein manisches Talent aufblitzen.
Schlag mich härter: Der prophetische Terrorist in „Fight Club“ (1999)
Für viele noch immer der beste Part des Herrn Pitt. David Fincher durchschaut beim Casting für seinen sarkastischen Milleniums-Schocker was viele Kritiker nicht verstehen: Es gibt nicht viele Schauspieler in Hollywood, die einen arroganten Underground-Guru so charismatisch spielen können, dass Männer und Frauen ihn gleichermaßen sexy finden. Und: Dank Brad Pitts Engagement für "Fight Club" wird das Meisterwerk des kapitalismuskritischen Körperkinos überhaupt erst finanzierbar.
He's not Irish, he's not English, he's just Pikey: Der Vagabundengangster in „Snatch“ (2000)
Natürlich ist der Mix aus Testosteron, Gewalt und Gelächter, aus sich dem Guy Ritchie eine Karriere bastelte, eher fragwürdig. „Snatch“ ist aber nicht nur der Höhepunkt seines diesbezüglichen Schaffens. Brad Pitt wächst als irischer Ganove im bizarren Stakkato-Slang über sich selbst hinaus.
Everything is more beautiful because we're doomed: Achilles in „Troy“ (2004)
Die Größen des Regietheaters mögen sich seit etlichen Dekaden an der Aktualisierung antiker Tragödien abmühen. Dieses Spektakel mit Hollywoods gesamter Marketingpower, in dem Brad Pitt in das Kostüm des legendärem Archilles schlüpft, macht mehr Spaß. Wie der schöne Trojaner hier mit Waschbrett-Bauch herumposiert, hat nicht nur einen unschlagbaren Guilty-Pleasure-Faktor. Pitt verkörpert (im wahrsten Sinn des Wortes) den unbesiegbaren Söldner wie einen Homer’schen Rockstar.
You leave, I’ll kill you: Der verzweifelte Ehemann in „Babel“ (2006)
Wieder einmal packt Regisseur Alejandro González Iñárritu alle Tragik der Welt in einen einzigen Film. Über „Babel“ lässt sich wenig Gutes sagen. Nur einige Schauspieler brillieren in dem Streifen, der mit biblischer Schwere krampfhaft diverse Handlungsebenen verknüpft: Cate Blanchett, Rinko Kikuchi und vor allem auch Brad Pitt. Angegraut, mit müdem Blick und schweren Augenringen kämpft er um seine angeschossene Ehefrau und bringt Spannung in das prätentiöse Episodenwerk.
Elegisch in den Untergang: Der Outlaw-Titelheld in „The Assassination Of Jesse James By The Coward Robert Ford“ (2007)
Meditativ kommt der Beitrag des australischen Regisseurs Andrew Dominik zum einst totgeglaubten Westerngenre daher. Brad Pitt fasziniert als Verbrecher-Ikone in einem hypnotischen Stück Slow-Motion-Kino. Ganz nebenbei sorgt er durch seine Anwesenheit auch für Reflexionen zum Celebritykult der Gegenwart.
I was thinking how nothing lasts: Der jugendliche Greis in „The Curious Case of Benjamin Button“ (2008)
Viele hassen diesen Film, ich halte ihn für einen der Besten im Gesamtwerk von David Fincher. Ein manieristisches, barockes Märchen über das Altwerden, über die Begrenztheit unserer Existenz, die Sterblichkeit. Auf den Punkt gebracht in der Sequenz, in der der greisenhafte Brad Pitt plötzlich CGI-verjüngt auftaucht und die Vergänglichheit der Jugend symbolisiert.
Someday we'll fall down and weep: „The Tree of Life“ (2011)
Während sich der gleichaltrige Johnny Depp in kindischen Rollen vom echten Leben abgrenzt, stürzt sich Brad Pitt mitten hinein. Im wunderbarsten Teil von Terrence Malicks Gänsehaut-Meisterwerk über das Sein und Nichtsein spielt er den strengen Vater in einer texanischen Familiengeschichte. Eine vielschichtige Rolle, die all die Coolness vergessen lässt, mit der Pitt manchmal hausieren geht. Und die große Hoffnung auf seine schauspielerische Zukunft schürt. Sollte sogar Brad Pitt einmal altern, wird es wunderbar sein, ihm auf der Leinwand dabei zuzusehen.