Erstellt am: 5. 12. 2012 - 16:45 Uhr
Kavaliersdelikt #4
Die ersten Zeilen der Kurzgeschichte "Two Gallants" aus dem Zyklus "Dubliners" von James Joyce, erschienen 1914 - davor von etlichen Verlegern abgelehnt.
The grey warm evening of August had descended upon the city and a mild warm air, a memory of summer, circulated in the streets. The streets, shuttered for the repose of Sunday, swarmed with a gaily coloured crowd. (...) Two young men came down the hill of Rutland Square. One of them was just bringing a long monologue to a close. The other, who walked on the verge of the path and was at times obliged to step on to the road, owing to his companion's rudeness, wore an amused listening face. He was squat and ruddy.
Düstere Aussichten, Kriminalität, Ausweglosigkeit. Keine geregelte Arbeit, kein Geld, kein Heim. Zwischen 1904 und 1907 schreibt James Joyce in seinem Kurzgeschichtenzyklus "Dubliners" eine Zeit des Stillstandes im Leben zweier irischer "Kavaliere" nieder. Hundert Jahre später erweist sich diese als sinngebend für zwei junge Musiker aus San Francisco. Sie saugen das Gefühl der Zeilen auf und legen es um in ein altes, versunkenes Amerika der heimatlosen Outlaw-Heiligen, mordenden Revolver-Helden, verstoßenen Hobos und schrägen Vögel.
Anfang der 00er Jahre heben sich die Two Gallants als die Erben des rohen Delta-Blues mit rauer Punk-Attitüde aus der Taufe. Sie werden berühmt für ihre in Lieder gegossenen, rückgewandten Kurzgeschichten über das ewige Leben lost on the road, über hoffnungslosen Herzschmerz, Sex und Crime und in Whiskey getränkte Einsamkeit. Der Wind pfeift über die Prärie, die Trockenheit reißt sich in die Lippen, in der Nacht heulen die Wölfe gen Vollmond. Aus Sänger Adam Stephens staubiger Kehle kratzen sich die Worte Maaama, Baby und Lord. Billy the Kid und John Wesley Hardin’ streunen vorbei, Crow Jane leidet, alles versinkt im Blue der Two-Gallants-Traditionsspiele, in dem die neuesten technischen Erfindungen Eisenbahn und Telefon sind und sich kreisende Murder Ballads und Worksongs qualvoll die Hand reichen.
Library of Congress
Two Gallants
"The Bloom and the Blight" - das vierte Album der Two Gallants hier als Stream.
Dem Blues und seinen Inhalten sind die Two Gallants mit ihrem neuen Album The Bloom and the Blight treu geblieben. Schreiende Herzen und unendlicher Müßiggang durchziehen die archaische Sprache der Zwei-Mann-Band, dazu serviert man religiöse Anspielungen auf dem Silbertablett – etwa im Song of Songs über Solomon und die Taufe im Ur-Strom Jordan. Dennoch wirkt The Bloom and the Blight im Vergleich zu den bisherigen Alben der Two Gallants weniger als eine Ansammlung von stimmungsvollen Short Stories, als ein kohärenteres Ganzes. Einzeln ausgearbeitete Song-Charaktere und Handlungsstränge scheinen sich einem, das gesamte Album umfassenden Gefühl unterzuordnen. Adam überlegt und sagt: "Of all our records it’s definitely the quickest record, that was ever written. From start to finish it all happened in a couple of months. (...) And I think this had the effect that they are all part of one emotion in a way. Not that all the songs are the same or have the same effect, but they all sort of came from a very similar mindset."
"The Bloom and the Blight" ist über ATO Records erschienen. Somit haben sich die Two Gallants nach zwei Alben von Saddle Creek verabschiedet.
"It's nice to change things. We wanted to have sort of a rebirth, try things out with new people and new enthusiasm, a new direction."
Obwohl alle Songs der Platte innerhalb nur weniger Monate entstanden, aufgenommen und produziert wurden, hat The Bloom and the Blight ein halbes Jahrzehnt auf sich warten lassen. Zwischen dieser und der letzten selbstbetitelten LP der Two Gallants liegen ganze fünf Jahre. Der Grund: In wohl jeder Zweier-Beziehung ist früher oder später gesunder Abstand von Nöten. Schon im Alter von fünf Jahren haben sich Adam Stephens und Tyson Vogel zwischen Cable Cars und Golden Gate Bridge kennengelernt, seit sie etwas älter waren machen sie gemeinsam Musik und tuckeln im selben Tourbus durch die Weltgeschichte. Schlagzeuger Tyson: "It kind of came to a point where it was really hard for us as individuals to conceptualize going forward. We didn’t really plan to take such a long time off, but i think that time gave us a lot of perspective."
vebidoo.de / chris macaskill
In den letzten fünf Jahren hat sich einiges für die Two Gallants getan. Tyson Vogel tourte mit den mittlerweile aufgelösten Port O’Brien und erfand sich mit anderen Folkstern aus der Frisco Bay-Area (u.a. Honeycomb) neu als Devotionals. Ein fast rein instrumentales, meditatives Album inklusive Vibraphon, Violinen und Cellos ist entstanden – alle Stücke stammen aus Tysons Feder. Indes versammelte Adam Stephens weitere Teile der Americana-Prominenz, darunter Gesandte von Vetiver und My Morning Jacket, für sein Solo-Projekt Adam Haworth Stephens und croont zahme Liebesduette in Klavierbegleitung.
Diese Woche kommen die Two Gallants für gleich fünf Live-Konzerte mit ihrem neuen Album nach Österreich.
5.12. - Graz, PPC
6.12. - Salzburg, Rockhouse
7.12. - Dornbirn, Conrad Sohm
8.12. - Linz, Posthof
9.12. - Wien, Flex
Die neuentdeckten musikalischen Streichelqualitäten der Trennungsjahre sollten sich nicht weiter auf den charakteristisch heiser gekratzten Two Gallants Sound und The Bloom and the Blight auswirken, ist das neue Album laut Adam sogar "noisier and more aggressive", als seine Vorgänger. Produzent John Congleton, der schon mit einer scheinbar endlosen Liste an amerikanischen Indie-Helden (und auch R.Kelly) zusammengearbeitet hat, hat versucht, den brachialen Live-Sound der Two Gallants einzufangen und auf Platte zu bannen. So spielt The Bloom and the Blight mit einer greifbaren Dynamik und friedlich gezupfte Saiten schlagen um in Adrenalin-geladene Wände aus verzerrten Gitarren und übersteuertem Schlagzeug.
Der ausufernde, grobkörnige Punk-Blues, für den die Two Gallants berühmt geworden sind, ist mit dem neuen Album geformt in leichter verdaubare Drei-Minuten-Songs und hört sich oft mehr nach Alternative Rock an – gleich im Opener Halcyon Days mit kompromisslos gecrashtem Schlagzeugdonnern klassisch und unverkennbar im Stile der White Stripes. Ride Away ist moody und düster und klingt, mit der sich in der alleinstehenden Gitarrenlinie steigernden, bis im Chorus abhebenden Spannung, sehr nach Grunge – klassisch, à la Nirvana. In milder Country-Trivialität und mit Harmonika im Mund wiegeln Broken Eyes und Willie ab. Decay, das einzige von Tyson Vogel geschriebene Lied am Album, und Winter’s Youth schlummern dahin in zauberhaft verschneiter Folk-Idylle auf einem Teppich verhallender, weihnachtlich gestimmter Mini-Fleet-Foxes-Chöre.
"Winter's Youth", akustisch aufgenommen im FM4 Studio, versteckt sich hinter dem zweiten Türchen unseres Merry Clipmas Video-Adventkalenders!
Mit The Bloom and the Blight halten die Two Gallants an den elementaren Roots fest, stilistisch und soundtechnisch zeigen sie sich aber um einen Tick moderner als mit ihren bisherigen Alben. Das geschichtsschwangere Folk/Blues-Konglomerat hat sich aufgeweicht und poppig schmeckende Harmonien und eine wie von Ben Kweller intonierte zweite Stimme passen genauso auf die Platte wie schnell fahrender "Metal" (so bezeichnet die Band selbst ihre rockigeren Nummern). Vor allem aber vereint The Bloom and the Blight zwei Musiker, die nach fünf Jahren musikalischer Fernbeziehung wieder in aller Gewaltigkeit zusammengefunden haben. Tyson: "Going out and realizing what music is – it is this great conversation and it’s like a chemistry and it’s like a loftier thing than, I mean you know like any art, it has these multiple levels. And I think that there is something that Adam and I share that is kind of unattainable anywhere else."