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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

3. 12. 2012 - 09:00

Neue Glasfaseranbindung für Syrien

Nach dem Totalblackout ist Syrien nun über Glasfaser-Carrier aus China und Indien am Netz. Die Kabel legen aus dem Mittelmeer direkt bei der russischen Marinebasis in Syrien an.

Die zwei Tage dauernde Abschaltung des Internets in Syrien, begleitet von einem flächendeckenden Ausfall von Mobiltelefonie und Festnetz, war ein treffender Auftakt für den Weltgipfel der Telekommunikation, der heute in Dubai startet.

Für die Delegierten von 193 Mitgliedsstaaten der "International Telecommunication Union" (ITU) liegt neben einer Vielzahl von anderen Themen auch ein Vorschlag Russlands und anderer Staaten auf dem Tisch. Die Vorgänge in Syrien stehen in direktem Zusammenhang dazu.

"Nationale Sicherheit"

Hinter den Begriffen von "Souveränität" und "nationaler Sicherheit", mit denen der Antrag Russlands gespickt ist, läuft alles auf nationalstaatliche Dominanz über das Internet bis hin zur Domainvergabe hinaus.

Das eigentliche, nicht-deklarierte Ziel Russlands, Ѕaudi Arabiens, des Iran u. a. in der ITU ist die Kontrolle über "Cloud Computing", also Facebook, Google+ usw. als technischen Standard für "Interoperabilität" zu definieren. Der Normierungsexperte Tony Rutkowski über russische Wutanfälle zum Thema

Die Möglichkeit einer Komplettabschaltung ist dabei implizit, wenn zum Beispiel die "nationale Sicherheit" durch "Terroristen" bedroht wird. Das entspricht exakt der Wortwahl des ѕyrischen Regimes seit dem Beginn des Aufstands weiter Teile der Bevölkerung.

Die syrische Regierungsseite behauptet auch weiterhin, die Rebellen hätten eine Leitung gekappt, die Gegenseite sagt, das Assad-Regime habe die Internetverbindungen abgeschnitten, um die Aufständischen zu schwächen.

Ein singulärer Punkt

Anders als die Militärs, die über völlig eigene Funk- und Glasfasernetze verfügen, sind die Rebellen weitgehend auf die zivilen Netze angewiesen.

Die widersprüchlichen Aussagen von Regime und Gegnern haben jedoch einen gemeinsamen Punkt und zwar im wahrsten Sinn des Worts. Sie setzen beide voraus, dass es technisch möglich ist, in Syrien auf einen Schlag "das Internet abzuschalten". Dafür muss es einen singulären Punkt geben, an dem die Leitungen zusammenlaufen.

Auf der Wiener Konferenz Deepsec gelang es den Netzwerkexperten direkt nach dem Blackout noch, auf Satellitenwegen an ein internes "Traceroute" aus dem syrischen Netz von n.n. zu kommen. Die Momentaufnahme auf dem Blog von CERT.at zeigt, wie die Datenpakete lokal noch ganz normal geroutet werden, doch auf dem Backbone ist es aus mit dem Transport.

In Österreich

Was in Österreich angesichts von etwa 90 internationalen Carriern, die untereinander völlig unterschiedlich vernetzt und vermascht sind, nur bei einem flächendeckenden Stromausfall überhaupt denkbar wäre, wurde in Syrien binnen drei Minuten umgesetzt.

"Das war zu schnell und zu methodisch" sagte Aaron Kaplan vom österreichischen Computer Emergency Response Team (CERT) zu ORF.at. Der einhellige Tenor aller dazu befragten Experten: Das Netz in Syrien wurde systematisch heruntergefahren und ist nicht nach einem Kabelbruch abgestürzt.

Wie den Messungen und Grafiken der Spezialisten von CERT.at, Renesys und Cloudflare zu entnehmen ist, wurden alle Routen in das syrische Netz über die Glasfaseranbindungen nach außen in dieser knappen Zeit systematisch deaktiviert. Das war nur aus einem einzigen Grund möglich, der aus der Topologie des Netzwerks förmlich ins Auge springt.

Die Animationen von CloudFlare zeigen, dass die Wiederaufschaltung der Netzwerkknoten am Samstag genauso methodisch aussehen, wie der Abschaltvorgang am Donnerstag.

Das Netz in Syrien, ein Stern

Grafik

http://blog.cloudflare.com

Die russische Marinebasis

Die Glasfaserleitungen der Carrier PCCW (China) und TATA Telecom (Indien) landen aus dem Mittelmeer in der syrischen Hafenstadt Tartus an. Dort befindet sich seit 1971 die einzige russische Marinebasis im Mittelmeer.

Nicht ganz klar ist, wie die Anbindung von Türk Telekom an Syrien momentan aussieht. Das Überlandlabel JADI, das Jeddah, Amman, Damaskus und Istanbul verbindet, hatte schon im August wegen "technischer Schwierigkeiten" seine Services für Syrien eingestellt.

Die seit Jahren bestehenden Anbindungen von Telecom Italia und Deutsche Telekom scheinen in den seit Samstag aktualisierten Netzwerktopologien nicht mehr auf, was auf die Sanktionen gegen Syrien zurückzuführen ist. Das heißt, die Netzwerkanbindung Syriens wird seit Monaten radikal umgestellt.

Zentralismus

Alle drei nun aktiven Auslandscarrier Syriens aber laufen, wie die Diagramme von CloudFlare zeigen, an einem einzigen Punkt irgendwo in oder nahe Damaskus zusammen. Dieselbe Netzwerktopologie war in den Netzen Ägyptens und Irans schon zu beobachten gewesen.

Unter Hosni Mubarak mussten die Auslandsleitungen aller Carrier durch ein einziges Datenzentrum der staatlichen Egypt Telecom geleitet werden. Nur so war es möglich, das gesamte Netz auf einmal abzuschalten, was dem Regime freilich nichts genützt hat. Eine Woche nach diesem Manöver war Mubarak nicht mehr im Amt.

Re-Routing Iran 2009

Am Samstag den 13. Juni 2009 war es nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses im Iran erst zu Teilausfällen gekommen, dann verschwanden auf einen Schlag 180 iranische Subnetze aus den internationalen Routing-Tables, den "Straßenkarten" des Internets.

Wenig später waren diese Netze wieder zurück, doch anderswo angebunden. Sämtlicher Internet-Verkehr, der in beide Richtungen bis dahin über die Glasfaserkabel von FLAG, Singapore Telecom, PCCW, Telia und Telecom Italia geflossen war, ging jetzt über die Leitungen von Türk Telecom. Man sieht, auch hier ein singulärer Punkt zur Kontrolle, der natürlich auch ein tendenzieller "Single Point of Failure" ist.

Gezielter Shutdown

Die Befürchtung der Aufständischen, dass diese Netzabschaltung nach dem Muster von Ägypten sozusagen den medialen Windschatten für die erwartete Großoffensive der Regierung bieten sollte, hat sich so nicht bewahrheitet. In dem Fall wäre das syrische Netz nicht 48 Stunden später reaktiviert worden.

Es wurde vielmehr aus einem anderen Grund gezielt heruntergefahren. Wie der Iran 2009 hat das syrische Regime seine internationale Anbindung völlig umgestellt. Während vordem Deutsche und Türk Telekom, Telecom Italia die größten Datemengen aus Syrien transportierten, scheinen nun die chinesische PCCW sowie die indische TATA als Main Carrier auf. Deren Kabel landen gleich neben der einzigen Militärbasis Russlands im Mittelmeer in Tartus, Syrien an.

Auf der Weltkarte von Renesys wird die internationale Anbіndung Österreichs an das Internet als "unproblematisch" eingestuft. Ab Ungarn bis nach Griechenland und Bulgarien gilt dies jedoch nicht mehr.

"No Disconnect" in Brüssel

Exakt eine Woche vor der Netzabschaltung in Syrien hatte die EU-Kommission in Brüssel einen Workshop abgehalten, Titel "No Disconnect". Dieses Projekt von EU-Kommissarin Neelie Kroes gegen "Willkür, Restriktionen und Zensur" ist dezidiert an die "südlichen Mittelmeerstaaten" gerichtet.

An oberster Stelle der Agenda steht "Telekommunikation", ein webbasiertes Informationssystem soll so "nahe an Echtzeit" darstellen, wo welche Websites gesperrt werden und willkürlich Netze abgeschaltet werden.

Addendum

Was den Wiedereintritt Syriens in die TCP/IP basierte globale Kommunikation betrifft, so wurde am Samstag zuerst Verbindung mit PCCW (China), dann mit TATA (Indien) und etwas später mit Türk Telekom aufgenommen.

Auf dem Weltgipfel der Telekommunikation in Dubai, der heute startet, wird für die Delegierten 14 Tage lang Gelegenheit sein, sich ausführlich darüber zu unterhalten.