Erstellt am: 2. 12. 2012 - 16:45 Uhr
Komisches Mus
Etliche Wendungen und Drehungen hat das Animal Collective in seiner jetzt fast schon 15-jährigen Karriere durchlebt, die Band sei, so heißt es gerne, eine Gruppe, die sich von Album zu Album – immerhin zum Teil – immer wieder neu erfindet. Auch die Aufstellung der Band gestalten die vier Player Avey Tare, Panda Bear, Geologist und Deakin einigermaßen flexibel: Mal wird ein Album von nur zwei Mitgliedern eingespielt, wie „Sung Tongs“ aus dem Jahr 2004, dann wieder von allen vieren, wie der diesjährige, im September erschienene, neunte Studio-Longplayer „Centipede Hz“. Es handelt sich hier jedoch nicht um die üblichen Bandumbesetzungen und Wiedervereinigungen, sondern um ein schon im Kern als ein variables, weich fließendes angelegtes Gefüge.
Kaum ein Wort ist spätestens seit der Ausrufung des „Post-Internets“, in dem alles immer geht, durch Frau Grimes so obsolet geworden wie „Eklektizismus“. Wer ist denn heute nicht „eklektisch“ außer vielleicht der Gruppe Jet? Das Animal Collective hat in den letzten zehn Jahren den musikalischen Eklektizismus prägend mitdefiniert: Spinnerter Waldschrat-Folk und rituelles Grillengezirpe hatten in der Musik der Band genauso Platz wie Ideen von Dub und Dub-Techno, ebenso krautiges Geraschel und Geklopfe, Krach, Gekreische und elektronische Bastel-Arbeiten.
- Der Song zum Sonntag auf FM4 in Kooperation mit der Presse am Sonntag.
Nach dem durchschlagenden Erfolg des endgültigen Durchbruchsalbums „Merriweather Post Pavilion“ aus dem Jahr 2009, auf dem das Animal Collective auf elektronischer, loop-orientierter Basis beinahe schon so etwas wie leicht konsumierbare Popmusik erschuf und die Grenze dessen erreichte, was gerade noch als „coole“ Publikumswirksamkeit durchgehen kann, ist „Centipede Hz“ jetzt wieder ein wildes, wirr zuckendes Dokument der Hyperaktivität. Oder auch eine Art Vertonung der allgegenwärtigen Reizüberflutung und der Informations-Kakophonie, die uns ständig aus der schönen bunten Welt und vor allem diesem komischen Internet ins Leben prasselt.
Animal Collective
Einerseits wirken die Nervosität und die Dichte der im Sekundentakt aufschäumenden akustischen Sensationen wie ein Befreiungsschlag, ein versuchtes Ausbrechen aus den Pop-Erwartungshaltungen, ein Trotzen gegen den „Mainstream“. Andererseits ist hier zum vielleicht ersten Mal in der Geschichte der Band eine – auf hohem Niveau, sicherlich - Stagnation zu Bemerken: Der Furor, die Geschmacksexplosionen und die sonischen Volten wirken hier mitunter etwas zu gesucht, den abenteuerlich aneinandergeschnittenen Klang-Motiven ist man im Werk des Animal Collective in irgendeiner From schon einmal früher begegnet, an den aufgekratzten, atemlosen Quietsch- und Eruptions-Gesängen des Avey Tare und den Beach-Boys-Harmonien des Panda Bear hat man sich eventuell schon ein wenig sattgehört.
Eine sehr gute Platte ist „Centipede Hz“ aber dennoch geworden, mit sehr guten Liedern drauf. „Apple Sauce“ zum Beispiel, ein Lied, das auch auf allen anderen Platten des Animal Collective als eines der besten dastehen würde. Im Umfeld der anderen Songs des Albums mutet „Applesauce“ fast schon bescheiden, unaufgeregt an. Behutsam sind hier die Bestandteile arrangiert, vieles passiert zwar, jedoch ohne dass der Zuhörerin und dem Zuhörer vor quietschgelbem Daten-Overload gleich die interne Festplatte kollabiert. Vielstimmig poltert es am Schlagwerk, es gilt elektronisches Blubbern, Orgeln und Summen zu erleben, Avey Tares Gesang überschlägt sich und purzelt durch die Gegend: „Applesauce“ ist ein prototypischer Animal-Collective-Song; einer der noch einmal so vieles von dem, was das Animal Collective so liebenswert gemacht hat und macht, in einem perfekten Stück Pop bündeln und sagen will: Da ist der Punkt. Darum geht es.
Der Text des Songs ist ein Bild für das Leben – auch und hier im Speziellen für das einer Band. Die Musik des Animal Collective war immer schon ein verrücktes Mus, ein greller Brei, eine kosmische Marmelade. In „Applesauce“ geht es also um Früchte und Obst, um Äpfel natürlich, um Kirschen, Mangos oder die Sternenfrucht. In der Kindheit hat man sie noch einfach vom Baum oder vom Strauch geholt, man tollte durch die Natur, alles war Überfluss. Heute werden wir nur noch alt, für Obst muss man vielleicht vorm Supermarkt Schlange stehen, dann wird es braun, verrottet und stirbt. „Applesauce“ ist ein Lied über die Freuden, Früchte und Farben des Lebens, aber auch über Verfall und den hier mit Absicht etwas naiv gekennzeichneten, durch das Leben zwangsläufig herbeigeführten Verlust der Unschuld. Es ist ein Lied über das Animal Collective und ihren aktuellen Standort: Was machen wir bevor das Obst schlecht wird? Wir kochen es ein, schmeckt immer noch gut.