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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

5. 12. 2012 - 05:40

Braille-Zeile und Blindenarbeitsplatz

Ein Gespräch mit dem blinden Slawistik-Studenten Mathias Schmuckerschlag.

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Bildung ist für Menschen mit Behinderung ein großes Thema, denn nur so können sie auf dem Arbeitsmarkt Jobs finden, abseits von geschützten Werkstätten und Co. Trotzdem ist höhere Bildung in der Ausbildung von vielen Menschen mit Behinderung gar nicht vorgesehen. So erzählt zum Beispiel Mathias Schmuckerschlag, dass bei ihm auf der Blindenschule die Matura eigentlich gar nicht vorgesehen war. Er hat die Matura dann in Eigentinitiative gemeinsam mit ein paar Kollegen auf der Abendschule nachgemacht.

Mittlerweile studiert Mathias Slawistik auf der Uni Wien, und zwar Russisch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch jeweils im Hauptfach. Auf der Slawistik ist er derzeit der einzige blinde Student.

Irmi Wutscher: Warum genau Slawistik? Was interessiert dich daran?

Mathias Schmuckerschlag: Ich hab schon immer irgendwie eine Affinität zu slawischen Sprachen gehabt. Mich hat auch immer schon ein bisschen gestört, dass außer Englisch nur romanische Sprachen angeboten werden. Und ich bin in der Blindenschule mit vielen Serben, Bosniern und Kroaten aufgewachsen. Das hat mir auch vom Klang her immer schon gefallen.

Hast du irgendeinen konkreten Berufswunsch?

Nein, noch nicht. Auch, weil ich mit dem Studium noch lang genug brauchen werde, und ja auch gar nicht so klar definiert ist, was man damit dann alles machen kann. Ob man Dolmetscher sein kann oder sich eher auf Kulturkunde in einer Sprache spezialisiert. Das stellt sich dann erst im Lauf des Studiums heraus.

Mathias Schmuckerschlag vor dem Institut für Slawistik

Irmi Wutscher

Mathias vor dem Slawistik-Institut

Wir sind jetzt hier am Campus im Alten AKH in Wien. Wie findest du denn eigentlich zu deinen Studienorten?

Also den Weg zum Slawistik-Institut, den hab ich schon gelernt. Schwieriger wird es manchmal, wenn Vorlesungen irgendwo anders sind. Dann muss ich wirklich immer den Weg neu lernen und ihn mit irgendwem einmal oder sogar öfter abgehen.

Also so etwas wie ein Leitsystem gibt es hier auf der Uni nicht?

Im Hauptgebäude der Uni Wien schon. Dort gibt es zumindest eines, das aber eigentlich nicht den Normen für Leitsysteme entspricht. Das heißt, man braucht eigentlich eine eigene Anleitung fürs Leitsystem. Damit hab ich mich aber gar nicht wirklich befasst. Ehrlich gesagt interessiert mich das auch nicht besonders, weil es hier am Campus sowieso keines gibt. Ich weiß auch nicht, ob es einmal eines geben wird. Meiner Meinung nach braucht es auch nicht unbedingt eines, man kann sich hier schon orientieren. Auch an anderen Sachen. Wenn der Kiesweg beginnt, oder man durch den Durchgang geht. Das hört man dann sowieso, weil es hallt. Man muss ja nicht unbedingt überall Leitlinien haben.

Was nimmst du denn alles mit, wenn du auf die Uni gehst? Brauchst du da irgendwelche besonderen Gerätschaften? Wie machst du das denn bei Vorlesungen zum Beispiel?

Ich nehme vor allem meinen Laptop mit. Dann die Braille-Zeile, die steht unterm Laptop, um die Braille-Zeichen mit den Fingern mitlesen zu können. Das ist für ganz normale Word-Dokumente, die man in der Stunde bekommt. Ein großer Vorteil für mich als Slawist ist da, dass ich die kyrillische Schrift gar nicht extra lernen muss, weil die da - bis auf ein paar Sonderzeichen - ganz gleich ausschaut. Das erleichtert mir sogar die Arbeit.

Und während der Stunden? Spracherwerb wird ja ohnehin viel mündlich gemacht oder?

Großteils ja. Allerdings wird leider - also für mich jetzt leider - doch auch einiges an der Tafel gemacht. Das ist in der Stunde dann ein bisschen schwierig da mitzumachen. Das heißt, ich muss viel nachmachen. Es gibt aber immer jemanden, der das Tafelbild zusammenschreibt und auf die Lernplattform stellt - für alle KursteilnehmerInnen. Das ist dann super, da kann ich dann die wichtigsten Sachen auch mitmachen.

Wir haben jetzt den Ort gewechselt und sind sozusagen in den heiligen Hallen des Slawistik-Institutes. Hier gibt es auch eine Bibliothek. Benutzt du die eigentlich?

Ich benutze sie, weil es ein ruhiger Ort zum Lernen ist. Ansonsten hab ich mit der Bibliothek nichts zu tun, weil die zwar über sehr wertvolle alte Bücher verfügt, allerdings nur in Schwarzdruck, also auf Papier. Was mir persönlich nichts nutzt. Ich bekomme meine Bücher von der Hauptbibliothek, von der Aufbereitungsstelle, wo aus Skripten Word-Dokumente gemacht werden.

Und die kannst du dann wieder mit der Braille-Zeile auslesen?

Ja genau. Braille-Zeile oder Sprachausgabe. Vor allem lese ich mit der Sprachausgabe. Mit dem Finger würde ich da einfach viel zu lange brauchen.

Mathias Schmuckerschlag im Seminarraum des Instituts für Slawistik, mit Laptop und Braillezeile

Irmi Wutscher

Mathias im Sprachkurs: Mit Laptop, drunter Braille-Zeile und ein Aufnahmegerät - zum später Nachhören.

Und wie funktioniert das, wenn du zum Beispiel Seminararbeiten schreiben musst?

Also wenn wirklich Fachbücher erforderlich sind, werden die auch aufbereitet. Auch von dieser Aufbereitungsstelle, also dem sogenannten "Blindenarbeitsplatz".

Der Blindenarbeitsplatz ist dann für alle Studierende der Hauptuni da?

Ja. Das ist aber auch das Problem. Das sind zwei Personen, von denen wiederum für diese Aufbereitung nur eine zuständig ist. Und das ist für 35 bis 40 Leute ein bisschen wenig. Das führt dann dazu, dass man auf seine Skripten ziemlich lange warten muss. Und das kann natürlich dann zu
Studienverzögerungen führen.

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Lernst du auch mit Kolleginnen und Kollegen? Oder sind da auch die Unterschiede einfach zu groß?

Teils, teils. Zum einen sind die Unterschiede wirklich recht groß. Zum anderen lerne ich - vielleicht recht typisch studentisch - vor allem in den letzten Wochen vor einer Prüfung. Und nicht die ganze Zeit kontinuierlich mit. Das heißt, ich lerne dann lieber in meinem Tempo und alleine, weil ich mir auch noch viele Aufnahmen anhöre und sowas. Da hat eine Lerngruppe für mich eigentlich keinen großen Vorteil. Aber Referate und so mache natürlich schon mit anderen gemeinsam.

Und wie nimmst du sonst am Studentenleben teil? Gibt es viele Parties oder ist das nichts für dich?

Das ist schwer zu sagen. Dadurch dass ich schlecht höre, ist das manchmal ein bisschen mühsam, sich auf solchen Veranstaltungen zu orientieren. Aber an sich gehe ich schon mit, wenn jetzt alle vom Kurs etwas Trinken gehen. Letzte Woche waren wir zum Beispiel alle in einer Schnapsbar im 2. Bezirk. Sonst bin ich wahrscheinlich eher selten dabei, wobei ich sagen muss, dass ich auch gar nicht mitbekomme, wer was wo mit wem macht. Ich hab eher mit wenigen, und mit denen dafür mehr zu tun. Man merkt ja schon auch Berührungsängste in den Kursen. So dass man auch deshalb schon mal nicht mit jedem sofort etwas zu tun hat. Wie gesagt: ich höre schlecht, schaue Leute nicht an beim Reden... Solche Kleinigkeiten dürften für viele Leute doch sehr ins Gewicht fallen.

Es sind einem ja auch selbst nicht immer alle sympathisch, mit denen man gemeinsam studiert.

Das stimmt schon, aber soweit komme ich oft gar nicht. Ich könnte oft ja gar nicht sagen, dass mir jemand unsympathisch ist. Ich kenne die Leute einfach nicht, und sie mich nicht. Auch weil ich mich ja möglichst immer in die erste Reihe setze, damit ich besser höre. Dass sich dann hinten Gruppen bilden, das kriegt man zwar irgendwie mit, aber da bin ich dann halt nie dabei. Und da gibt es dann gar nicht so viele Gelegenheiten, wo man sich dann irgendwie näher kommt und sich kennenlernt.

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Wir haben schon kurz über das Leitsystem auf der Uni gesprochen und den Blindenarbeitsplatz. Gibt es sonst noch Einrichtungen?

Eigentlich ist die offizielle Ansprechperson für Menschen mit Behinderung die Behindertenbeauftragte, die ihr Büro auch auf der Hauptuni hat. Sie ist aber nur am Mittwoch da, für gerade einmal zwei Stunden. Eigentlich sollten soweit ich weiß sogar Prüfungsmodalitäten und so weiter über sie vereinbart werden. Ich mach mir das aber lieber direkt mit meinem Institut aus. Also theoretisch würde viel über sie laufen. Praktisch bei mir zumindest nicht. Sie kann mir auch recht einfache Sachen nicht sagen, wie man zum Beispiel eine STEOP umgeht: Wenn man z.B. extrem viel Mehraufwand für eine Prüfung hat und ein Jahr verliert, wenn man die nicht schafft. Ihr Vorschlag war: 'Sie können sich ein halbes Jahr beurlauben lassen'. Wo ich mir dann denke, ich will studieren und nicht mich beurlauben lassen, wenn ich für eine Prüfung einfach länger brauche.

Was würdest du brauchen, von Uniseite?

Vor allem wichtig wäre für mich eine wesentlich effizientere und schnellere und eigentlich auch korrektere Aufbereitung der Skripten. Ja und eine Ansprechperson, die wirklich alle Fragen klärt, oder zumindest hilft beim Klären. Das wäre auch sehr praktisch.