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4. 12. 2012 - 16:48

"Wilder Wohnen"

Steigende Mieten, befristete Verträge und Spekulanten, die Mieter schikanieren: Ein Bündnis aus Mietrechts-Funktionären, Hausbesetzern und Pionieren alternativer Wohnformen veranstaltet die "Wilder Wohnen"-Aktionstage.

Vor 100 Jahren haben Menschen in Wien gegen nicht mehr leistbare Mieten und unmenschliche Wohnverhältnisse demonstriert. In der Folge trat vor 90 Jahren das Mietengesetz in Kraft - mit teils heute noch wirksamen Mieterschutzbestimmungen.

Doch diese Errungenschaften seien heute wieder in Gefahr, sagen die Veranstalter der „Wilder Wohnen“-Aktionstage. Einer von ihnen ist Joseph Iraschko, Mietrechtsexperte und Bezirksrat der KPÖ im 2. Wiener Gemeindebezirk. Er kritisiert etwa zwei Änderungen des Mietrechts im Jahr 1994, von denen eine die Einführung der befristeten Miete war: „Heute sind 60 Prozent aller abgeschlossenen Mietverträge in Wien befristet. Ein Mieter mit einem solchen Vertrag ist abhängig. Er kann zum Beispiel, wenn er die Wohnung behalten will, nicht so einfach zur Schlichtungsstelle gehen, um den Mietzins überprüfen zu lassen. Durch die Befristung ist eine gewisse Rechtlosigkeit auf Seiten der Mieter eingetreten.“

Bündnis Wilder Wohnen

Bündnis Wilder Wohnen

Die zweite von Iraschko kritisierte Änderung des Mietrechts 1994 betrifft den Richtwert für Mieten. Er erfülle nicht die Funktion eines Höchstpreises, weil er seitens der Hauseigentümern durch viele verschiedene Zuschläge weit überschritten werden könne. „Der Richtwert pro Quadratmeter liegt bei 5,16 Euro – in der Praxis gibt es wegen der Zuschläge Wohnungen mit 12 bis 13 Euro Nettomiete pro Quadratmeter. Eine Familie mit Kindern, die 70 Quadratmeter benötigt, kann sich eine solche Wohnung mit einem Gehalt nicht mehr leisten. Falls es in der Familie zwei Beschäftigte gibt, ist ein Gehalt für die Miete weg.“

Joseph Iraschko berät immer wieder auch Opfer von Spekulanten. Seit fünf Jahren treten in Wien wieder vermehrt Firmen auf, die Häuser kaufen und die Wohnungen dann teuer neu vermieten wollen - daher trachten sie danach, die alten Mieter zu vertreiben. Dies geschieht oft mit Methoden, die nicht gerade zimperlich sind. Iraschko: „Die Mieter werden schikaniert und drangsaliert. Da wird Buttersäure am Gang verschüttet, absichtlich Lärm erzeugt, es werden Gasleitungen angestochen. Mieter werden am Betreten ihrer Wohnungen gehindert. Wir hatten einen Brand in einem Gebäude.“

Die Rückkehr der Spekulanten

Josef Iraschko

KPÖ

Josef Iraschko

Der Mieterschützer sieht die Ursache der Rückkehr aggressiver Spekulanten in der Veränderung der Eigentümerstruktur: „Viele Häuser gehören nicht mehr Einzelpersonen, sondern großen Firmen, die quasi anonym auftreten.“ So gebe es eine Immobilienfirma, in deren Häusern ausnahmslos alle Mieter unter Schikanen leiden, weil die Firma ausschließlich am billigen Einkauf und teuren Verkauf von Gebäuden interessiert sei. Mehrmals versuchte sie bereits, Mieter eigenhändig zu delogieren, obwohl dafür in Österreich ein gerichtlicher Bescheid notwendig ist und ein Exekutionsbeamter anwesend sein muss. Iraschko wird in solchen Fällen manchmal verständigt: „15 Bauarbeiter standen im Haus, hinderten Mieter am Betreten ihrer Wohnungen, mauerten Türen zu. Teilweise wurden Gegenstände aus Wohnungen getragen. Ich bin dort rauf und habe gefragt: Wo ist der Exekutor, wo ist der Exekutionsbescheid? Die konnten den nicht vorweisen, ich sagte: Was sie hier tun, ist illegal. Das hat den Eigentümer nicht gerührt. Ich musste erst zur Polizei gehen und Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstatten.“

Vier Tage "Wilder Wohnen"

Die Vision der Veranstalter von "Wilder Wohnen" ist, an die historische Wiener Mietrechts-Bewegung der 1910er-Jahre anzuknüpfen.

Die viertägige Veranstaltung startet am 5. Dezember um 19 Uhr auf dem Gaußplatz, Aktionsradius Wien, 1200 Wien. Nach der Podiumsdiskussion zum Thema "Mietrecht - Geschichte und aktuelle Tendenzen", geleitet von Josef Iraschko, geht es in weiteren Diskussionen um den Kommunalen Wohnbau (geleitet von Antonia Coffey), um Gentrifizierung (geleitet von Roman Seidl), Zwischennutzungen und Leerstandspolitik (geleitet von Anna Hirschmann) und MieterInnenbewegungen in Europa (geleitet von Leo Gabriel).

Am Donnerstag, 6. Dezember gibt es Vorträge an der TU Wien (Hörsaal 7), am Freitag, 7. Dezember öffentlichen Protest und „Volxküche“ am Praterstern. Und am Samstag, 8. Dezember finden Expeditionen unter dem Titel „Crime City Tour“ statt - Treffpunkt dafür ist um 10:30 Uhr bei der U1-Station Alte Donau. Die genauen Termine gibts auch auf wilderwohnen.blogsport.eu.